Luftaufnahme zeigt Menschen auf einem öffentlichen Platz
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34,4 Prozent

CoV treibt Sozialquote auf neuen Höchststand

Die laufende Coronavirus-Pandemie hat im Vorjahr die Sozialausgaben deutlich in die Höhe getrieben: Nach vorläufigen Berechnungen der Statistik Austria lagen diese – nach 117 Milliarden Euro im Jahr zuvor – 2020 bei rund 130 Milliarden Euro. Angesichts der gleichzeitig markant zurückgegangenen Wirtschaftsleistung stieg die Sozialquote, also der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP), auf über 34 Prozent und damit einen neuen historischen Höchststand.

Im CoV-Jahr 2020 flossen damit „erstmals Ausgaben in der Höhe von mehr als einem Drittel der österreichischen Wirtschaftsleistung in Soziales“, teilte dazu Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas mit. Mit 34,4 Prozent lag die Sozialquote um 5,1 Prozentpunkte über dem Wert des Jahres 2019 (29,3 Prozent). Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 machte sie noch 29,6 Prozent aus, im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts (2010–2020) 29,9 Prozent.

Der Ausgabenanstieg 2020 ist laut Statistik Austria hauptsächlich auf Maßnahmen zurückzuführen, die zur Bewältigung der sozialen Folgen der Coronavirus-Pandemie ergriffen wurden, darunter die Kurzarbeitsbeihilfe, Unterstützungsleistungen für Selbstständige, Einmalzahlung an Familien, Gesundheitsleistungen und Einmalzahlungen an Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.

5,5 Milliarden für Kurzarbeitsbeihilfe

Die Ausgaben für die Sozialleistungen im Bereich Arbeitslosigkeit zur Bewältigung der Krise auf dem Arbeitsmarkt haben sich von rund sechs Mrd. Euro (2019) auf rund 13 Mrd. Euro mehr als verdoppelt. Im Vordergrund stand dabei das Instrumentarium der Kurzarbeitsbeihilfe, die Ausgaben stiegen in diesem Bereich von zwei Mio. Euro auf 5,5 Mrd. Euro.

Wegen der insgesamt stark gestiegenen Arbeitslosigkeit und der verbesserten sozialen Absicherung (Einmalzahlungen, befristete Anhebung der Notstandshilfe) nahmen auch die Ausgaben für das Arbeitslosengeld (plus 55 Prozent, 2,4 Mrd.) und die Notstandshilfe (plus 42 Prozent, 1,9 Mrd.) signifikant zu.

Unterstützungen für Selbstständige

Die nach den Kurzarbeitsbeihilfen zweithöchsten CoV-bedingten Sozialleistungsausgaben waren laut Statistik Austria die Unterstützungen für Selbstständige (Kleinstunternehmen, freie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer etc.) sowie Künstlerinnen und Künstler, die als Soforthilfen zur Kompensation von Einkommenseinbußen gewährt wurden (1,1 Mrd. Euro).

Durch die Einmalzahlung in Form des Kinderbonus erhielten Familien eine zusätzliche Unterstützung von 656 Mio. Euro. Damit stiegen die Ausgaben für die Familienbeihilfe ebenfalls stark (plus 21 Prozent, 4,2 Mrd.).

Löwenanteil weiter für Personen im Pensionsalter

Trotz des Anstiegs in den anderen Bereichen dominierten weiterhin die Leistungen an Personen im Pensionsalter: Für Alterspensionen, Ruhegenussleistungen, Betriebspensionen sowie Betreuungs- und Pflegeleistungen wurden insgesamt rund 54 Mrd. Euro (plus 5,6 Prozent gegenüber 2019) und damit 43 Prozent der Sozialleistungen aufgewendet.

An zweiter Stelle mit rund 32 Mrd. Euro und einem Anteil von 25 Prozent folgen die Ausgaben für den Bereich Krankheit bzw. Gesundheitsversorgung aller Altersgruppen. Hier gab es neben Zuwächsen bei den ambulanten (plus fünf Prozent) und stationären (plus sieben Prozent) Gesundheitsleistungen auch Rückgänge in der Ausgabenentwicklung im Krisenjahr 2020 (Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation: minus elf Prozent, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: minus sechs Prozent).

„Unser Sozialstaat funktioniert“

Für die Arbeiterkammer (AK) ist der Anstieg der Sozialquote während der Coronavirus-Pandemie nicht außergewöhnlich. „In Krisenzeiten brauchen die Menschen einfach mehr und schnell Unterstützung“, findet AK-Präsidentin Renate Anderl. Das von den Sozialpartnern entwickelte Kurzarbeitsmodell sei ein gutes Beispiel dafür, dass der Sozialstaat funktioniert.

Dieser müsse nun mit Investitionen in Pflege, Gesundheit, Klima und in den Arbeitsmarkt „gestärkt und weiterentwickelt werden“, so Anderl: „Wenn Milliardenbeträge für die Unternehmen da sind, dann müssen auch Milliarden für die Weiterentwicklung des Sozialstaates, für Investitionen und für die Verhinderung von Armut – kurz: für die Menschen da sein.“

Das Momentum Institut wies am Donnerstag darauf hin, dass das österreichische Sozialsystem vor Armut schütze. Gelten vor Sozialleistungen noch über 1,5 Mio. Menschen ab 18 Jahren laut EU-SILC-Statistik (European Union Statistics on Income and Living Conditions, Anm.) als armutsgefährdet, sind es durch die Auszahlung von Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe und Co. nur noch knapp 60 Prozent (931.000). Damit schützt der Sozialstaat 600.000 erwachsene Menschen vor Armut, hieß es. Das Geschlechterverhältnis sei dabei sowohl vor als auch nach dem Erhalt der Sozialleistungen beinahe ausgeglichen.

„Wenig überraschend“

Für den grünen Sozialsprecher Markus Koza sind der Anstieg bei den Sozialausgaben und die gestiegene Sozialquote „wenig überraschend“. „Das zeigt nur, dass der Sozialstaat wirkt und seine Aufgabe – nämlich Einkommensverluste abzufangen, Nachfrage zu stabilisieren und Armutsgefährdung einzudämmen – erfüllen kann“, so Koza. Jetzt eine Diskussion über Einsparungspotenziale im sozialen Sicherungssystem zu beginnen wäre „jedenfalls der vollkommen falsche Weg“.

Kritik von Opposition

Für SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch hat die Regierung trotz gestiegener Sozialquote eigentlich zu wenig getan, „weder habe sie das Arbeitslosengeld erhöht noch etwas gegen die steigende Armutsgefährdung in der Bevölkerung unternommen“, so Muchitsch, der eine Gegenfinanzierung forderte: „Was es jetzt braucht, sind Abgaben auf große Vermögen und einen fairen Beitrag von Onlinemultis, die von der Krise profitiert haben.“

Die FPÖ nahm die veröffentlichten Zahlen zum Anlass für Kritik an der ÖVP-Grünen-Regierung: Die steigende Sozialquote belege, „dass durch das Corona-Missmanagement der Regierung immer mehr Menschen sozial abgehängt werden“, argumentierte Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. Bei vielen Österreichern schnappe die Armutsfalle erbarmungslos zu, so Belakowitsch, in deren Aussendung es zudem heißt: "Sebastian Kurz (ÖVP-Bundeskanzler, Anm.) muss sein Corona-Regime jetzt unverzüglich beenden, oder unser Sozialsystem wird sich nie wieder erholen.

Kritik kommt auch von NEOS, dessen Sozialsprecher Gerald Loacker mit Verweis auf den Löwenanteil der Pensionen bei den Sozialleistungen die Regierung aufrief, „das Weiterwurschteln und Sich-weg-Ducken beim Thema Pensionen endlich zu beenden“. Die CoV-Krise habe gezeigt, dass die Jungen und der Mittelstand nicht nur draufzahlen, „sie zahlen auch alles“, so Loacker, der per Aussendung gleichzeitig „eine Politik mit Zukunft, die auch an übermorgen denkt“, einfordert.

Warnung vor Generationenkonflikt

Wenig Verständnis für den NEOS-Ruf nach einer Pensionsreform kommt vom Pensionistenverband (PVÖ). Forderungen wie diese würden lediglich einen Generationenkonflikt schüren, „den niemand will und braucht“, heißt es dazu in einer Aussendung von PVÖ-Generalsekretär Andreas Wohlmuth. Statt einer Pensionsreform seien umfassende Reformen auf dem Arbeitsmarkt nötig, damit die Menschen länger gesund arbeiten können und nicht vorzeitig in die Pension gedrängt werden, sagte dazu zudem ÖVP-Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec.