Bild zeigt die belarussische Athletin Kristina Timanowskaja.
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Olympia

Sprinterin aus Belarus erhält in Polen Asyl

Die belarussische Olympiateilnehmerin Kristina Timanowskaja hat nach Berichten über eine versuchte Zwangsrückführung in ihre Heimat in der polnischen Botschaft in Tokio einen Asylantrag gestellt. Sie hat ein humanitäres Visum erhalten, teilte der Staatssekretär im polnischen Außenministerium, Marcin Przydacz, Montagmittag via Twitter mit.

Timanowskaja hatte am Sonntag mitgeteilt, sie sei nach einer Beschwerde über ihre Trainer zum Flughafen Tokio gebracht worden, um gegen ihren Willen in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden. Sie habe jedoch bei der japanischen Polizei um Schutz gebeten. Neben Polen boten auch andere Länder Timanowskaja Hilfe und Asyl an.

Man stehe in einem Prozess „intensiver Kommunikation“ mit den japanischen Behörden, hieß es dazu etwa von tschechischer Seite. Kristina sei willkommen, teilte der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa auf Twitter mit. Frankreichs Europaminister Clement Beaune hatte sich für politisches Asyl in der EU ausgesprochen. „Das wäre eine Ehre für Europa“, sagte er dem Sender RFI.

Ehemann aus Belarus geflohen

Am Montag bestätigte dann Przydacz Agenturberichte, wonach die belarussische Sprinterin die polnische Botschaft aufgesucht habe, um dort einen Asylantrag zu stellen. Die Flagge von Polen stehe immer für Solidarität, so Przydacz, dem zufolge Polen nun auch alles Notwendige tun werde, um der Sportlerin „bei der Fortsetzung ihrer sportlichen Karriere zu helfen". Sie hat die freie Wahl, ihre sportliche Karriere in Polen fortzusetzen, wenn sie sich dafür entscheidet“, führte der Politiker weiter aus.

Die Sportlerin werde laut Przydacz in den kommenden Tagen nach Polen reisen, sie sei in Sicherheit und es gehe ihr gut. Am Abend teilte die oppositionelle belarussische Athletenvertretung Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) mit, dass die Athletin am Mittwoch nach Warschau fliegen werde. Sie habe bereits ein polnisches Visum erhalten.

Ehemann in Ukraine

Die EU-Kommission erklärte sich mit der Sprinterin solidarisch und begrüßte die Unterstützung durch die EU-Mitgliedsstaaten. Der Versuch, Timanowskaja mit Gewalt in ihr Heimatland zu bringen, sei ein weiteres Beispiel dafür, mit welcher Brutalität das Regime die Menschen in Belarus unterdrücke.

Aus dem ukrainischen Innenministerium verlautete, dass ihr Ehemann Arseni Schdanewitsch in die Ukraine eingereist sei. Nach Angaben des belarussischen Oppositionspolitiker Pavel Latuscka wolle er weiter nach Polen, um dort seine Frau zu treffen. AFP-Angaben zufolge befinde sich Timanowskajas Ehemann ebenfalls auf der Flucht. Wegen des Konflikts seiner Frau mit den Behörden seien sie in Belarus „nicht sicher“, wie er laut AFP dazu sagte.

Versuchte „gewaltsame“ Ausreise

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) bestätigte am Montag, die Läuferin habe die Nacht in einem Hotel am Tokioter Flughafen Haneda in einer „sicheren Umgebung“ verbracht. Sie befinde sich in den Händen der Behörden, sagte IOC-Sprecher Mark Adams, ohne jedoch nähere Angaben dazu zu machen. Man habe vom olympischen Komitee ihres Landes einen schriftlichen Bericht eingefordert.

Die 24-jährige Athletin hatte in einem Video, das die BSSF am Sonntag veröffentlichte, erklärt, sie habe gegen ihren Willen aus Japan ausgeflogen werden sollen, nachdem sie öffentlich Kritik an belarussischen Sportfunktionären geäußert habe. Die BSSF sprach von einer versuchten „gewaltsamen“ Ausreise.

Das Belarussische Olympische Komitee hatte zuvor auf Telegram erklärt, die Athletin sei von einem Arzt untersucht worden und werde wegen ihrer „emotional-psychischen Verfassung“ nicht an weiteren Wettkämpfen teilnehmen.

Die weißrussische Leichtathletin Krystsina Tsimanouskaya mit Polizisten auf dem Flughafen in Tokio
Reuters/Issei Kato
Auf Tokios Haneda-Flughafen wandte sich die Läuferin an die japanische Polizei

„Bestmöglich beraten“

Der Präsident des Österreichischen Olympischen Comites (ÖOC), Karl Stoss, erklärte am Montag, Timanowskaja sei an das UNO-Flüchtlingshochkommissariat vermittelt worden. Ihm zufolge werde Timanowskaja „geholfen, und sie wird bestmöglich beraten“. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, Timanowskaja strebe Asyl in Deutschland oder Österreich an.

In einer Stellungnahme des Außenministeriums gegenüber der ZIB2 hieß es zuerst, dass es keine Kontaktaufnahme der Sportlerin gegeben habe. Am Dienstag erklärte ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg gegenüber der „Presse“, dass Österreich sehr wohl bereit gewesen wäre, Timanowskaja aufzunehmen. Doch sie habe sich nicht gemeldet und dann für Polen entschieden. „Wir haben sie erwartet. Es liegt an ihr, wofür sie sich entscheidet“, so Schallenberg.

Asyl in Polen für Olympiaathletin

Die belarussische Olympiaathletin Kristina Timanowskaja dürfte in Polen Asyl bekommen. Das Land hat ihr ein humanitäres Visum ausgestellt. Auch ihr Ehemann hat Belarus bereits verlassen. Da einer ihrer Betreuer Österreicher ist, wurde am Sonntag auch über einen Asylantrag hierzulande spekuliert.

Das ÖOC bestätigte unterdessen, dass „ÖLV-Nationaltrainer Philipp Unfried mit ihr im Vorfeld der Spiele zusammengearbeitet hat. Er steht aber aktuell nicht in Kontakt mit Timanowskaja, ist in die diplomatischen Verhandlungen naturgemäß nicht eingebunden. Das gilt auch fürs ÖOC. Wir sind in keiner Weise involviert.“ Unfried schreibt die Trainingspläne für Timanowskaja.

Kritik an Funktionären geübt

Timanowskaja, die am Montag über 200 m antreten sollte, hatte Kritik an einem Sportfunktionär ihres Landes geübt, weil sie dieser ohne ihr Wissen für die 4-x-400-m-Staffel eingeteilt hatte. Einige Läuferinnen waren laut Timanowskaja wegen verpasster Dopingtests ausgefallen. „Es stellt sich heraus, dass unsere großartigen Chefs wie immer alles für uns entschieden haben“, schrieb sie daraufhin auf Instagram.

„Anweisung von oben“

Belarussische Staatsmedien hätten daraufhin eine Kampagne gegen die Leichtathletin begonnen und sie als „Schande für die Nation“ bezeichnet, berichtete der Journalist Tadeusz Giczan auf Twitter. Wie Giczan hervorhob, habe Timanowskaja nicht das Regime des autoritär regierenden Staatschefs Alexander Lukaschenko kritisiert, sondern sich in einem Video lediglich darüber beklagt, dass der belarussische Verband sie für einen Bewerb registriert hat, für den sie nicht trainiert habe.

Leiter des Olympischen Komitees von Belarus ist Viktor Lukaschenko, der älteste Sohn des Staatschefs. Gegenüber Reuters erklärte Timanowskaja, ihr Cheftrainer habe ihr gesagt, die „Anweisung von oben“ zu haben, sie zu „entfernen“.

Appell an IOC auf Flughafen

Am Sonntag seien Betreuer in ihr Zimmer gekommen und hätten ihr aufgetragen zu packen. Die Leichtathletin wurde zum Flughafen Haneda in Tokio gebracht. Auf dem Airport wandte sie sich an die japanische Polizei und bat um Hilfe. In einem Video rief die 24-Jährige das Internationale Olympische Komitee zum Einschreiten auf: "Ich stehe unter Druck, das belarussische Team versucht, mich gegen meinen Willen aus dem Land zu bringen. Dem Onlinemedium By.tribuna.com sagte sie: „Ich habe Angst, dass man mich in Belarus ins Gefängnis stecken könnte.“

Das Olympische Komitee von Belarus erklärte nach der Kritik, die 24-Jährige scheide auf ärztliches Anraten wegen ihres „emotionalen und psychologischen Zustands“ aus dem Wettbewerb aus. Die Athletin wies das als Lüge zurück und erklärte laut BSSF, dass sie noch nicht einmal untersucht worden sei. Sie hätte „nicht so harsch reagiert, wenn man mich vorher informiert, mir die ganze Situation erklärt und mich gefragt hätte, ob ich in der Lage sei, die 400 m zu laufen“, so die Athletin in einem späteren Instagram-Post. „Aber sie haben beschlossen, alles hinter meinem Rücken zu machen.“

Oppositionschefin fordert Untersuchung

Die im Exil lebende belarussische Oppositionschefin Swetlana Tichanowskaja bedankte sich auf Twitter für die rasche Reaktion des IOC. Die Sprinterin habe „das Recht auf internationalen Schutz“ und darauf, weiter an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Zudem forderte sie eine Untersuchung wegen der Verletzung der Rechte der Athletin.

„Der Fall mit der Leichtathletin Timanowskaja ist eine klare Illustration dafür, wie ein bürokratisches System, das sich ein ganzes Jahr lang der Selbstkontrolle und jeglicher Toleranz gegenüber Kritik entledigt hat, eine unbedeutende Episode in einen internationalen Skandal verwandelt“, kommentierte der belarussische Politologe Artjom Schrajbman in seinem Telegram-Kanal am Sonntagabend. Dabei gehe es um die Reputation des Staates, erklärte der Experte, der selbst Anfang Juni 2021 ins Ausland geflohen war.

Hunderte politische Gefangene

Erst am Montag listete die Menschenrechtsorganisation Wjasna 605 politische Gefangene im Land, am vergangenen Montag waren es noch 583 gewesen. Die renommierte NGO, die vergangene Woche mit dem deutschen Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung ausgezeichnet worden war, steht unter Druck: Neben ihrem Leiter Ales Bjaljazki, seinem Stellvertreter Walentin Stefanowitsch und Wjasna-Anwalt Wladimir Labkowitsch, befanden sich zuletzt auch weitere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Untersuchungshaft.

Kritik kam am Montag auch von Amnesty International: Sportlerinnen und Sportler mussten ihre Karriere und ihre Freiheit aufgeben, weil sie sich gegen die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land aussprachen, geht laut einer Aussendung vom Montag aus einem neuen Amnesty-Bericht hervor. Nach Angaben der BSSF, die politisch verfolgte Sportler unterstützt, wurden bisher 95 Athleten wegen der Teilnahme an friedlichen Protesten inhaftiert.

Der belarussische Machtapparat von Lukaschenko geht hart gegen Kritikerinnen und Kritiker und Andersdenkende vor. Zuletzt hatte es Razzien gegen unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen gegeben, bei denen mehrere Menschen festgenommen wurden. Die EU erkennt den immer wieder als „letzten Diktator Europas“ kritisierten Lukaschenko seit der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl vor rund einem Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt an. Bei Protesten in den Monaten nach der Wahl gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen.