Tunesien: Regierungschef abgesetzt, Parlament suspendiert

Tunesiens Staatschef Kais Saied hat Ministerpräsident Hichem Mechichi entlassen und die Arbeit des Parlaments ausgesetzt. Er habe die Entscheidung gemäß Artikel 80 der Verfassung getroffen, teilte der Präsident am Abend nach Krisenberatungen angesichts der Massenproteste gestern mit.

In mehreren tunesischen Städten hatten zuvor Tausende Menschen der Regierung Untätigkeit im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie vorgeworfen und eine Auflösung des Parlaments gefordert. In der Hauptstadt Tunis versammelten sich Hunderte Menschen vor dem Parlament und warfen der regierenden Ennahdha-Partei und Ministerpräsident Mechichi Versagen im Kampf gegen steigende Infektionszahlen vor.

Tunesiens Ministerpräsident Hichem Mechichi
Reuters/Fethi Belaid

In dem nordafrikanischen Land steigt die Zahl der Coronavirus-Infektionen stark an, in Krankenhäusern ist der Sauerstoff knapp. Bisher starben in dem Zwölf-Millionen-Einwohner-Land mehr als 18.000 Menschen an Covid-19.

Parlamentspräsident: „Staatsstreich“

Viele Tunesierinnen und Tunesier sind angesichts der Lage verärgert über das Gezänk zwischen den Parteien im Parlament und dem Machtkampf zwischen dem Parlamentspräsidenten Rached Ghannouchi, der auch der Vorsitzende von Ennahdha ist, und Staatspräsident Saied.

Während Saied erklärte, seine Anordnungen stünden im Einklang mit der Verfassung, sprach Parlamentspräsident Rached Ghannouchi in einer ersten Reaktion von einem Staatsstreich. Die Immunität der Abgeordneten werde aufgehoben, erklärte der Präsident des nordafrikanischen Landes und drohte für den Fall gewaltsamem Widerstands mit einem Einsatz der Armee.

Tunesien ist das einzige Land, das als Demokratie aus dem „arabischen Frühling“ hervorgegangen ist. Vor zehn Jahren war der Autokrat Zine al-Abidine Ben Ali nach rund 25-jähriger Herrschaft gestürzt worden. In der Bevölkerung herrscht jedoch Unzufriedenheit, weil die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander klaffe.