Autos auf einer Schnellstraße
ORF.at/Christian Öser
Lobautunnel, S18

Gutachten befeuert Straßenbaustreit

Der Streit über die Evaluierung von Straßenbauprojekten geht weiter. Nun hat die Wirtschaftskammer Wien ein Gutachten erstellen lassen, welches daran zweifelt, dass Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) rechtlich einen Baustopp verordnen darf. Aus dem Ministerium hieß es am Freitag auf ORF.at-Anfrage, dass „alle gesetzten Schritte rechtskonform“ gewesen seien.

Seit Wochen wird über ein Schreiben aus dem Verkehrsministerium debattiert, wonach das gesamte Bauprogramm der ASFINAG zuerst evaluiert werden soll. Davon betroffen sind etwa der Lobautunnel in Wien und die S18 Schnellstraße in Vorarlberg. Die Länder protestierten lautstark, und die Evaluierung löste einen koalitionären Zwist über die Frage aus, wie man die Klimakrise bekämpfen muss. Doch war es überhaupt eine Weisung? Und wenn ja, darf die Ministerin eine solche an die ASFINAG erteilen?

Das Gutachten der Anwaltskanzlei KWR Karasek Wietrzyk kommt zu dem Schluss, dass es sich inhaltlich um eine Weisung handle, die Ministerin Gewessler nicht erteilen dürfe. Die Kanzlei argumentiert, dass der ASFINAG-Vorstand die Gesellschaft „weisungsfrei und unabhängig“ leite. Dass die Republik, in deren Namen Gewessler als Ministerin handelt, die Alleineigentümerin der ASFINAG ist, ändere an der Weisungsfreiheit nichts, berichtete der „Kurier“ am Freitag.

Gutachten zweifelt, Ministerium nicht

Die Wirtschaftskammer Wien drängt seit Jahren auf den Bau des Lobautunnels. Dass das Gutachten an einer „Weisung“ von Gewessler zweifelt, bietet der Kammer eine weitere Grundlage für ihre Kritik. Denn die Ministerin könne zwar Wünsche an den ASFINAG-Vorstand herantragen oder grundsätzliche Leitlinien vorgeben. Ins operative Geschäft – darunter fallen die Bauprojekte – dürfe sie sich aber nicht einmischen.

 Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne)
APA/Roland Schlager
Gewessler will, dass noch nicht gestartete Bauprojekte evaluiert werden

Die Juristen meinten auch, dass die „gegenständliche Weisung rechtswidrige Inhalte umfassen“ könnte. Das wäre der Fall, wenn die ASFINAG bereits Verträge mit Dritten geschlossen hätte, die sie aufgrund der Verzögerung nun verletzen müsste. Oder wenn durch den Baustopp bei Folgeprojekten (etwa der Stadtstraße zur Seestadt Aspern) Probleme auftreten würden – mehr dazu in wien.ORF.at. „Das Gutachten zeigt klar, dass es für den Vorstand einen Handlungsbedarf gibt“, sagt Wiens Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck im „Kurier“.

Geplanter Verlauf Schnellstraße S1 Schwechat-Süßenbrunn und Lobautunnel mit Anschlußstellen und Stadtstraße Seestadt. Endgültiger Verlauf kann von der Grafik abweichen!

Gegenüber ORF.at teilte das Ministerium allerdings mit, dass die Planung und Entwicklung von Verkehrsinfrastruktur „eine zentrale Aufgabe des Klimaschutzministeriums“ sei. Alle in diesem Zusammenhang gesetzten Schritte seien rechtskonform. Man habe das gemeinsam mit der ASFINAG geprüft. "Die regelmäßige Abstimmung des ASFINAG-Bauprogramms sei zudem gesetzlich vorgesehen, heißt es weiter. „Der ASFINAG kommt als Errichter und Betreiber von staatlicher Infrastruktur eine besondere Aufgabe zu. Diese ist unter anderem im ASFINAG-Gesetz und im Fruchtgenussvertrag geregelt.“

„Steinzeit“-Streit in Koalition

Bereits in den vergangenen Tagen dominierte der Straßenbaustreit die Berichterstattung. Insbesondere die Bodensee-Schnellstraße S18 in Vorarlberg wurde in der Koalition zum Zankapfel. Während sich nämlich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) deutlich für den Bau ausgesprochen und sich so gegen Verkehrsministerin (Grüne) positioniert hatte, konterte Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer am Donnerstag scharf.

„Wer glaubt, die Klimakrise bewältigen zu können, ohne etwas zu verändern, der lebt in der Steinzeit“, sagte sie mit Blick auf die Aussagen des Kanzlers. Dieser hatte gegenüber den „Vorarlberger Nachrichten“ gesagt, „dass es vollkommen falsch wäre zu glauben, dass wir das Klima in Zukunft dadurch retten können, dass wir uns nur noch im Verzicht üben“. Der einzig „richtige Zugang“ sei, so der ÖVP-Chef, auf Innovation und Technologie zu setzen.

„Der Kanzler hat hier seine persönliche Meinung geäußert“, meinte Maurer. Denn im Nationalrat sei erst am Montag mit großer Mehrheit von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS ein Entschließungsantrag beschlossen worden, der die Prüfung einer umweltfreundlicheren und schnelleren Alternative zur S18 vorsieht – das sei also ein klarer Auftrag aus dem Parlament an die Regierung, betonte Maurer. Ein „Entschließer“ ist aber eine nicht verbindliche Aufforderung bzw. Willenserklärung.

Kurz bekräftigte Aussagen

Bei einem Besuch in Vorarlberg hatte Kurz seinem Parteikollegen und Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) zugesichert, dass die S18 gebaut wird – obwohl das Verkehrsprojekt wie viele andere derzeit im Auftrag der Verkehrsministerin evaluiert wird. „Der Verzicht auf Mobilität, der Verzicht zum Arbeitsplatz zu fahren und auf Individualverkehr, das wird nicht funktionieren“, befand Kurz in den „Vorarlberger Nachrichten“.

Grafik zeigt den Verlauf der geplanten S18 Bodensee Schnellstraße
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ASFINAG

Mit Blick auf politische Maßnahmen, die mit Verzicht die Klimakrise bekämpfen sollen, sagte Kurz, dass er „überhaupt“ nicht der Meinung sei, „dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte“. Manche würden einen „Klima-Lockdown“ vorschlagen, „den wird es mit mir nicht geben“, sagte Kurz auch am Donnerstag. Was den Klimawandel betreffe, so brauche es Innovationen und einen globalen Kraftakt, hier müssten alle an einem Strang ziehen. Beim Verkehr komme es nicht darauf an, ob man mit dem Auto fährt oder nicht, sondern um die Emissionen. Hier sei Elektroenergie zielführend, meinte Kurz.

Er gab zu bedenken, dass in Österreich viele Menschen auf dem Land auf das Auto angewiesen seien, hier gebe es auch keine U-Bahn wie in Wien. Auf die Frage, ob er beim Thema Bodensee-Schnellstraße S18 in Vorarlberg nicht die Demokratie missachte, wenn es doch einen demokratischen Auftrag zur Projektprüfung gebe, antwortete Kurz: „Viele Projekte sind bereits beschlossen und rechtlich am Weg. Ich bin auf der Seite der Bevölkerung und der Bundesländer, die eine gewisse Planungssicherheit erwarten.“

Maurer verweist auf Klimaneutralität

Eine große Belastung fürs Koalitionsklima sieht Maurer in den Aussagen des Kanzlers zwar nicht – „wir haben bei vielen Dingen unterschiedliche Ansichten“. Dennoch lässt die Grünen-Klubobfrau den Seitenhieb des Kanzlers auf ihre Partei nicht auf sich sitzen: Man habe Klimaneutralität und ein Ende der Bodenversiegelung vereinbart, und die Evaluierung der Straßenbauprojekte sei ein Schritt dazu.

Gutachten befeuert Straßenbaustreit

Im Konflikt um den Bau des Lobautunnels hat die Wiener Wirtschaftskammer ein Gutachten erstellen lassen, welches daran zweifelt, dass Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) rechtlich einen Baustopp verordnen darf.

„Die Menschen erwarten sich zu Recht, dass die Politik alles daran setzt, die Klimakrise hintanzuhalten“, so Maurer. Sie teile die Einschätzung, dass Innovation und Wissenschaft ein elementarer Bestandteil im Kampf gegen die Klimakrise seien – „und die Wissenschaft sagt ganz klar, es muss sich etwas ändern“, betonte Maurer. „Ich habe den Eindruck, dass noch nicht ganz erkannt wurde, wie drängend das Problem für die Menschen in Österreich ist“, kritisierte sie.

SPÖ: Ein Krach nach dem anderen

Einen Koalitionskrach nach dem anderen ortete dagegen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. „Kurz macht die Grünen mit seinem ‚Steinzeit-Sager‘ lächerlich, während die Grünen durch ihre Blockade längst geplanter Projekte provozieren“, die Bevölkerung werde „durch diese absurden Machtspiele verunsichert“.

Einen Konflikt in der Koalition sahen aber weder Maurer noch Kurz. „Ein Diskurs in der Demokratie ist absolut etwas Normales“, und es könne unterschiedliche Zugänge geben, so der Kanzler. Maurer glaubt jedenfalls nicht, dass der Streit zu einer großen Belastung für das Koalitionsklima wird – „wir haben bei vielen Dingen unterschiedliche Ansichten“, sagte sie.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) meinte, dass die Koalition trotz Meinungsverschiedenheiten ganz gut funktioniere. Man werde in „den nächsten Monaten und Jahren konstruktiv zusammenarbeiten“, so die Ressortchefin am Donnerstag. Zuletzt konnte sich die Koalition in Umfragen ein wenig stabilisieren – nachdem sie in den vergangenen Wochen kräftig verloren hat. Im Vertrauensindex sind Koalitionspolitiker und -politikerinnen zuletzt deutlich abgerutscht.