Türkische Bayraktar TB2 Drone
AP
Bericht

Fluchtbewegung durch Waffen aus Europa

Der Waffenhandel ist weltweit ein lukratives Geschäft, auch europäische Länder sind vorne mit dabei. Nun stellte eine niederländische Denkfabrik eine direkte Verbindung zwischen europäischen Waffengeschäften und der Vertreibung von über einer Million Menschen her.

Der Bericht des Transnational Institute (TNI), der am Mittwoch veröffentlicht wurde, zeichnet ein düsteres Bild vom Teufelskreis aus Gewalt und Flucht: Waffen aus Europa seien trotz des UNO-Waffenhandelsvertrags und der EU-Regeln zu Waffenausfuhren für die Vertreibung von 1,1 Millionen Menschen in Kriegsgebieten verantwortlich.

„Europäische Waffen wurden in Militäroperationen genutzt, die zur Destabilisierung führten und in Zwangsvertreibungen und Migration resultierten. Die Destabilisierung, die durch die von Europa gelieferten Waffen erleichtert wurde, trug dann dazu bei, dass Europa seinen Grenzsicherheitsapparat massiv ausbaute, um auf die offensichtliche Bedrohung durch Flüchtlinge zu reagieren, die versuchen, Asyl zu suchen“, so das TNI.

Fallstudien über Waffen in Konflikten

„Die Zahl von 1,1 Million ist eine konservative Schätzung, die auf Fallstudien basiert, die europäische Waffen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens geolokalisierten“, so Niamh Ni Bhriain vom TNI laut dem Onlinemagazin EUobserver. Wahrscheinlich sei aber, dass es sich noch um etliche Millionen mehr handle. Für den Bericht analysierte das Institut Fälle, in denen Waffen, Bestandteile, Zubehör und Equipment aus Europa in Kriegsgebieten eine Rolle spielten.

So seien etwa italienische T-129-ATAK-Hubschrauberkomponenten an die Türkei geliefert worden und 2018 und 2019 bei zwei Angriffen im nordsyrischen Afrin eingesetzt worden.

Ein anderes Beispiel zeige, wie britische, französische und deutsche Komponenten und Produkte, darunter Raketen und Raketenbatterien, in die Türkei exportiert worden seien, von wo sie nach Aserbaidschan weiter geliefert wurden. Diese Raketen seien, montiert auf Drohnen, während des Konflikts um Bergkarabach eingesetzt worden. Eine weitere Fallstudie bezog sich auf die Spende mehrerer italienischer Patrouillenschiffe an Libyen, um Geflüchtete abzuhalten.

Forderung nach schärferer Krontrolle

Mit einem methodischen Mix aus Untersuchungen von Open-Source-Daten, Berechnungen und der Analyse dokumentarischer Quellen und Interviews habe man einen Kausalzusammenhang mit der Flucht von mindestens 1,1 Millionen Menschen festgestellt, so das Institut. „Es ist möglich, Waffen, militärische Ausrüstung und Technik vom Herkunfts- und Exportort bis zum Einsatzort methodisch zu verfolgen und ihre verheerenden Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung zu dokumentieren“, heißt es im Bericht.

Flucht aus Bergkarabach
AP/Sergei Grits
Flucht aus Bergkarabach im Vorjahr: TNI sieht einen direkten Zusammenhang mit europäischen Waffen

Es sei unmöglich zu bestimmen, wie die Waffen verwendet werden, sind sie einmal gehandelt. Die Regeln seien vorhanden, aber Kontrollmechanismen zu lasch. Sektoren wie die Landwirtschaft würden weit stärker reguliert, obwohl diese nicht „das Grundrecht auf Leben und andere Menschenrechte untergraben wie der Waffenhandel“.

Lukratives Geschäft

Das Geschäft mit Waffen und Munition, Drohnen, Radarsystemen und Panzern wirft enorme Gewinne ab. Die gesamten weltweiten Militärausgaben stiegen laut Stockholm International Peace Institute (SIPRI) im vergangenen Jahr auf 1.981 Milliarden US-Dollar, das ist ein Anstieg von 2,6 Prozent gegenüber 2019. Nach den USA und Russland sind zwei europäische Länder unter den Topwaffenexporteuren der Welt: Deutschland und Frankreich. Beide Nationen verzeichneten in den vergangenen Jahren große Zuwächse bei ihren Waffenexporten.

SIPRI analysierte auch, wo die meisten Lieferungen insgesamt hingingen: zu einem großen Teil in den Nahen Osten. In den Jahren 2015 bis 2020 nahmen die Importe in Katar um 361 Prozent, in Ägypten um 136 Prozent und in Saudi-Arabien um 61 Prozent zu. Trotz der Pandemie verharren die internationalen Rüstungslieferungen auf dem höchsten Stand seit Ende des Kalten Krieges.

Europäische Länder sind aber den Regeln von UNO und EU unterworfen. Sie besagen, dass Waffenlieferung in Kriegsländer verboten sind. Ein Land dürfe keine Transfers genehmigen, wenn es Kenntnis davon hat, dass diese bei der Begehung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schweren Verstößen gegen die Genfer Konventionen oder gegen Zivilisten eingesetzt werden könnten. Waffenausfuhren dürfen keinen bewaffneten Konflikt provozieren oder verlängern.

Proteste gegen Lieferungen an Saudi-Arabien

Dennoch wurde EU-Ländern wiederholt vorgeworfen, mit Waffen Konflikte anzuheizen. In Frankreich etwa wurden mehrmals Beladungen saudischer Frachter von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten behindert. NGOs wie Amnesty International und Oxfam wollten so verhindern, dass französische Ausrüstung im Bürgerkrieg im Jemen eingesetzt werden könnte. Es handle sich um einen „gnadenlosen Krieg“ und „unsägliche Gräueltaten an einem wehrlosen Volk“, hieß es. „Wir können nicht akzeptieren, dass der Hafen von Cherbourg für diesen Konflikt genutzt werden soll“, so eine gemeinsame Erklärung im Vorjahr.

Das EU-Parlament unternahm Vorstöße, um die Kontrollen zu verstärken. Manche EU-Abgeordnete machen sich für einen zentralen Kontrollmechanismus für Waffenexporte stark. Das Problem ist die Uneinigkeit der Mitgliedsstaaten bei dem Thema. Eine baldige Verschärfung ist nicht zu erwarten.

Problem ohne Lösung

Dass die Waffen, die legal gehandelt werden und nicht gegen internationale Vereinbarungen verstoßen, am Ende nicht in falsche Hände geraten, ist aber schwer durchzusetzen. „Das ist eine Frage, bei der wir an unsere Grenzen stoßen“, sagte etwa der Chef des französischen Verteidigungsunternehmens Arquus gegenüber dem Sender euronews. Man handle verantwortungsbewusst und halte sich an alle Vorschriften. „Wir können den Einsatz unserer Materialien allerdings nicht langfristig verfolgen, vor allem halten diese Geräte mehrere Jahre, ja sogar mehrere Jahrzehnte. Es gibt hier also ein echtes Problem, aber nicht unbedingt eine praktische Lösung.“