Die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer
APA/Helmut Fohringer
„Steinzeit“

Grüner Konter im Straßenbaustreit

Das Scharmützel rund um den Bau der Bodensee-Schnellstraße S18 in Vorarlberg geht in die nächste Runde. Während sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) deutlich für den Bau ausgesprochen und sich so gegen Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) positioniert hat, konterte Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer am Donnerstag scharf. Eine große Belastung für die Koalition will aber niemand sehen.

„Wer glaubt, die Klimakrise bewältigen zu können, ohne etwas zu verändern, der lebt in der Steinzeit“, sagte sie mit Blick auf die Aussagen des Kanzlers. Dieser hatte gegenüber den „Vorarlberger Nachrichten“ gesagt, „dass es vollkommen falsch wäre zu glauben, dass wir das Klima in Zukunft dadurch retten können, dass wir uns nur noch im Verzicht üben“. Der einzig „richtige Zugang“ sei, so der ÖVP-Chef, auf Innovation und Technologie zu setzen.

„Der Kanzler hat hier seine persönliche Meinung geäußert“, meinte Maurer. Denn im Nationalrat sei erst am Montag mit großer Mehrheit von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS ein Entschließungsantrag beschlossen worden, der die Prüfung einer umweltfreundlicheren und schnelleren Alternative zur S18 vorsieht – das sei also ein klarer Auftrag aus dem Parlament an die Regierung, betonte Maurer. Ein „Entschließer“ ist aber eine nicht verbindliche Aufforderung bzw. Willenserklärung.

Kurz bekräftigt Aussagen

Bei einem Besuch in Vorarlberg hatte Kurz seinem Parteikollegen und Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) zugesichert, dass die S18 gebaut wird – obwohl das Verkehrsprojekt wie viele andere derzeit im Auftrag der Verkehrsministerin evaluiert wird. „Der Verzicht auf Mobilität, der Verzicht zum Arbeitsplatz zu fahren und auf Individualverkehr, das wird nicht funktionieren“, befand Kurz in den „Vorarlberger Nachrichten“.

Grafik zeigt den Verlauf der geplanten S18 Bodensee Schnellstraße
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ASFINAG

Mit Blick auf politische Maßnahmen, die mit Verzicht die Klimakrise bekämpfen sollen, sagte Kurz, dass er „überhaupt“ nicht der Meinung sei, „dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte“. Manche würden einen „Klima-Lockdown“ vorschlagen, „den wird es mit mir nicht geben“, sagte Kurz auch am Donnerstag. Was den Klimawandel betreffe, so brauche es Innovationen und einen globalen Kraftakt, hier müssten alle an einem Strang ziehen. Beim Verkehr komme es nicht darauf an, ob man mit dem Auto fährt oder nicht, sondern um die Emissionen. Hier sei Elektroenergie zielführend, meinte Kurz.

Er gab zu bedenken, dass in Österreich viele Menschen auf dem Land auf das Auto angewiesen seien, hier gebe es auch keine U-Bahn wie in Wien. Auf die Frage, ob er beim Thema Bodensee-Schnellstraße S18 in Vorarlberg nicht die Demokratie missachte, wenn es doch einen demokratischen Auftrag zur Projektprüfung gebe, antwortete Kurz: „Viele Projekte sind bereits beschlossen und rechtlich am Weg. Ich bin auf der Seite der Bevölkerung und der Bundesländer, die eine gewisse Planungssicherheit erwarten.“

Gewessler: „Kann mit Diskussion wenig anfangen“

Die Umweltministerin selbst hatte sich am Rande einer Pressekonferenz gelassen gegeben. „Ich kann mit der Diskussion relativ wenig anfangen“, sagte Gewessler zu den Aussagen des Kanzlers. Die Klimakrise stelle „unsere Lebensgrundlage infrage“. Gewessler sieht großen Handlungsbedarf. „Wir haben im letzten Jahr sehr intensiv erlebt, was es heißt, auf einem kranken Planeten zu leben. Auf einem kranken Planeten gibt es kein gesundes Wirtschaften.“

Es gehe darum, dass „wir in Österreich noch ein gutes Leben haben können 2040, 2050. Dafür müssen wir jetzt etwas tun.“ Sie sei „ganz bei der Meinung des Herrn Bundeskanzlers, das heißt nicht, zurück in die Vergangenheit, das heißt mutig vorangehen“. Man dürfe sich gerade jetzt „nicht von altem Denken bremsen lassen“ und nicht immer auf jene hören, „die automatisch Nein sagen“, fügte sie hinzu.

Maurer verweist auf Klimaneutralität

Eine große Belastung fürs Koalitionsklima sieht Maurer in den Aussagen des Kanzlers zwar nicht – „wir haben bei vielen Dingen unterschiedliche Ansichten“. Dennoch lässt die Grünen-Klubobfrau den Seitenhieb des Kanzlers auf ihre Partei nicht auf sich sitzen: Man habe Klimaneutralität und ein Ende der Bodenversiegelung vereinbart, und die Evaluierung der Straßenbauprojekte sei ein Schritt dazu.

„Die Menschen erwarten sich zu Recht, dass die Politik alles daran setzt, die Klimakrise hintanzuhalten“, so Maurer. Sie teile die Einschätzung, dass Innovation und Wissenschaft ein elementarer Bestandteil im Kampf gegen die Klimakrise seien – „und die Wissenschaft sagt ganz klar, es muss sich etwas ändern“, betonte Maurer. „Ich habe den Eindruck, dass noch nicht ganz erkannt wurde, wie drängend das Problem für die Menschen in Österreich ist“, kritisierte sie.

Streit seit einigen Wochen

Der Streit zwischen Grünen und ÖVP über die Straßenbauprojekte schwelt schon seit drei Wochen. Da wurde bekannt, dass die Neubauprojekte der ASFINAG aktuell im Rahmen einer Evaluierung bis Herbst geprüft werden, darunter auch heiß umstrittene wie der Lobautunnel in Wien. Die Länder protestierten lautstark, auch die Bundes-ÖVP kritisierte Gewessler seither mehrfach. Der ÖVP-Klub wollte die Sache am Donnerstag nicht kommentieren.

Zumindest für die Grünen gipfelte der Streit im Bundesrat. Eine Vorarlberger ÖVP-Bundesrätin stimmte einem Entschließungsantrag zu, in dem die SPÖ und die FPÖ Gewessler aufforderten, die ASFINAG-Weisung zur Prüfung ihrer Straßenbauvorhaben, darunter der Lobautunnel, zurückzunehmen. Zwar hat es eine solche Weisung nicht gegeben, und der Antrag lief ins Leere, allerdings habe die ÖVP der Opposition die Mehrheit verschafft und die Koalitionsdisziplin gebrochen, hieß es vonseiten der Grünen.

Koalitionszwist wegen Evaluierung von Bauprojekten

Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) lässt große Bauprojekte in Österreich evaluieren. Damit hat sie nicht nur etliche Landeshauptleute gegen sich aufgebracht, sondern offenbar auch den Koalitionspartner.

Daraufhin brachten ÖVP und Grüne in der Sondersitzung des Nationalrats am Montag einen nicht verbindlichen Entschließungsantrag mit der Aufforderung an Gewessler ein, dass auch die Bodenseeumfahrung S18 in Vorarlberg evaluiert werden soll. Neben der Koalition stimmten auch SPÖ und NEOS dem Antrag zu. Dass sich die ÖVP-Abgeordneten für eine Evaluierung ausgesprochen haben, gilt als koalitionäre Wiedergutmachung – unter ihnen war auch der aus Vorarlberg stammende Abgeordnete Karlheinz Kopf.

SPÖ: Ein Krach nach dem anderen

Einen Koalitionskrach nach dem anderen ortete dagegen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. „Kurz macht die Grünen mit seinem ‚Steinzeit-Sager‘ lächerlich, während die Grünen durch ihre Blockade längst geplanter Projekte provozieren“, die Bevölkerung werde „durch diese absurden Machtspiele verunsichert“.

Einen Konflikt in der Koalition sahen aber weder Maurer noch Kurz. „Ein Diskurs in der Demokratie ist absolut etwas Normales“, und es könne unterschiedliche Zugänge geben, so der Kanzler. Maurer glaubt jedenfalls nicht, dass der Streit zu einer großen Belastung für das Koalitionsklima wird – „wir haben bei vielen Dingen unterschiedliche Ansichten“, sagte sie.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) meinte, dass die Koalition trotz Meinungsverschiedenheiten ganz gut funktioniere. Man werde in „den nächsten Monaten und Jahren konstruktiv zusammenarbeiten“, so die Ressortchefin am Donnerstag. Zuletzt konnte sich die Koalition in Umfragen ein wenig stabilisieren – nachdem sie in den vergangenen Wochen kräftig verloren hat. Im Vertrauensindex sind Koalitionspolitiker und -politikerinnen zuletzt deutlich abgerutscht.