Fußgängerin mit MN-Schutz in Sydney
Reuters/Loren Elliott
Australien

Gefangen in der eigenen Pandemiepolitik

Lange Zeit hat Australiens Premier Scott Morrison die eigene Coronavirus-Politik als weltweiten „Goldstandard“ bezeichnet. Das Land schottete sich fast völlig ab, schon bei wenigen Fällen werden scharfe Lockdowns verhängt. Doch immer mehr scheint die Strategie zum Bumerang zu werden: Während Melbourne und Adelaide nun Maßnahmen lockern, bleibt Sydney weiter im Lockdown. Und das Auf- und Zusperren wird wohl auch in den kommenden Monaten anhalten – vor allem weil es große Probleme beim Impfen gibt.

Betrachtet man den rein gesundheitlichen Aspekt, ist Australien mit seinen 25 Millionen Einwohnern mit extrem strikten Regeln erfolgreich im Kampf gegen die Pandemie. Landesweit wurden rund 33.000 Fälle bestätigt. Etwas mehr als 900 Menschen sind in Verbindung mit Covid-19 gestorben.

Doch der Preis dafür ist hoch: Die Grenzen sind schon seit März 2020 weitgehend geschlossen. Der wirtschaftliche Schaden durch die Lockdowns ist enorm, auch die Folgen der Schulschließungen für die Bildung sind nicht absehbar. Vor allem aber sorgte der Erfolg bei der Eindämmung des Virus zum Teil auch dafür, dass bei den Impfungen vieles schiefläuft.

Fehler bei Impfstoffbestellungen

Auch wegen der lange sehr niedrigen Ansteckungszahlen hatte die Regierung lange gewartet, um Verträge mit den Herstellern von Coronavirus-Impfstoffen abzuschließen. Sie setzte dann vor allem auf das Mittel von AstraZeneca und musste wegen Lieferproblemen immer wieder Verzögerungen in Kauf nehmen. Wegen der Warnung vor sehr seltenen Blutgerinnseln als Nebenwirkungen soll das AstraZeneca-Vakzin in Australien mittlerweile nur noch an über 60-Jährige verabreicht werden.

Jüngere können sich freiwillig für den Impfstoff entscheiden. Doch unter 40-Jährige können sich noch nicht für eine Impfung anmelden – es sei denn, sie zählen zu einer Risikogruppe.

Bei Impffortschritt weit hinten

Mittlerweile setzt die Regierung vor allem auf den Impfstoff von Biontech und Pfizer. 40 Millionen Dosen hat man für heuer bestellt, doch der Großteil davon soll erst ab Ende des dritten Quartals kommen. Immerhin hat man es geschafft, einige Chargen auf August vorzuziehen. Für Juli wurden 2,8 Millionen Dosen erwartet, für August 4,5 Millionen. Das heißt aber weiterhin, dass viele noch lange auf ihre Impfung warten müssen.

Premier Morrison bat zuletzt wegen der langsamen Impfkampagne um Entschuldigung. „Es tut mir Leid, dass wir die erhofften Zielmarken nicht erreichen konnten.“ 13,4 Prozent der Bevölkerung haben beide Dosen bereits erhalten, 17,5 Prozent nur eine. Das ist in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einer der schlechtesten Werte.

Doch es liegt nicht nur am langsamen Nachschub – auch die Impfbereitschaft ist nicht besonders hoch: Vor allem die – seltenen – Nebenwirkungen von AstraZeneca haben viele abgeschreckt. Und angesichts der eigentlich sehr geringen Fallzahlen im Land sah ein Teil der Bevölkerung die Impfung auch nicht als wirklich notwendig an.

Deutsche „Fake News“ als treibende Kraft bei Demos

Angesichts der verfahrenen Situation wächst der Druck auf Premier Morrison – und der Unmut in der Bevölkerung. Am Samstag kam es in mehreren Städten zu Großdemonstrationen, die zum Teil auch von Impfgegnern dominiert wurden. Eine treibende Kraft hinter den Protesten soll auch eine deutsche Plattform gewesen sein, die weltweit Falschnachrichten und Verschwörungstheorien in die Welt setzt. Erste Aufrufe zu den Demos sollen auf dem Telegram-Account einer Plattform aus Kassel verbreitet worden sein.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Demonstration in Sydney
AP/AAP Image/Mick Tsikas
In Sydney wurden erst am Freitag die CoV-Maßnahmen erneut verschärft – am Samstag gingen Tausende dagegen auf die Straße
Ausschreitungen bei Protesten in Sydney
APA/AFP/Steven Saphore
Bei den Protesten kam es zu Ausschreitungen mit den Sicherheitskräften
Festnahme bei Protesten in Sydney
APA/AFP/Steven Saphore
Dutzende wurden Polizeiangaben zufolge verhaftet

Sydney verlängert Lockdown

Dass auch solche Proteste weitergehen, ist anzunehmen: In Sydney wird der schon einen Monat bestehende Lockdown um vier weiter Wochen verlängert. 177 Neuinfektionen wurden am Mittwochim Bundesstaat New South Wales verzeichnet – ein neuer Höchstwert. In einem europäischen Land wären solche Werte fast schon wünschenswert, in Australien sorgen sie dafür, dass Lockdowns verlängert werden.

„Bitte seien Sie versichert, dass ich genauso verärgert und frustriert bin wie Sie, dass wir die Fallzahlen nicht so herunterbekommen haben, wie wir es gerne hätten“, sagte Regional-Premierministerin Gladys Berejiklian. Die Bürger dürfen nur in Ausnahmen ihre Häuser verlassen, die Schulen sind geschlossen. Berejiklian kündigte auch eine Lockerung an, die alleinstehende Menschen betrifft: Diese können im Rahmen der „Singles bubble“ (Single-Blase) ab sofort eine Person benennen, die sie regelmäßig zu Hause besuchen darf.

Nun soll vor allem versucht werden, Cluster dort zu vermeiden, wo sie derzeit besonders auftreten, etwa in systemrelevanten Unternehmen wie Supermärkten. Der australische Ärzteverband zweifelt aber mittlerweile daran, dass Lockdowns der weit ansteckenderen Delta-Variante Einhalt gebieten können. Im Worst-Case-Szenario hätte man dann einen Lockdown und steigende Infektionszahlen.

Melbourne und Adelaide lockern Maßnahmen – vorerst

Im australischen Bundesstaat Victoria mit der Millionenmetropole Melbourne wurden unterdessen nach zwei Wochen die strikten Maßnahmen weitgehend wieder aufgehoben. Am Mittwoch dürfen Schulen, Restaurants, Fitnessstudios und Geschäfte wieder öffnen. Zudem sind im Freien Treffen von bis zu zehn Menschen erlaubt. Zu Hause darf man aber weiterhin keine Gäste empfangen. Auch im Bundesstaat South Australia mit der Großstadt Adelaide ist die Lage wieder unter Kontrolle: Die vor einer Woche verhängten Beschränkungen enden hier ebenfalls – zumindest vorerst.