Kupferstich von Francisco Pérez zeigt Schiff María Pita
Francisco Pérez/Public Domain
Vakzine für Übersee

Die Kinder hinter der Balmis-Impfexpedition

Im spanischen Sevilla erinnert derzeit eine Ausstellung an eine vor rund 200 Jahren erfolgte Episode der Medizingeschichte, der im Kampf gegen die damals weltweit grassierende Pockenepidemie ein nicht unwesentlicher Beitrag zugeschrieben wird. Die Rede ist von der Königlichen philantropischen Impfstoffexpedition (Real Expedicion Filantropica de la Vacuna) – und aus den erstmals ausgestellten Dokumenten gehen nun etwa die Namen der bei der Expedition in einer Schlüsselrolle beteiligten Kinder hervor.

Erklärtes Ziel des vom spanischen Impfpionier Francisco Javier de Balmis angeführten Unterfangens war es, eine wenige Jahre zuvor vom englischen Arzt Edward Jenner entwickelte und in Europa bereits gegen die tödliche Infektionskrankheit angewandte Impfmethode nun auch in Spaniens damalige Überseegebiete einzuführen. Und Balmis hatte eine Antwort auf das hier wohl drängendste Problem – nämlich die Frage, wie ein in vitro lediglich zwölf Tage haltbarer Impfstoff auch bei einer rund zwei Monate dauernden Schiffsfahrt seine Wirkung nicht verliert.

„Die Reise und der Mangel an Kühlschränken veranlassten ihn, einen anderen Weg für den Transport des Medikaments zu finden“, so die spanische Zeitung „El Pais“. Konkret schlug der aus einer Chirurgenfamilie aus Alicante stammende Arzt vor, Personen mit dem Lebendimpfstoff zu spritzen und während der Reise durch sukzessive Übertragung an weitere Personen aktiv zu halten.

Balmis setze sozusagen auf eine menschliche Impfkette und rekrutierte dafür 22, großteils aus spanischen Waisenhäusern stammende Kinder, die noch nie an Pocken erkrankt und auch noch nicht dagegen geimpft worden waren. Die Strategie bestand darin, alle neun bis zehn Tage zwei Kinder zu infizieren und dann das Serum aus ihren Pusteln zu entnehmen, um dann zwei weitere Kinder damit zu infizieren usw., bis sie mit frischem Serum am Zielort ankommen.

1804 Ankunft in Puerto Rico

Als die Ende November 1803 von La Coruna aus in See gestochene „Maria Pita“ am 9. Februar 1804 Puerto Rico erreichte, war der Impfstoff bei zumindest einem Kind noch aktiv und der Plan von Balmis somit aufgegangen. Die Pockenschutzimpfung hat ein spanisches Überseegebiet erreicht und konnte für erste Massenimpfungen verwendete werden. Alle Kinder überlebten und blieben in Südamerika. Die Expedition teilte sich in der Folge in zwei Routen – während der Arzt Jose Salvany und dessen Assistent Manuel Grajales die Westküste Südamerikas ansteuerten, führte Balmis Weg über mehrere Etappen zunächst nach Acapulco.

Grafik zu Spaniens Königlich philantropische Impfexpedition
Grafik: ORF.at

Dort brach er im Februar 1805 zu einer weiteren Impfexpedition Richtung Manila auf den Philippinen auf. Mit an Bord waren diesmal 26 mexikanische Kinder, bei denen es sich entgegen der allgemeinen Annahme nicht um Waisen handelte, die zur Reise gezwungen wurden, sondern um Buben im Alter von vier bis 14 Jahren, die von ihren Eltern gegen Bezahlung übergeben wurden. Auch das geht laut „El Pais“ aus einem weiteren nun in Sevilla veröffentlichten „aufschlussreichen und detaillierten“ Dokument hervor.

„Billig und bahnbrechend“

Vor seiner Rückreise Richtung Europa setze Balmis seine Reise noch bis nach Macao fort. Am 14. August 1806 erreichte er Lissabon und am 7. September desselben Jahres Madrid. Bis zu 500.000 Menschen wurden ausgehend von den Kanaren, über Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Mexiko, den Philippinen und China während der bestaunten und vieldiskutierten Expedition direkt geimpft. Der Epidemiologe Alberto Garcia-Basteiro von der Universität Barcelona spricht gegenüber dem „Guardian“ von einer billigen, genialen und bahnbrechenden, heute aber wohl kaum mehr umsetzbaren Strategie.

Hommage an Kampf gegen CoV

Ob mit einer als „Operation Balmis“ bezeichneten Desinfektionsaktion in öffentlichen Einrichtungen oder der auf den Namen der während der Balmis-Expedition für die Betreuung der Kinder zuständigen Isabel Zendal getauften Notfallklinik in Madrid: In der laufenden Coronavirus-Krise wurde in Spanien zuletzt wieder verstärkt an die erste global ausgerollte Impfaktion und deren Protagonisten erinnert. Der Stoff wurde auch zuvor immer wieder aufgegriffen – etwa von der Schriftstellerin Almudena de Arteaga mit dem Roman „Los angeles custodios“ (Die Schutzengel) und dem von Robert Fonollosa produzierten TV-Film „22 Angeles“ (22 Engel).

Die Geschichte erscheint weiter nicht gänzlich auserzählt, wie das Archivo General de Indias (AGI) in Sevilla nun mit neuen Dokumenten nahelegt. Die ausgestellten Briefe, Pläne und Zeichnungen geben zudem einen Überblick über weitere, in den spanischen Überseegebieten zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert angewandten Methoden zur Pandemiebekämpfung. Ausstellungsmacher Manuel Alvarez spannt gegenüber „El Pais“ den Bogen schließlich bis zur laufenden Coronavirus-Pandemie und bezeichnet die Schau als Hommage an all jene, die gegen Covid-19 an vorderster Front gekämpft haben.