Zwei junge Männer fahren auf E-Scootern in Paris
AP/Lewis Joly
Unfälle, Straßenbild

E-Scooter in Europas Städten am Pranger

Nach dem Boom kommt oft die Ernüchterung: In vielen europäischen Städten werden die Regeln für die Benutzung der rasanten Roller kontinuierlich verschärft. Zuletzt verbot Oslo nächtliche Fahrten wegen der hohen Zahl an Unfällen. Zudem dürften sie Autofahrten kaum ersetzen.

Schnell, billig und klimafreundlich: Die Leih-E-Scooter, die sich in Europa in den vergangenen Jahren ausgebreitet haben, erfreuen sich einer wachsenden Fangemeinde. Die Roller haben viele Vorteile, der Blechlawine im Stau düsen sie davon. Die Probleme sind aber auch nach Jahren nach wie vor dieselben. Vor allem die Unfallgefahr ist hoch, E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer missachten allzu oft die Regeln – und das gerne ohne Helm.

Europas Großstädte ziehen die Zügel weiter an. Die hohe Unfallgefahr, Vandalismus und die Überflutung der Städte mit abgestellten Rollern sorgen für Ärger. Der Osloer Stadtrat beschloss diese Woche, dass ab September keine Leihfahrten mehr in der Nacht zwischen 23.00 und 5.00 Uhr erlaubt sein sollen.

Zuvor hatten Ärztinnen und Ärzte des Universitätskrankenhauses in Oslo vorgerechnet, dass diese Maßnahme Hunderte von Unfällen, vor allem im Sommer, verhindern würde. In Oslo gibt es bis dato laut der norwegischen Nachrichtenagentur NTB die höchste Rate an E-Scootern pro Kopf in Europa, Tendenz steigend. Derzeit sind es laut NTB knapp 26.000. Auch dieser Überzahl will der Stadtrat ein Ende bereiten: Mehr als 8.000 in Summe sollen es nicht mehr sein.

Bald rien ne va plus?

Die Pariser Verwaltung steht schon länger mit den E-Scootern auf Kriegsfuß. Bürgermeisterin Anne Hidalgo erhob die Angelegenheit zur Chefinnensache und begann 2019, gegen die „Trottinettes“ mit strengen Regeln und Strafen durchzugreifen.

Vorschriftswidrig abgestellte E-Tretroller werden als Sperrmüll betrachtet und entfernt. Die Fahrzeuge dürfen nicht auf Pariser Gehwegen abgestellt werden, auf dem Gehsteig darf auch nicht gefahren werden. Die Stadt beschränkte die Zahl der Anbieter auf drei, die insgesamt mit rund 15.000 Rollern vertreten sind. Bestünden die Probleme, etwa dauernde Geschwindigkeitsübertretungen und falsch abgestellte Roller, noch lange, drohe ihnen das komplette Aus.

Müll und Scooter nach einer Party in Frankreich
APA/AFP/Geoffroy van der Hasselt
In Paris sorgen die „Trottinettes“ für viel Ärger

Dann werde man den Entzug der Lizenzen prüfen, sagte der grüne Vizebürgermeister David Belliard im Juni. Kurz zuvor hatte der Tod einer 32-Jährigen in Paris für Entsetzen gesorgt, die auf einem Fußgängerweg von einem E-Tretroller angefahren worden war.

Ins Wasser gefallen

Berlin geht einen anderen Weg: Die deutsche Hauptstadt setzt auf eine „erlaubnispflichtige Sondernutzung“, wie der „Tagesspiegel“ berichtete. Dem Bericht zufolge plant Berlin, sein Straßengesetz so zu ändern, dass Anbieter eine Erlaubnis oder allgemeine Zulassung für das Aufstellen benötigen. So könne die Verwaltung Zonen bestimmen, in denen die Scooter nicht mehr abgestellt werden dürfen, und außerdem dafür Gebühren erheben. In Deutschland schlug sich die Verbreitung der Leihroller erst mit Verzögerung nieder. Erst Mitte 2019 wurden sie zugelassen.

Die Nutzerfreude war sofort groß, allerdings auch die Problem, die die Scooter in Deutschland bald verursachten. So wird geschätzt, dass sich bisher rund 500 der Gefährte im Rhein angesammelt haben. Ihre Akkus bedrohen die Wasserqualität. Eine Bergungsaktion war für Juni geplant, musste aber verschoben werden.

Sehr liberal geht Brüssel mit den rollenden Gefährten um. Hier darf sogar offiziell auf den Gehsteigen gefahren werden, solange die Schrittgeschwindigkeit nicht überstiegen wird. Haben sie es eiliger, mögen Roller-Fahrerinnen und -Fahrer auf die zahlreichen Radwege ausweichen oder auf der Straße fahren. Das Tragen eines Helms fällt unter in die Kategorie „Empfehlung“.

Viele Verletzte in Brüssel

Dementsprechend hoch ist auch die Zahl jener Scooteristen, die sich ernsthaft im Verkehr verletzen. Laut einer gemeinsamen Untersuchung des belgischen Verkehrssicherheitsinstituts VIAS und fünf örtlichen Spitälern landet im Schnitt ein Tretroller-Nutzer oder eine Tretroller-Nutzerin in der Woche im Krankenhaus, hauptsächlich weil kein Helm benutzt wurde. Das berichtete kürzlich die „Brussels Times“.

Der Großteil der Verletzten war zudem unerfahren, also auf geliehenen E-Rollern unterwegs und nicht auf eigenen Geräten. Auch Alkohol und Drogen spielten „ab einer gewissen Tageszeit“ eine Rolle. VIAS verglich zudem die Regeln von zwölf verschiedenen Ländern und stellte fest, dass nur zwei die Helmpflicht für E-Scooter vorschreiben.

Ein „Sheriff“ für Wien

Einen Mittelweg wählte Wien: Auch hier geriet die Scooter-Flut zum Ärgernis. Inzwischen stellte sich eine gewisse Marktbereinigung ein. Von zehn Anbietern Anfang 2020 gibt hier nur noch fünf mit maximal je 1.500 Scootern pro Flotte. In der Innenstadt wurde in einem Pilotprojekt von Wirtschaftskammer (WKÖ) und dem Anbieter Lime ein „Scooter-Sheriff“ installiert.

Regeln in Österreich

Die E-Scooter dürfen nicht auf Gehsteigen, Gehwegen und Schutzwegen benützt werden. Gerollt werden darf auf Radfahranlagen und Fahrbahnen, auf denen das Radfahren erlaubt ist, sowie in Fußgängerzonen, wenn behördlich erlaubt. Eine zweite Person darf nicht mitfahren, es gilt ein Alkohollimit von 0,8 Promille. Kinder unter zwölf Jahren brauchen Aufsicht und Helm.

In der Wiener City hatten sich besonders die Beschwerden der Geschäftsinhaber gehäuft. In den vergangenen Wochen sollte nun ein Ordner an drei Tagen in der Woche dafür sorgen, dass keine umgeworfenen Roller herumliegen oder widerrechtlich positioniert sind. Das Pilotprojekt war für zwei Monate angesetzt, die Ergebnisse gibt es am Dienstag. Laut Dieter Steup, Mitinitiator von der WKÖ, gab es vorwiegend positive Ergebnisse. Das Projekt wolle man weitertreiben, so Steup zu ORF.at.

Klimafrage trotz Emissionsfreiheit

Ungeachtet der oft missachteten Verkehrs- und Parkregeln für die Roller tun sich nach den Jahren der Verbreitung auch etliche andere Fragen auf – etwa jene nach dem tatsächlichen Klimanutzen. Von den Anbietern werden die Gefährte als emissionsfreie Alternativen zum Individualverkehr gepriesen. Die Lebensdauer eines E-Scooters beträgt im Schnitt allerdings nur drei Monate, wie eine Studie der Boston Consulting Group schon vor zwei Jahren zeigte.

Häufiger Gebrauch, grober Umgang und Vandalismus seien dafür die Gründe. Umweltschützer stellen zudem die häufig verwendeten Lithium-Ionen-Batterien in den Fokus. Nicht nur die Gewinnung der Rohstoffe für die Akkus sei belastend für die Umwelt, auch die Entsorgung sei schwierig.

Eine Daseinsberechtigung kann freilich auch daran geknüpft werden, dass mit den Leihscootern Autofahrten ersetzt werden könnten. Eine aktuelle repräsentative Umfrage des deutschen Marktforschungsinstituts Civey zieht das allerdings in Zweifel. In Deutschland war das in nur 5,3 Prozent Fällen der Fall. Eine solche Bewertung sei ungerecht, so Norman Wendt von der deutschen Energieagentur dena zum „Tagesspiegel“. Das Auto verbiete man trotz vieler Verkehrstoter auch nicht. Und: „Wenn Leute, die niemals selbst strampeln würden, dann zumindest auf Mikromobilitätslösungen umsteigen, haben wir für das Klima auf jeden Fall schon eine Menge gewonnen – wenn es gut gemacht ist.“