Finger auf dem Logo der Telegram-APP
Reuters/Dado Ruvic
Flucht und Migration

Telegram-Gruppen locken nach Litauen

Junge Menschen, insbesondere aus dem Irak, werden in spezifischen Gruppen der Messenger-App Telegram nach Litauen gelockt. Vermutet wird, dass ein organisiertes Netzwerk dahintersteckt. Litauen glaubt, den Drahtzieher längst ausfindig gemacht zu haben: den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko.

Die Kanäle würden Menschen mit falscher Hoffnung locken, schrieb der „EU Observer“ diese Woche, weil die meisten wahrscheinlich inhaftiert und möglicherweise wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt würden, wenn sie nicht asylberechtigt seien. Via Litauen, so heißt es in den Gruppen, soll es einfacher sein, in weitere EU-Länder zu kommen. Genannt werden etwa Österreich, Deutschland und Italien.

Die Chatgruppen haben Tausende Mitglieder. Teilweise werden darin auch Schlepperagenturen beworben. „Flug und Genehmigung für 750 Dollar (ca. 631 Euro, Anm.). Ohne Versicherung, und Ihr Reisepass bleibt in Ihrem Besitz“, heißt es etwa in einer Gruppe laut dem Nachrichtenportal. Auch würden aus der Luft gegriffene Behauptungen und „Fake News“ verbreitet.

Migranten und Migrantinnen in Druskininkai, Litauen
Reuters/Janis Laizans
Die plötzliche Migrationsbewegung in Litauen wird als von Belarus gesteuert gesehen

„Die Europäische Union wartet darauf, dass die Zahl von 10.000 erreicht wird, um sie (die Ankömmlinge, Anm.) auf die Länder zu verteilen“, schreibt ein User etwa fälschlicherweise. Die meisten Menschen stammen „EU Observer“ zufolge aus dem Irak, aber auch Syrerinnen und Syrer seien unter den Userinnen und Usern. Menschen aus Syrien dürften mit höheren Chancen rechnen, auch tatsächlich Asyl in der EU zu bekommen.

Chats von Lukaschenko-Regime gesteuert?

Nur einige wenige Nachrichten in den Chats weisen darauf hin, dass es sich um eine Verschwörung handeln könnte, in der Menschen aus prekären Lagen und Kriegsgebieten zum Spielball politischer Machtstrukturen würden. So wird etwa vor Reisen gewarnt, da die Gruppen vom autokratisch regierten Belarus aus gesteuert würden und Lukaschenko sich damit an der EU für restriktive Maßnahmen rächen wolle.

Lukaschenko hat im vergangenen Jahr eine gefälschte Wahl für eine weitere Amtszeit gewonnen, was zu einer umfassenden Unterdrückung und Inhaftierung Oppositioneller führte. Die EU reagierte nach der von Belarus erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs und anschließender Verhaftung eines oppositionellen Aktivisten schließlich mit Sanktionen. Dem belarussischen Regime wird seither vorgeworfen, die Einreise von Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten nach Litauen durch Direktflüge aus der Türkei und dem Irak nach Minsk zu erleichtern.

Männer hinter einem Zaun eines Erstaaufnahmezentrums für Flüchtende in Pabrade, Litauen
Reuters/Janis Laizans
3.000 Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten kamen heuer schon via Belarus nach Litauen

Die Theorie, Belarus stecke auch hinter den Telegram-Gruppen, wird von Litauen mitgetragen. Seit Jahresbeginn sind bisher über 3.000 Menschen aus Belarus nach Litauen gekommen. Letztes Jahr waren es ungefähr 80. Das Problem löste eine Reihe politischer Reaktionen aus, darunter das Versprechen der litauischen Regierung, eine befestigte Grenze bzw. einen Grenzzaun über 550 Kilometer rasch fertigzubauen.

„Die Regierung wird dieses Projekt umsetzen“

Die litauische Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte erklärte diese Woche, Barrieren an den Grenzen würden zunächst an „gefährdeten Punkten“ installiert und dann auf die „gesamte Ostgrenze der Europäischen Union“ ausgeweitet. Zu den Kosten sagte sie, dass diese mit oder ohne finanzielle Unterstützung der EU über 100 Millionen Euro betragen würden. „Lassen Sie mich ganz offen und direkt sagen, dass die Regierung dieses Projekt umsetzen wird“, so Simonyte. Außerdem wies sie darauf hin, dass dies die Gelegenheit sei, Mauern und andere Barrieren in weiteren EU-Ländern zu diskutieren.

Litauen begann auch bereits damit, über Belarus ins Land kommende Flüchtlinge zurückzuweisen und auch zurückzudrängen. „Jeder, der versucht, illegal nach Litauen zu kommen, wird zum nächsten offiziellen Grenzübergangspunkt zurückgeschafft“, sagte am Dienstag Grenzschutzchef Rustamas Liubajevas. Dabei könnten auch „abschreckende“ Maßnahmen gegen jene ergriffen werden, die den Anordnungen nicht folgten.

„Aggressiver Akt des Lukaschenko-Regimes“

Simonyte rief die EU-Kommission auf, den Druck auf den Irak zu erhöhen, um weitere Einreisen zu verhindern und Rückkehrerinnen und Rückkehrer wieder aufzunehmen. Simonyte wiederholte zudem, kaum jemand von den Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten bekomme in Litauen Asyl. Auch beschuldigte sie Lukaschenko, die Menschen als „Waffen“ zu benutzen.

Soldaten errichten einen Zaun aus Stacheldraht an der Grenze zu Belarus
Reuters/Janis Laizans
Litauen ist fest entschlossen, den Grenzzaun zu Belarus fertigzustellen

„Wir haben es mit einem aggressiven Akt des Lukaschenko-Regimes zu tun. Es handelt sich um einen Akt der Provokation“, zeigte sich auch Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, bei ihrem Besuch in Litauen vor Kurzem überzeugt. Johansson sagte, die Kommission habe in ihren Gesprächen mit dem Irak noch keine Ergebnisse erzielt. Stattdessen wolle man sich selbst darauf konzentrieren, irreguläre Einreisen zu verhindern und diejenigen, die kein Bleiberecht haben, in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. „Ich denke, das ist das Wichtigste, worauf wir uns jetzt konzentrieren sollten“, so Johansson.

Österreich schickt Einsatzkräfte nach Litauen

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex entsandte indes rund 100 Beamtinnen und Beamte, 30 Einsatzfahrzeuge sowie zwei Hubschrauber, während die EU-Kommission für eine stärkere finanzielle Unterstützung für Litauen einsteht. Das heimische Innenministerium will Frontex mit 13 Einsatzkräften der Spezialeinheit Cobra und einem gepanzerten Fahrzeug an der EU-Außengrenze unterstützen.

Die Europäische Kommission könnte Litauen bis zu zwölf Millionen Euro an Soforthilfe anbieten. Außerdem wird sie nächste Woche eine Delegation nach Vilnius entsenden, um den weiteren Bedarf von Finanzen zu erörtern.

Belarus will Grenze schließen

Belarus kündigte indes am Donnerstag an, es werde Teile seiner Grenze schließen und so verhindern, dass nach Litauen geflüchtete Migranten zurück auf sein Territorium gelangen können. „Ab heute darf niemand die Grenze von keiner Seite überqueren, weder vom Süden noch vom Westen“, sagte Machthaber Lukaschenko am Donnerstag in der Hauptstadt Minsk der Staatsagentur Belta zufolge.

Lukaschenko will nun offensichtlich verhindern, dass die EU die aufgegriffenen Menschen zurück nach Belarus schickt. Er sagte, eine „Bedrohung“ für sein Land wäre es, wenn Migranten an den Übergangsstellen gesammelt und dann „unter Androhung von Waffengewalt ins Staatsgebiet von Belarus abgeschoben“ würden. Die EU hatte nie entsprechende Absichten geäußert.