Reuters meldete in der Nacht auf Mittwoch unter Berufung auf ein Mitglied der belarussischen Gemeinschaft, das mit ihr in Kontakt ist, dass sie auf dem Weg nach Wien sei. Konsulatsmitarbeiter hätten ihre Flugroute aufgrund von Sicherheitsbedenken geändert. Der AUA-Flieger soll gegen 15.00 Uhr landen. Ursprünglich hatte es geheißen, dass Timanowskaja mit der polnischen Airline LOT nach Warschau fliegen werde.
Wien dürfte nur ein Zwischenstopp sein. Der belarussische Oppositionspolitiker Pavel Latushko bestätigte am Vormittag, dass Timanowskaja noch am Mittwoch in Warschau eintreffen werde. Schon in der Früh betonte Polens Vizeaußenminister Marcin Przydacz, dass Timanowskaja unter der Obhut des polnischen diplomatischen Dienstes stehe. Er gebe aber keine Details zur Flugroute.

„Besonders vorsichtig“ sein
Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur TASS sei die Entscheidung von der polnischen Botschaft getroffen worden, da auf dem ursprünglichen Flug auch mehrere ausländische Journalisten einen Platz gebucht hätten. Polen zeigte sich aber unglücklich darüber, dass die Reiseroute über Wien bekanntgeworden war. Reuters berichtete unter Berufung auf eine Quelle in der polnischen Regierung, dass das „Sicherheitsbedenken“ ausgelöst habe.
Man müsse „besonders vorsichtig“ sein, spielte der Insider auf die Entführung eines Ryanair-Fluges Ende Mai an. Damals hatte Belarus das Linienflugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius umgeleitet und zur Landung in der belarussischen Hauptstadt Minsk gezwungen. An Bord befand sich mit Roman Protassewitsch einer der prominentesten oppositionellen Blogger des Landes, der sofort nach der Landung festgenommen wurde.
Scharfe Kritik an Lukaschenko
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki attackierte zuvor die belarussische Spitze um Machthaber Alexander Lukaschenko scharf. Er forderte, die „Aggression der belarussischen Sicherheitsdienste auf japanischem Gebiet“ müsse auf „entschiedenen Widerspruch der internationalen Gemeinschaft stoßen“.
Warschau werde alles tun, „was notwendig ist, um ihr zu helfen, ihre Sportkarriere fortzusetzen“, erklärte Vizeaußenminister Przydacz. Auch Timanowskajas Ehemann Arseni Sdanewitsch war nach eigenen Angaben aus dem autoritär regierten Belarus geflüchtet und hält sich zurzeit in der Ukraine auf.
Timanowskaja auf Weg nach Wien
Eigentlich hat die belarussische Olympiaathletin Kristina Timanowskaja nach dem Eklat um ihre Kritik an der Entscheidung ihrer Trainer Asyl in Polen erhalten. Am Mittwoch verließ sie Tokio. Augenzeugenberichten zufolge stieg die Belarussin aber in eine Maschine nach Wien, wie das österreichische Außenministerium bestätigt. Quelle: EBU
Mit Polizeieskorte zum Flughafen
Timanowskaja wurde am Mittwoch in einem Van mit Polizeieskorte zum Narita-Flughafen östlich der japanischen Hauptstadt gebracht. Mit Gesichtsmaske und Sonnenbrille bekleidet, verschwand sie in Begleitung mehrerer Sicherheitsbeamter in einem Aufzug zu einem VIP-Bereich. Sie äußerte sich nicht vor wartenden Reportern.

Timanowskaja hatte am Sonntag erklärt, sie sei nach einer Beschwerde über ihre Trainer zum Flughafen Tokio gebracht worden, um gegen ihren Willen in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden. Nach Angaben des belarussischen Oppositionspolitikers Pawel Latuschko wurde an die österreichischen, deutschen und polnischen Behörden appelliert.
„Anweisung von oben“
In der Nacht auf Mittwoch teilte das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit, dass es den angeforderten schriftlichen Bericht des Belarussischen Olympischen Komitees zum Fall Timanowskaja erhalten habe. Dessen Leiter ist Viktor Lukaschenko, der älteste Sohn des Staatschefs Alexander Lukaschenko. Gegenüber Reuters erklärte Timanowskaja, ihr Cheftrainer habe ihr gesagt, die „Anweisung von oben“ zu haben, sie zu „entfernen“.
Sportlerbündnisse wie Athleten Deutschland und Global Athlete machten sich für eine Sperre des Belarussischen Olympischen Komitees stark. Eine Entscheidung über mögliche IOC-Sanktionen noch während der Tokio-Spiele erscheint aber unwahrscheinlich. „Diese Dinge brauchen Zeit. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen“, hatte IOC-Sprecher Mark Adams bereits am Dienstag gesagt.
IOC setzt Disziplinarkommission ein
Zudem gab Adams bekannt, dass das IOC eine Disziplinarkommission ein, um die Tatsachen rund um die mutmaßlich von belarussischen Behörden versuchte Entführung der Sprinterin aus Tokio zu ermitteln.
Verantworten müssen sich vor allem der Leichtathletik-Cheftrainer von Belarus und der stellvertretende Direktor des nationalen Trainingszentrums. Diese beiden Funktionäre sollen Timanowskaja in Tokio mitgeteilt haben, dass sie wegen kritischer Äußerungen in den sozialen Netzwerken vorzeitig in ihre Heimat zurückkehren müsse.
Timanowskaja: Kritik ging eigentlich nicht um Politik
Gegenüber der „Bild“-Zeitung sagte Timanowskaja, dass es ihr eigentlich nicht um Politik gegangen sei: „Ich habe nur kritisiert, dass unsere Cheftrainer über das Staffellauf-Team entschieden haben, ohne sich mit den Sportlern zu beraten.“ Sie habe sich nie gedacht, „dass das solche Ausmaße annehmen und zu einem politischen Skandal werden kann“.
Ursprünglich hatte es in Berichten geheißen, dass Timanowskaja in Deutschland oder Österreich Asyl beantragen wollte. Am Dienstag erklärte ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg gegenüber der „Presse“, dass Österreich sehr wohl bereit gewesen wäre, Timanowskaja aufzunehmen. Doch sie habe sich nicht gemeldet und dann für Polen entschieden. „Wir haben sie erwartet. Es liegt an ihr, wofür sie sich entscheidet“, so Schallenberg.
Weitere Sportler wollen Belarus verlassen
Unterdessen wollen weitere belarussische Athleten ihre Heimat verlassen. Jana Maximowa schrieb bei Instagram, sie und ihr Ehemann, der Sportler Andrej Krawtschenko, wollten künftig in Deutschland leben. In Belarus könne man seine Freiheit und sein Leben verlieren. „Hier ist die Chance, tief durchzuatmen und zu denjenigen zu gehören, die für die Freiheit ihres Volkes, ihrer Freunde, Verwandten und Lieben kämpfen.“
Harte Maßnahmen gegen Gegner
Der belarussische Machtapparat von Lukaschenko geht hart gegen Kritikerinnen und Kritiker und Andersdenkende vor. Zuletzt hatte es Razzien gegen unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen gegeben, bei denen mehrere Menschen festgenommen wurden. Erst am Montag listete die Menschenrechtsorganisation Wjasna 605 politische Gefangene im Land, am vergangenen Montag waren es noch 583 gewesen.
Die EU erkennt den immer wieder als „letzten Diktator Europas“ kritisierten Lukaschenko seit der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl vor rund einem Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt an. Bei Protesten in den Monaten nach der Wahl gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen.