Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
APA/Helmut Fohringer
S18 und Lobautunnel

Zwist in Koalition über Straßenbau

Die Umweltpolitik und hier konkret der Straßenbau werden zusehends zu einer Belastung in der Koalition von ÖVP und Grünen. Die von Verkehrsministerin Leonore Gewessler angeordnete Überprüfung der ASFINAG-Bauprojekte sorgt in den Ländern für Unruhe und Empörung. Nun stellte sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) konkret hinter das Vorarlberger Bauprojekt S18. Gewessler kann mit der Debatte „relativ wenig“ anfangen.

Wie groß die Gegensätze sind, die die Koalition hier zu überbrücken hat, zeigte sich zuletzt im Parlament: Die Vorarlberger ÖVP-Bundesrätin Christiane Schwarz-Fuchs hatte für einen nicht verbindlichen Entschließungsantrag der Opposition für den Bau des umstrittenen Wiener Lobautunnels gestimmt und dem Antrag damit die Mehrheit verschafft. Darin wurde gefordert, Gewessler müsse die Weisung an die ASFINAG zur Prüfung ihrer Straßenbauvorhaben, darunter der Lobautunnel, zurücknehmen. Eine solche Weisung gab es allerdings nie, insofern lief der Antrag ins Leere.

Die Grünen waren aber über den Bruch der Koalitionsdisziplin empört. Immerhin waren es in den ersten eineinhalb Jahren dieser Koalition die Grünen, die mehrmals über ihren ideologischen Schatten sprangen und in Fragen mit der ÖVP stimmten, in denen sie eigentlich ganz andere Positionen haben: So insbesondere in der Asylpolitik, aber auch bei den Misstrauensanträgen gegen Finanzminister Gernot Blümel und der Nichtverlängerung des „Ibiza“-U-Ausschusses.

Koalitionszwist wegen Evaluierung von Bauprojekten

Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) lässt große Bauprojekte in Österreich evaluieren. Damit hat sie nicht nur etliche Landeshauptleute gegen sich aufgebracht, sondern offenbar auch den Koalitionspartner.

Koalitionsdisziplin retour

ÖVP und Grüne brachten in der Sondersitzung des Nationalrats am Montag einen nicht verbindlichen Entschließungsantrag ein, mit der Aufforderung an Gewessler, dass auch die Bodenseeumfahrung S18 in Vorarlberg evaluiert werden soll. Neben der Koalition stimmten auch SPÖ und NEOS dem Antrag zu. Dass sich die ÖVP-Abgeordneten für eine Evaluierung ausgesprochen haben, gilt als koalitionäre Wiedergutmachung – unter ihnen war auch der aus Vorarlberg stammende Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf.

Grafik zeigt den Verlauf der geplanten S18 Bodensee Schnellstraße
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ASFINAG

Wie beim Lobautunnel handelt es sich auch bei der S18 um ein Bauprojekt, das mittlerweile seit Jahrzehnten mit vielen Emotionen auf allen Seiten diskutiert wird. ÖVP-intern sorgt der Zwist für Spannungen. Die ÖVP-Landeshauptleute bestehen auf der Umsetzung der ASFINAG-Bauprojekte in ihren Ländern. Die Grünen sehen diese grundsätzlich kritisch. Neue Straßen würden nur mehr Autoverkehr erzeugen.

„Werden dafür sorgen, dass gebaut wird“

Kurz stellte sich bei seinem Vorarlberg-Besuch anlässlich der Eröffnung der Bregenzer Festspiele in der Frage nun dezidiert auf die Seite von Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Das Projekt ist auch innerhalb der Vorarlberger Landesregierung umstritten. Auch hier gibt es eine Koalition aus ÖVP und Grünen. Laut Kurz gibt es „durchaus strittige Positionen“ im Verkehrsministerium zur S18. Aber die gesamte Volkspartei – in Vorarlberg wie auf Bundesebene – werde an einem Strang ziehen. Die ÖVP spreche sich nicht nur für das Projekt aus, sondern „wir werden am Ende auch dafür sorgen, dass es gebaut wird“.

Kurz: Kein Weg „zurück in die Steinzeit“

Grundsätzlich hält Kurz die Bekämpfung des Klimawandels ohne Verzicht, etwa hinsichtlich des Individualverkehrs, für möglich. Der Glaube, so das Klima retten zu können, sei ein Irrweg. „Der einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen“, sagte Kurz in den „Vorarlberger Nachrichten“ und widersprach damit diametral Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die den Verkehr als großes Sorgenkind sieht.

Die Frage, ob man als Politiker den Menschen heute guten Gewissens sagen könne, dass es auch ohne Verzicht gehen wird, beantwortete Kurz mit „Ja, das kann man. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte. Ich halte weder etwas von der ständigen Politik des erhobenen Zeigefingers noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert.“

Das Framing ist allerdings auch bei den Grünen und Klima- und Umweltschützerinnen und -schützern generell nicht eines des Verzichts. Der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel, zu Fuß gehen oder Radfahren wird von ihnen vielmehr als Gewinn an Lebensqualität dargestellt.

Gewessler kann mit Diskussion „wenig anfangen“

Gewessler reagierte am Donnerstag betont gelassen auf Kurz’ Aussagen. Auf dessen Verzichtsdiskussion wollte sie auf Journalistenfragen bei einer Pressekonferenz jedenfalls nicht einsteigen. „Ich kann mit der Diskussion relativ wenig anfangen“, so Gewessler. Die Klimakrise stelle „unsere Lebensgrundlage infrage“. „Wir haben im letzten Jahr sehr intensiv erlebt, was es heißt, auf einem kranken Planeten zu leben“, so die Umweltministerin.

Sie habe vom Parlament den „deutlichen“ Auftrag bekommen, Straßenbauprojekte zu evaluieren und „auch für Vorarlberg eine Alternative zu prüfen“, betonte die Verkehrs- und Klimaschutzministerin. ÖVP und Grüne legten sich darauf fest, dass Österreich bis 2040 klimaneutral werden soll.

Zur Frage, ob die Bekämpfung des Klimawandels ohne Verzicht möglich sei, sagte Gewessler, sie sei „einer Meinung“ mit Kurz. Man müsse „mutig vorangehen“ und sich nicht von „altem Denken“ bremsen lassen. „Wir haben jetzt eine Chance, vorne dabei zu sein“ und das Energiesystem, das Mobilitätssystem und die Industrie „zukunftsfähig und klimafreundlich aufzustellen“.

Köstinger sieht trotzdem konstruktive Zusammenarbeit

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) meinte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Gewessler, die Debatte sei keine große Belastung für die Koalition. Es funktioniere trotz Meinungsverschiedenheiten ganz gut. Man werde in „den nächsten Monaten und Jahren konstruktiv zusammenarbeiten“.

SPÖ: Ein Krach nach dem anderen

Einen Koalitionskrach nach dem anderen ortete dagegen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. „Kurz macht die Grünen mit seinem Steinzeit-Sager lächerlich, während die Grünen durch ihre Blockade längst geplanter Projekte provozieren“, die Bevölkerung werde „durch diese absurden Machtspiele verunsichert“.