Panzer einer russischen Basis an der Grenze von Tadschikistan und Afghanistan
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Afghanistan-Konflikt

Erhöhte Alarmbereitschaft in Tadschikistan

Angesichts der sich verschärfenden Sicherheitslage in Afghanistan hält Russland mit den Anrainerstaaten Tadschikistan und Usbekistan Militärmanöver in der Grenzregion ab. Am Montag begann die gemeinsame Übung russischer und usbekischer Soldaten, am Donnerstag soll ein trilaterales Manöver zusammen mit Tadschikistan folgen, wo man angesichts der immer näher rückenden radikalislamistischen Taliban zunehmend besorgt über die Grenze nach Afghanistan blickt.

Vor dem Hintergrund des Taliban-Vormarsches befindet sich das tadschikische Militär bereits seit Wochen in erhöhter Alarmbereitschaft. Demzufolge nahmen zuletzt bei einem großangelegten Militärmanöver mit rund 230.000 Beteiligten auch Reservisten teil. Zum ersten Mal sei in dieser Größenordnung die „Kampfbereitschaft“ des Landes überprüft worden, wie das Verteidigungsministerium dazu Ende Juli mitteilte.

Ab Donnerstag steht nun ein gemeinsames Manöver mit Russland und Usbekistan an. Russischen Angaben zufolge sollen sich nun 1.800 statt der anfangs geplanten 1.000 russischen Soldaten an der Übung beteiligen. Dass solche Manöver stattfinden und sich jetzt auch Russland daran beteiligt, mache Beobachtern zufolge mehr als deutlich, wie groß die Sorge vor einer Verschärfung der Lage in Afghanistan und den Folgen für die gesamte Region ist.

Russischer Militärstützpunkt

Tadschikistans Präsident Emomali Rachmon bezeichnete die Lage in Afghanistan zuletzt als äußerst unsicher. Tadschikistan verlegte bereits 20.000 zusätzliche Soldaten an die Grenze zu Afghanistan. Die Sicherung der rund 1.300 Kilometer langen Grenze steht nun auch im Fokus des unter Federführung Russlands anstehenden Manövers. Das autoritär regierte Land ist allerdings auch im Innern alles andere als stabil.

Russland werde seine zentralasiatischen Verbündeten angesichts der sich in Afghanistan verschlechternden Lage mit Waffen, Ausrüstung und Ausbildung unterstützen, sagte dazu Russlands Verteidigungsminister Sergei Kuschugetowitsch Schoigu zuletzt bei einem Besuch in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Laut „Moscow Times“ verwies der Minister bei seinem Besuch auch auf den Moskauer Stützpunkt im Land, dem nun eine Schlüsselrolle zukommen könnte.

An sich hätte Russlands Militärpräsenz in Tadschikistan 2014 auslaufen sollen, daran erinnerte in diesem Zusammenhang das Nachrichtenportal The Diplomat. Ein Jahr zuvor habe sich Russland aber entschieden, bis 2042 an seinem derzeit wohl „wichtigsten ausländischen Stützpunkt“ (Zitat The Diplomat, Anm.) festzuhalten.

„Möglich, 100.000 Flüchtlinge aufzunehmen“

Tadschikistan bereitet sich unterdessen auch auf die Aufnahme einer großen Zahl von Menschen aus Afghanistan vor, die vor den militant-islamistischen Taliban in ihrer Heimat auf der Flucht sind. Nach Angaben des hier zuständigen tadschikischen Notfallkomitees könne das Land derzeit rund 100.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufnehmen. Erste Vorbereitungen dafür seien bereits abgeschlossen. Die Menschen sollten auf Truppenübungsplätzen untergebracht werden – zwei Zeltlager stünden kurz vor der Fertigstellung, wie das Notfallkomitee Ende Juli weiter mitteilte.

Mehrere hundert Menschen aus dem Nachbarland, in dem es auch eine tadschikische Minderheit gibt, wurden den Angaben zufolge bereits aufgenommen. Auch rund 1.000 Soldaten der afghanischen Armee seien Medienberichten zufolge vor den Taliban ins benachbarte Tadschikistan geflohen. Zudem hatte die US-Regierung zuletzt Tadschikistan gebeten, Afghanen Zuflucht zu bieten, die mit der US-Armee zusammengearbeitet haben und deswegen eine Verfolgung durch die Taliban fürchten.

Umkämpfte Provinzhauptstadt

Die Taliban haben mit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai mehrere Offensiven gestartet und dabei große Gebietsgewinne erzielt. Mittlerweile kontrollieren sie knapp über die Hälfte aller Bezirke Afghanistans. Besonders umkämpft ist derzeit die Provinzhauptstadt Laschkar Gah im Süden des Landes. Sollte die 200.000 Einwohner zählende Stadt fallen, wäre es die erste Provinzhauptstadt seit 2016, die die Taliban erobern.

Die Einnahme eines der großen urbanen Zentren Afghanistans würde die Dynamik des Konflikts nach Einschätzung von Experten zugunsten der Islamisten verändern. Beobachter befürchten, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der NATO-Truppen wieder die Kontrolle in Afghanistan übernehmen könnten.

Nach harten Kämpfen am Wochenende gab es am Montag auch weitere Angriffe auf die Provinzhauptstädte Kandahar und Herat. Tausende Zivilisten flohen vor der Gewalt. Präsident Ashraf Ghani machte den raschen US-Truppenabzug für die dramatische Lage verantwortlich. Die Behörden haben laut Präsident Ghani einen Sechsmonatsplan für den Kampf gegen die Islamisten ausgearbeitet. Der Präsident räumte aber ein, dass die Aufständischen nicht länger eine „verstreute und unerfahrene Bewegung“ seien. „Wir haben es mit einem organisierten Kommando und einer organisierten Führung zu tun.“

USA werfen Taliban Kriegsverbrechen vor

US-Angaben zufolge kam es in den von den Taliban kürzlich eroberten Gebieten auch zu Kriegsverbrechen. Im Bezirk Spin Boldak der Provinz Kandahar im Süden des Landes hätten Taliban-Kämpfer Dutzende Zivilisten aus Rache massakriert, hieß es in einem am Montag von der US-Botschaft veröffentlichten Tweet. Die Berichte über Gräueltaten der Taliban seien „zutiefst verstörend und vollkommen inakzeptabel“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. Die Taliban würden kaum Rücksicht auf menschliches Leben und die Rechte des afghanischen Volkes nehmen.

Die Taliban wiesen die Vorwürfe kategorisch zurück und bezeichneten sie als Propaganda des Feindes. In der Vergangenheit waren allen Kriegsparteien immer wieder Kriegsverbrechen vorgeworfen worden. Zuletzt hatte die Anzahl getöteter Zivilisten in dem Land UNO-Angaben zufolge Rekordwerte erreicht.

Die Vereinten Nationen haben die Kriegsparteien in Afghanistan dazu aufgerufen, Zivilisten besser zu schützen. Die Bodenoffensive der Taliban und Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe verursachten momentan den größten Schaden, teilte die UNO-Mission in Afghanistan (UNAMA) am Dienstag auf Twitter mit. Sollten die Parteien nicht mehr für den Zivilschutz tun, drohten „katastrophale“ Auswirkungen.