Bundeskanzler Sebastian Kurz
ORF.at/Lukas Krummholz
Kurz-Befragung durch Richter

Wie Ministerium Entscheidung begründet

Bundeskanzler Sebastian Kurz wird nicht von der WKStA in den Ermittlungen wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem U-Ausschuss befragt. Das wird nach Entscheidung des Justizministeriums durch einen Richter oder eine Richterin erfolgen. Genau das hatten Kurz und sein Anwalt zuvor mehrmals öffentlich gefordert. Die Opposition spricht von einer Sonderbehandlung. Das Ministerium begründet die Entscheidung mit zwei Faktoren.

Christina Ratz, Sprecherin im Ministerium, begründete die Entscheidung gegenüber Ö1 damit, dass in diesem Fall sowohl eine besondere Bedeutung des Beschuldigten als auch der eventuell begangenen Straftat vorliege. Daher gebe es ein öffentliches Interesse daran, dass es eine gerichtliche statt einer staatsanwaltschaftlichen Beweisaufnahme gebe. Das hatte Montagabend auch Justizministerin Alma Zadic in einer Aussendung so erklärt.

Die Entscheidung fußt auf Paragraf 101, Absatz 2 der Strafprozessordnung, das die Beschuldigtenvernehmung durch einen Richter oder eine Richterin regelt.

„Keine politische Frage“

Ratz betonte, es sei „eine Rechtsfrage, keine politische Frage“ entschieden worden. Das Justizministerium erteilte eine entsprechende Weisung an die Oberstaatsanwaltschaft Wien, der die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) untersteht. Sowohl die Ministerialsektion wie der unabhängige Weisungsrat und die Oberstaatsanwaltschaft sehen die besondere Konstellation im Fall Kurz gegeben: Erstmalig werde gegen einen amtierenden Bundeskanzler ermittelt, der in seiner Funktion als Kanzler und während seiner Amtszeit mutmaßlich eine Falschaussage begangen haben soll – und das vor einem verfassungsmäßig garantierten parlamentarischen Gremium – dem „Ibiza-U-Ausschuss“, wie Ratz betonte.

Die WKStA wollte laut ZIB die Entscheidung nicht weiter kommentieren. Dass es dafür eine Weisung gebraucht habe, zeige aber, dass man anderer Meinung sei.

Experte: Entscheidung „einwandfrei“

Diese Bestimmung habe in der Praxis bisher keine Bedeutung gehabt, erläuterte Verfassungsexperte Heinz Mayer. Sie habe aber einen „klaren Wortlaut“, und demnach könne man hier fast nicht zu einem anderen Ergebnis kommen. Er hätte wohl auch so entschieden, sagte Mayer – „schon allein deshalb, um nicht den Opfermythos zu nähren“. Die Entscheidung des Justizministeriums sei rechtlich „einwandfrei“.

„Kein Vorbehalt gegenüber WKStA“

„Diese Entscheidung zur gerichtlichen Beweisaufnahme betrifft ausschließlich die Beschuldigteneinvernahme des Bundeskanzlers“ und sei „ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen“ getroffen worden, hatte das Ministerium in der Aussendung weiter betont. Darin hält das Justizministerium schließlich auch ausdrücklich fest, dass mit dieser Entscheidung keinerlei Vorbehalt gegenüber der WKStA verbunden sei.

Diese bleibe den Ministeriumsangaben zufolge „als fallführende Staatsanwaltschaft“ auch weiterhin „Herrin des Verfahrens“. Darüber hinaus handle es sich um „eine Einzelfallentscheidung, die keine unmittelbaren Schlüsse für andere Verfahren und Beschuldigte zulässt“. Was das weitere Prozedere betrifft, werde die WKStA nun beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Antrag stellen. Wann die Beschuldigteneinvernahme stattfindet, ist derzeit noch offen.

Kurz-Anwalt forderte Richterbefragung

Dass die Befragung nicht durch die Staatsanwaltschaft, sondern durch einen Richter erfolgen soll, hatte zuvor auch ÖVP-Anwalt Werner Suppan gefordert – handle es sich doch um einen „besonderen Fall und eine besondere Persönlichkeit“. Sowohl Kurz selbst als auch die ÖVP hatten die WKStA in der Vergangenheit wiederholt attackiert und ihr vorgeworfen, parteipolitisch zu agieren. Justizministerin Zadic (Grüne) stellte sich dagegen hinter die Ermittler, die Staatsanwaltschaft selbst beklagte politisches Störfeuer gegen ihre Ermittlungen.

ÖVP: „Jetzt amtlich“

Anders als das Justizministerium interpretierte freilich der Fraktionsführer der ÖVP im „Ibiza“-U-Ausschuss, Andreas Hanger, die Entscheidung und unterstellte der WKStA erneut, nicht objektiv vorzugehen. Laut Hanger hätten einzelne WKStA-Staatsanwälte „schon bei der BVT-Razzia und vielen anderen Aktionen gezeigt, dass sie von Objektivität weit entfernt sind“. Nun sehe „auch das Justizministerium auf Antrag des Anwalts von Bundeskanzler Kurz die Notwendigkeit auf eine Vernehmung durch einen unabhängigen Richter anstatt der WKStA“, so Hanger, trotz der diesbezüglichen ausdrücklichen Klarstellung des Ministeriums.

ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior schlug am Dienstag in dieselbe Kerbe: Die WKStA hätte sich die „Niederlage ersparen können, wenn die eindeutige Rechtslage respektiert worden wäre“.

SPÖ: „Eindruck einer Zweiklassenjustiz“

Für den Kanzler werde „das gelebte Recht gebogen und somit der Eindruck einer Zweiklassenjustiz erweckt, weil er sich nicht durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft einvernehmen lassen will“, kritisierte dagegen SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim. Zadic müsse nun „erklären, warum Kurz eine Sonderbehandlung erhält“, so Yildirim, die dem Justizministerium per Aussendung ein „Einknicken vor Bundeskanzler Kurz“ vorwirft und „ein weiteres Warnzeichen für unseren Rechtsstaat“ ortet.

Ermittlungen nach Anzeige

Die WKStA ermittelt nach einer Anzeige gegen Kurz wegen des Verdachts, den „Ibiza“-U-Ausschuss in mehreren Punkten falsch informiert zu haben. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie intensiv Kurz unter Türkis-Blau in die Reform der Staatsholding ÖBAG involviert war. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Bei seiner Befragung im Ausschuss hatte der Kanzler seine Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats sowie bei der Bestellung des umstrittenen Ex-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid heruntergespielt und sinngemäß von normalen Vorgängen gesprochen. Später aufgetauchte Chatprotokolle legen allerdings eine enge Abstimmung zwischen Schmid und Kurz nahe.

Zuletzt hatte Kurz gemeint, auch bei einer Anklageerhebung gegen ihn nicht zurücktreten. „Ja, selbstverständlich“, antwortete Kurz in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung auf die Frage, ob ein Angeklagter Bundeskanzler sein könne. Er wisse, was er getan und nicht getan habe. „Ich habe definitiv immer vorsätzlich die Wahrheit gesagt“, bekräftigte der ÖVP-Chef seine Verteidigungslinie.

Kritik an Kurz-Befragung durch Richter

Im Rahmen der Ermittlungen gegen Sebastian Kurz (ÖVP) wird der Bundeskanzler nun von einem Richter – und nicht von den ermittelnden Staatsanwälten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – befragt. Die SPÖ spricht von einer „Zweiklassenjustiz“.

„Nicht gleichzeitig auf Regierungs- und Anklagebank“

Kritik an den Aussagen von Kurz kam am Montag von der Opposition. „Ein Kanzler kann nicht gleichzeitig auf der Regierungsbank und Anklagebank sitzen“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst ortete eine „Unverfrorenheit von ÖVP-Kanzler Kurz“, die „langsam unerträglich“ werde.

Auch NEOS zeigte sich kritisch: „Dass sich Kanzler Kurz offenbar nur Gedanken über die drohende eigene Anklage macht, dabei einmal mehr die unabhängige Justiz zu diskreditieren versucht und sich selbst freispricht, zeigt, dass er vor allem mit sich selbst beschäftigt ist“, so der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak.

Scharfe Kritik an Vergleich mit Missbrauch in Kirche

Für Kritik sorgten auch Aussagen des ÖVP-Chefs von vergangener Woche: In einem Interview mit Vol.at hatte der Kanzler einen Vergleich zwischen Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche und der Justiz gezogen. NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos sprach am Montag von einer „Entgleisung“ des Kanzlers und forderte deutliche Worte der Entschuldigung. Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Deutsch sei die ÖVP-„Dauerkampagne gegen die unabhängige Justiz“ schon schlimm genug – nun aber Staatsanwältinnen und Staatsanwälte „mit pädophilen Priestern in den Vergleich zu ziehen, ist ungeheuerlich und ein absoluter Tiefpunkt“. Yildirim forderte, Kurz müsse sich bei den Missbrauchsopfern für den Vergleich entschuldigen, da er sich damit mit ihnen gleichsetze.