Straßenbaustelle
ORF.at/Christian Öser
Koalitionskrach um Klima

Zwischenwahlkampf ohne Not

Seit Tagen reißt der koalitionäre Schlagabtausch des Klimaschutzes wegen nicht ab. Am Montag richtete Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus, „absurde“ Warnungen zu verbreiten – Retourkutschen folgten auf dem Fuß. Wie ist dieser gefühlte Zwischenwahlkampf zu bewerten? Nicht zu schwerwiegend, meint Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle. Das erzeugte Bild sei aber wenig erfreulich.

Wie beschädigt das Klima in der Koalition ist, wird sich diesen Mittwoch zeigen, wenn die Regierung zu einem Sommerministerrat in Schloss Reichenau an der Rax zusammenkommt. Kurz setzt anschließend seine Tour durch die Bundesländer fort, die am 28. August mit einem Bundesparteitag in St. Pölten endet. Hier soll er als Parteichef bestätigt werden – mit einem Ergebnis, das die jüngsten Turbulenzen in der Volkspartei wie die Auseinandersetzung mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), unangenehme Chatprotokolle und Ermittlungen gegen Kanzler und Finanzminister vergessen machen soll.

Ist es also Zufall, dass die ÖVP einerseits im Vorfeld die Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner sucht, andererseits verstärkt mit ihren Kernthemen zu punkten trachtet und die Pandemie da eher außen vor lässt? Am Samstag etwa verkündeten Innenminister Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) die Aufstockung der Soldaten an der Grenze von 1.000 auf insgesamt 1.400 – begründet wurde das mit steigenden Aufgriffszahlen „illegaler Migranten“ und EU-Asylrichtlinien, „die keine Wirkung zeigen“. Als Reaktion auf die Tötung einer 13-Jährigen in Wien durch afghanische Flüchtlinge hatte Nehammer schon zuvor angekündigt, die Abschiebungen nach Afghanistan zu verstärken.

Kompetenzbereich abstecken

Politikwissenschaftlerin Stainer-Hämmerle sieht gegenüber ORF.at mehrere Faktoren hinter der Schwerpunktsetzung: Einerseits würden Themen automatisch „von außen“ hineingetragen, etwa durch die Ermordung des Mädchens in Wien und die folgende Abschiebedebatte. Andererseits ginge es darum, seinen Bereich gegenüber dem Koalitionspartner abzustecken, dem anderen zu signalisieren, wo seine Kompetenzen lägen und inwieweit diese verhandelbar wären.

Die Debatte über den Klimaschutz lässt sich aktuell jedenfalls nicht mehr einfangen. Ausgangspunkt war der Auftrag von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne), die Neubauprojekte der ASFINAG bis Herbst zu evaluieren, was zu einem Aufstand der Länder führte. Neben dem Wiener Lobautunnel ist auch die Bodensee-Schnellstraße S18 in Vorarlberg davon betroffen – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

„Steinzeit“-Sager und seine Folgen

Kurz hatte sich in diesem Fall auf die Seite des Baubefürworters, Landeschef Markus Wallner (ÖVP), gestellt und bei seinem jüngsten Besuch in Vorarlberg gemeint, dass der Verzicht auf Mobilität und auf Individualverkehr nicht funktionieren werde. Er sei nicht der Meinung, „dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte“. Es wäre „vollkommen falsch zu glauben, dass wir das Klima in Zukunft dadurch retten können, dass wir uns nur noch im Verzicht üben“, denn „der einzig richtige Zugang“ sei, auf Innovation und Technologie zu setzen. Und in Sachen S18 erklärte Kurz, das Projekt sei „schon lange versprochen, und es muss auch durchgeführt werden“.

Am Wochenende hatte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) dem Kanzler folglich „altes Denken“ attestiert – er habe den Eindruck, dass man sich im Kanzleramt „vielleicht zu viel mit Öllobbyisten und Betonierern umgibt“, so Kogler: „Sonst ist das nicht erklärbar.“ Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele klar Position bezogen: „Ich finde es falsch, Maßnahmen gegen die Klimakrise weiter hinauszuschieben und so zu tun, als würde diese von selbst vorbeigehen.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler
APA/Robert Jäger
Die Stimmung zwischen Kogler und Kurz war ganz offensichtlich schon einmal besser

Am Montag legte die grüne Klubobfrau Maurer noch einmal nach. Sie nannte die Warnungen von Kurz vor einem „Klimalockdown“, den manche fordern würden, „absurd“. „Ich muss ehrlich sagen, ich verstehe nicht ganz, wovon der Kanzler spricht. Niemand fordert solche absurden Dinge“, sagte Maurer im Ö1-Morgenjournal.

Die Retourkutsche aus der ÖVP folgte umgehend, erst kam sie vom Wirtschaftsbund. Generalsekretär Kurt Egger forderte die Grünen auf, endlich Klimaprojekte umzusetzen, anstatt das Koalitionsklima aufzuheizen. Man könne den Eindruck gewinnen, die Grünen hätten „in der Sommerpause ihre Regierungsverantwortung vergessen“.

Köstinger erinnert ans Land

Am Abend ergriff auch Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) das Wort und warf den Grünen via Oe24.tv einen fehlenden „Blick für die Realitäten der Menschen im ländlichen Raum“ vor. Köstinger sagte: „Wenn man über viele Jahrzehnte in der Innenstadt in klimatisierten, gut beheizten Büros arbeitet und lebt, dann fehlt einem vielleicht manchmal auch der Blick für die Realitäten der Menschen im ländlichen Raum. Ein bis zwei Wochen Urlaub in einer Seeregion zu machen, ist da noch nicht genug.“

Kaum Optionen für Grüne

Politikwissenschaftlerin Stainer-Hämmerle glaubt dennoch nicht, dass der aktuelle Krach die Koalition gefährden könnte. Die Grünen seien „wild entschlossen“, diese fortzuführen, schließlich laufe es ja „derzeit nicht zu schlecht“. Vor allem Gewessler und Justizministerin Alma Zadic hätten sich als Impulsgeberinnen profiliert. Bei einer Neuwahl hätten die Grünen derzeit wenig zu gewinnen, auch eine etwaige Dreierkoalition SPÖ-NEOS-Grüne ließe ihnen vermutlich nicht mehr Spielraum. So betone die Partei derzeit vor allem ihr Verantwortungsbewusstsein, versuche, auf Sachpolitik zu setzen. Und auch die ÖVP stand in Umfragen, wiewohl immer noch weit in Führung, schon einmal besser da.

Den Klima-Sager von Kurz bewertet Stainer-Hämmerle als möglichen Versuch, die Grünen einmal mehr als „Verbotspartei“ darzustellen – ein Image, gegen das sich Kogler vor allem im letzten Nationalratswahlkampf entschieden gesträubt hatte. Die ÖVP-Linie ihrer Klientel gegenüber sei klar: Es sei trotz Pandemie alles so weit im Griff, ein Systemwechsel nicht notwendig, der Status quo, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, müsse aufrechterhalten werden.

Generell aber habe es derzeit den Anschein, als würde Wahlkampf herrschen, sagte Stainer-Hämmerle. Statt auf internen Dialog zu setzen, würde Retourkutsche auf Retourkutsche folgen, Gutachten gegen Gutachten ausgespielt werden. Der so erweckte Eindruck sei bisweilen „schwer erträglich“.