Selbstporträt von Frida Kahlo, 1948
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Kunst statt Kommerz

Neuer Blick auf Frida Kahlos Oeuvre

Frida Kahlo, die Kultfigur. Frida Kahlo, die Feministin. Frida Kahlo, die Stilikone. Vieles weiß man über ihr Leben, vergleichsweise wenig über ihr Werk. Kunsthistoriker machten es sich zur Aufgabe, das zu ändern. Sie legten nun einen imposanten Bildband vor, der erstmals Kahlos gesamtes Oeuvre vereint und neue Perspektiven eröffnet – auf Kahlo, die Künstlerin.

Mit Blumen im geflochtenen Haar, farbenprächtiger Kleidung, feinem Oberlippenbart und dichter Monobraue, so kennt man die Künstlerin, deren Konterfei millionenfach auf T-Shirts, Tassen, Schlüsselanhängern und mittlerweile auch auf Mund-Nasen-Schutzmasken gedruckt ist. Kommerz, der vor allem eines zeigt: Kahlo ist längst Kult.

Tatsächlich sei das Interesse an der 1907 geborenen mexikanischen Malerin in den vergangenen 50 Jahren unglaublich gestiegen, heißt es im Vorwort des kürzlich erschienenen Bildbands. Immer mehr Bücher und Artikel erschienen, über ihre Lebensgeschichte, ihr Haus, ja sogar über ihre Kleider. So gut wie jede Facette ihres Lebens wurde fein säuberlich skelettiert und der Öffentlichkeit dargeboten. Das Eigentliche, nämlich ihr künstlerisches Schaffen, sei jedoch allzu oft übersehen worden, so die Kritik.

Fotostrecke mit 7 Bildern

What Water Gave Me und Ixcuhintli Dog with Me von Frida Kahlo
Christie’s Images/Bridgeman Images; akg-images
Links: „Was das Wasser mir gegeben hat“ (1938/1939) ist das Ergebnis einer Selbstanalyse, die im „Fruchtwasser“ der Mutter beginnt und sich aus Erinnerungen des Lebens speist. Rechts: „Itzcuintli-Hund mit mir, Selbstporträt“ ist weder datiert noch signiert – zudem habe Kahlo auf eine Leinwand gemalt, die sie bereits zuvor schon einmal verwendete, so die Autoren.
Selbstportrait (mit Dr. Farill) 1951 und Portrait of Luther Burbank 1931
Rafael Doniz; akg-images
Links: Selbstportät Kahlos mit ihrem Doktor Faril (1951), das sie ihm als Geschenk für ihre Behandlung machte. Rechts: Das Porträt des US-amerikanischen Pflanzenzüchters Luther Burbank stammt aus dem Jahr 1931. Kahlo galt als Bewunderin seiner Arbeit – er züchtete mehrere hundert neue Obst-, Gemüse- und Zierpflanzen. In diesem Bild war es „das erste Mal, dass Kahlo die Metapher von Leben und Tod als ein großes Ganzes verwendete“, heißt es in dem Bildband.
Showing the Scar und Self-portrait (Time Flies) von Frida Kahlo
Rafael Doniz; LML Archive
Links: „Erinnerung an eine offene Wunde“, Bleistift auf Papier (1938): Die Skizze zeigt eine offene Wunde, die wohl mit ihrem gebrochenen Herzen in Verbindung steht, so die Theorie. Rechts: Das Selbstporträt „Die Zeit fliegt“ (1929) stammt aus einer privaten Sammlung. Die Kette gibt Hinweis auf Kahlos präkolumbische Vergangenheit, die Vorhänge sollen die Flagge Mexikos symbolisieren.
Self-portrait with Small Monkey und The Heart von Frida Kahlo
akg-images; Fine Art Images/Bridgeman Images
Links: „Selbstporträt mit kleinem Affen“ (1945) zeigt Kahlo umgeben von ihren beiden Haustieren sowie einer Tonfigur. Rechts: „Das Herz“ (1937): Weil der Schmerz in Kahlos Herz zu groß war, musste es ihren Körper verlassen.
The Little Deer Frida Kahlo, 1946
Fine Art Images/Bridgeman Images
„Das verwundete Reh“ (1946): Kahlo malte sich selbst als Reh, das seinem Instinkt folgt und um sein Leben flieht – gejagt vom Schmerz und den Schicksalsschlägen des eigenen Lebens.
Without Hope von Frida Kahlo, 1945
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„Ohne Hoffnung“ titelte Kahlo das 1945 entstandene Gemälde. Auf die Rückseite schrieb sie: „Nicht die geringste Hoffnung bleibt mir … Alles bewegt sich im Takt mit dem, was der Bauch enthält.“ Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich, ihr Arzt verordnete ihr nicht nur strenge Bettruhe, sondern auch eine Mastdiät.
The Dream (The Bed) von Frida Kahlo, 1940
Jorge Contreras Chacel/Bridgeman Images
„Der Traum“ oder „das Bett“, beide Titel sind für das 1940 entstandene Gemälde zulässig

Alle 152 Werke „erstmals“ vereint

Eine Monografie zu Kahlos von der mexikanischen Regierung zu „nationalem Kulturgut“ erklärten Bildern sei daher längst überfällig gewesen, sagte Herausgeber Luis-Martin Lozano gegenüber der BBC, die von Kahlo als „berühmteste Künstlerin aller Zeiten“ spricht. Das über fünf Kilogramm schwere Buch stellt die bisher „umfangreichste Studie“ zu Kahlos Gemälden dar.

Buchcover von „Frida Kahlo. Sämtliche Gemälde“
TASCHEN

Luis-Martin Lozano, Andrea Kettenmann, Marina Vazquez Ramos: Frida Kahlo. Sämtliche Gemälde. Taschen Verlag, 624 Seiten, 150 Euro.

Auf 624 Seiten versammelt es erstmals alle 152 Gemälde Kahlos (die meisten davon Öl) – viele davon stammen aus Privatsammlungen, die der Öffentlichkeit bisher verwehrt blieben. Zudem werden Arbeiten gezeigt, die als verschollen galten oder seit über 80 Jahren nicht mehr ausgestellt wurden. Und nicht zuletzt finden auch jene Werke Raum, die bisher einfach übersehen worden sind.

„Kahlo ist zu einer Ware geworden“

„Als Kunsthistoriker gilt mein Hauptinteresse Kahlos künstlerischen Arbeit“, erklärt Lozano. Wenn das in den vergangenen Jahrzehnten auch das Hauptinteresse von anderen gewesen wäre, würde es ein solches Buch nicht brauchen. „Aber die Wahrheit ist: Das war es nicht.“

Die meisten Leute auf Ausstellungen würden sich vorrangig für Kahlos Persönlichkeit interessieren – „wer sie ist, wie sie sich kleidet, mit wem sie ins Bett geht, ihre Liebhaber, ihre Geschichte.“ Aus diesem Grund seien auch immer und immer wieder dieselben Geschichten und dieselben Gemälde rezipiert worden. Schließlich würde sich alles mit Kahlo gut verkaufen. „Es ist bedauerlich zu sagen, aber sie ist zu einer Ware geworden“, stellt der Kunsthistoriker fest.

Salma Hayek als Frida Kahlo
picturedesk.com/Interfoto/NG Collection
Spätestens seit dem Film „Frida“ mit Salma Hayek in der Hauptrolle ist die Mexikanerin auch einem breiteren Publikum ein Begriff

Experte sieht „kunstgeschichtliches Durcheinander“

Das führe zu einem sehr kleinen Interpretationsspielraum, was die Bedeutung ihrer Werke betreffe. „Alles, was sie immer und immer wieder über die Bilder sagen, ist ‚Oh, es ist, weil sie Rivera (ihren Ehemann, Anm.) liebte‘, ‚weil sie kein Kind bekommen konnte‘, ‚weil sie im Krankenhaus liegt‘. In manchen Fällen stimmt es – aber da steckt so viel mehr dahinter“, konstatiert Lozano.

Auch sei aufgrund des gängigen Narrativs ein beträchtlicher Teil ihres ohnehin überschaubaren Oeuvres bisher kaum beachtet worden. Über einige Werke sei „erstaunlicherweise“ noch nie geschrieben worden. „Nie, kein einziger Satz!“ Andere Gemälde wären hingegen falsch betitelt oder datiert worden. „Es ist ein Durcheinander, was die Kunstgeschichte angeht“, so Lozano.

 Frida Kahlo 1951
bpk/IMEC/Fonds MCC/Gisele Freund
Kahlo neben einer präkolumbischen Skulptur – auch ihre Kunst changiert zwischen Tradition und Moderne, Lateinamerika und Europa

Wer war Kahlo als Künstlerin?

Das Ziel von Lozano und seinen Kolleginnen Andrea Kettenmann, Marina Vazquez Ramos dürfte somit gewesen sein, Ordnung in das Chaos zu bringen – und Antworten auf Fragen zu finden wie: „Wer war Kahlo als Künstlerin? Was hielt sie von ihrer eigenen Arbeit? Was wollte sie als Künstlerin erreichen? Und was bedeuten diese Bilder an sich?“

So wird der Band durch Zeitungsartikel, Skizzen, Fotografien, Notizen, Tagebuchseiten und persönliche Briefe ergänzt, die allerlei Hintergrundinformationen zutage tragen. Inhaltlich gliedert sich das Buch in vier Abschnitte, die gleichzeitig Kahlos künstlerische Schaffensphasen widerspiegeln: Begonnen bei den „Jahren des Lernens“ (1925–1929) bis zu „Der Wille weiterzuzeichnen bis zum Ende“ (1947–1954). Im Anhang findet sich zudem eine umfangreich illustrierte Biografie der Künstlerin.

Buchseiten von „Frida Kahlo. Sämtliche Gemälde“
TASCHEN
Ein Blick ins Buch zeigt die sorgfältige Aufbereitung von Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Werken

Das Herzstück ist zweifellos allerdings der Katalog, der sich im hinteren Teil des Werks finden lässt. Über hundert Seiten erstrecken sich die detaillierten Beschreibungen jedes einzelnen ihre Werke, die einen neuen Blick auf ihr künstlerisches Schaffen erlauben und somit, wie von Lozano intendiert, zu einem „tieferen Verständnis“ der Künstlerin beitragen.

Stillleben voller Leben

Eine tiefergehende Beschäftigung mit Kahlo schließe auch ein, sich nicht nur ihren berühmten Selbstporträts, sondern auch früheren Arbeiten zuzuwenden. Also jene Bilder, „die vielleicht nicht mit Kahlo assoziiert werden“, so Lozano.

Zu diesen zählen etwa Stillleben – für die Kahlo, wie man bei der Lektüre erfährt, eine eigene Bezeichnung prägte. Anstelle von „naturalezas muertas“, auf Deutsch so viel wie „tote Natur“, soll sie es bevorzugt haben, lediglich von „naturalezas“ zu sprechen – „weil sie für sie nicht tot waren, sondern voller Leben“.

Still Life (Long Live Life) von Frida Kahlo,  1953/54
Rafael Doniz
152 Bilder malte Kahlo, 50 davon sind Selbstporträts. Unbekannter sind indes ihre Stillleben. Dieses stammt aus 1953/54, Kahlo malte es also kurz vor ihrem Tod. Sie widmete es ihrem Arzt, wie aus der Fahneninschrift hervorgeht: „Es lebe das Leben und Dr. Juan Farill“.

„Ich habe meine Realität gemalt“

Unwiderruflich kommt einem bei dieser Negierung festgefahrener Kategorien und Klassifikationen wohl jener Ausspruch Kahlos in den Sinn, den sie einst ihren Künstlerkollegen entgegenschmetterte: „Sie dachten, ich wäre eine Surrealistin, aber ich war keine. Ich habe niemals Träume gemalt. Ich habe meine Realität gemalt.“

Wie sehr Kahlo zwischen den einzelnen Kunstströmungen, europäisch wie lateinamerikanisch, Tradition wie Moderne, changierte, vermag der Bildband ebenso eindrucksvoll aufzuzeigen wie den thematischen Facettenreichtum ihrer Werke. Und der entspringt nicht zuletzt dann doch wieder der Vielfalt ihres persönlichen Lebens.