Afghanistan: Nächtliche Ausgangssperre wegen Gewalt

Wegen der zunehmenden Gewalt in Afghanistan hat die Regierung über weite Teile des Landes eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. „Um die Gewalt einzudämmen und die Bewegungen der Taliban einzuschränken“, gelte für 31 der 34 Provinzen eine Ausgangssperre zwischen 22.00 und 04.00 Uhr, teilte das Innenministerium heute mit. Nur die Provinzen Kabul, Pandschschir und Nangarhar sind von der Maßnahme nicht betroffen.

Parallel zum Beginn des Abzugs der US- und anderer NATO-Truppen hatten die radikalislamischen Taliban Anfang Mai eine große Offensive in Afghanistan gestartet. Inzwischen hat die Miliz mehrere Grenzübergänge sowie Dutzende Bezirke erobert und mehrere Provinzhauptstädte eingekreist. Sie kontrolliert rund die Hälfte der etwa 400 Bezirke Afghanistans.

Beobachter befürchten, dass die Islamisten nach dem vollständigen Abzug der internationalen Truppen wieder die Macht am Hindukusch übernehmen könnten. Die Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung in Doha sind seit Monaten festgefahren.

100 Mio. Dollar US-Hilfsgelder

US-Präsident Joe Biden bewilligte unterdessen bis zu 100 Millionen Dollar (85 Mio. Euro) an Hilfsgeldern aus einem Notfallfonds für afghanische Flüchtlinge. Wie das Weiße Haus gestern (Ortszeit) mitteilte, sollen die Notfallhilfen auch für Antragsteller von Sondervisaanträgen genutzt werden.

Tausende Afghanen, die zuvor als Übersetzer oder in anderen Jobs für die US-Regierung gearbeitet haben, befürchten seit dem Abzug der US-amerikanischen Truppen Vergeltungsmaßnahmen der Taliban. Sie dürfen nun mit speziellen Einwanderungsvisa in die USA einreisen. Die erste Gruppe von Afghanen samt ihrer Familien dürfte noch vor Ende des Monats nach Fort Lee, einem US-Militärstützpunkt in Virginia, geflogen werden, um dort auf die endgültige Bearbeitung ihrer Visaanträge zu warten.

Am Donnerstag verabschiedete das US-Repräsentantenhaus ein Gesetz, das die Anzahl der zu vergebenden Sondervisa um 8.000 erhöht, womit alle potenziell infrage kommenden Anträge abgedeckt wären. Insgesamt sind laut der US-Regierung derzeit etwa 18.000 solcher Visaansuchen in Bearbeitung.

Tausende nach Tadschikistan geflohen

Afghanistans Nachbarland Tadschikistan erklärte sich indes zur Aufnahme von Zehntausenden afghanischen Flüchtlingen bereit. Es sei „derzeit möglich, rund 100.000 Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen“, sagte Emomali Ibrochimsoda vom tadschikischen Notfallkomitee. Untergebracht werden sollen die Flüchtlinge auf Truppenübungsplätzen.

In den vergangenen Wochen hatte das Land bereits mehr als tausend afghanische Soldaten vorübergehend aufgenommen, die vor Angriffen der Taliban flohen. Vor dem Hintergrund des Vormarsches der Taliban hielt die tadschikische Armee am Donnerstag ein Großmanöver ab. Anfang August sind in dem zentralasiatischen Land zudem gemeinsame Militärübungen Tadschikistans und Russlands geplant.

Die Taliban hatten am Donnerstag erklärt, inzwischen 90 Prozent der Grenzen Afghanistans zu kontrollieren. Das Verteidigungsministerium in Kabul bezeichnete das als „totale Lüge“. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist nicht möglich.