Kurz will auch bei Anklage Kanzler bleiben

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will auch bei einer Anklageerhebung gegen ihn nicht zurücktreten. „Ja, selbstverständlich“, antwortete Kurz in einem Interview mit „Bild live“ auf die Frage, ob ein Angeklagter Bundeskanzler sein könne. Schließlich sei bei solchen Anklagen „nie etwas dran“ gewesen, und sie hätten sich „alle als falsch herausgestellt“, argumentierte Kurz. Das Interview wurde laut „Bild“ bereits am Freitag in Österreich aufgezeichnet.

Er wisse, was er getan und nicht getan habe. „Ich habe definitiv immer vorsätzlich die Wahrheit gesagt“, bekräftigte der ÖVP-Chef seine Verteidigungslinie. Auf die Frage, ob er mit 40 Jahren noch Kanzler sein werde, sagte der bald 35-Jährige: „Ich fühle mich derzeit sehr wohl in der Politik. Ich glaube, dass ich einen Beitrag leisten kann.“

Scharfe Kritik von SPÖ und FPÖ

Kritik an den Aussagen von Kurz kam von SPÖ und FPÖ. „Ein Kanzler kann nicht gleichzeitig auf der Regierungsbank und Anklagebank sitzen“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. Auch erinnerte Deutsch daran, dass auf Falschaussage im U-Ausschuss eine Strafe von bis zu drei Jahren Haft droht.

„Bezeichnend“ sei es außerdem, dass „der Kanzler zu den Vorwürfen noch nicht einmal einvernommen werden konnte, weil sein Anwaltsteam die Zuständigkeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mit allen juristischen Finten bekämpft und so das Verfahren in die Länge zieht“, so der SPÖ-Geschäftsführer.

FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst sprach von einer „Unverfrorenheit von ÖVP-Kanzler Kurz“, die „langsam unerträglich“ werde. „Bei sich selbst legt er offensichtlich völlig andere – großzügigere – Maßstäbe an als bei allen anderen. Mit einem Beschuldigten (Ex-)Vizekanzler Strache hatte er noch jede Zusammenarbeit aus Prinzip rigoros ausgeschlossen.“

„Dass sich Kanzler Kurz offenbar nur Gedanken über die drohende eigene Anklage macht, dabei einmal mehr die unabhängige Justiz zu diskreditieren versucht und sich selbst freispricht, zeigt, dass er vor allem mit sich selbst beschäftigt ist“, übte auch der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak Kritik.

„Werden weiter nach Afghanistan abschieben“

In dem rund halbstündigen Interview nahm der Kanzler auch zu den Themen Migration, Coronavirus und Klima Stellung. Von „Bild“ unter anderem mit barbarischen Aussagen eines Taliban-Richters über die Steinigung von Homosexuellen konfrontiert, blieb Kurz bei seiner Haltung zum Thema Migration.

„Wir werden sicherlich weiter nach Afghanistan abschieben“, betonte er. Geflüchtete sollten in den Nachbarländern oder in anderen Teilen des Landes aufgenommen werden, die nicht unter Kontrolle der Taliban seien, so Kurz, der einräumte, sich „Sorgen“ wegen des internationalen Truppenabzugs aus dem Land zu machen. Allerdings werde aus dem Land auch sehr viel an homophoben oder frauenfeindlichen Ansichten importiert, so Kurz, der in diesem Zusammenhang auch den Fall der getöteten 13-Jährigen in Wien erwähnte.

Eigenverantwortung bei Pandemie

Beim Thema Coronavirus verteidigte er ebenfalls seine Linie, auf Eigenverantwortung zu setzen, und verwies auf die „extremen Kollateralschäden“ durch die Restriktionen der vergangenen Monate. „Die Impfung ist 100-mal besser als der Lockdown“, so Kurz. Zugleich versicherte er: „Wenn es Probleme gibt, dann werden wir sofort darauf reagieren.“

Klimaschutz funktioniere nicht durch Verzicht

Mit der schnellen Entwicklung der Coronavirus-Impfung versuchte Kurz auch seinen Glauben an die Technologie im Kampf gegen die Klimakrise Glaubwürdigkeit zu verleihen. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschheit zu Unfassbarem imstande ist, wenn sie will“, verwies er etwa auch auf die Entwicklungen in den Bereichen Solarzellen oder Elektromobilität.

Statt die Menschen bei 16 Grad im Winter in ihren Wohnungen „frieren“ zu lassen, solle man lieber auf eine „bessere Isolierung“ setzen. Zudem brauche man in ländlichen Gebieten das Auto. „Das wird anders nie möglich sein“, sagte Kurz. „Ich glaube nicht, dass Klimaschutz durch Verzicht funktioniert“, bekräftigte der Kanzler seinen Kurs.