Szene aus dem Film „The Suicide Squad“
Warner Bros. Entertainment Inc./DC Comics
Kinostarts

Dichtes Programm für Sommerabende

Ob das Wetter nun zu heiß oder zu nass ist, beständig bleibt jedenfalls die gute Laune in den Kinos. Die diversen Lockdowns bildeten einen Rückstau an Neuerscheinungen, die den alten Stehsatz vom Sommer als Zeit der Kinoflaute Lügen strafen. Nach einem übervollen Juli ist heuer gerade auch das August-Startprogramm dichter als sonst.

Kaiserschmarrn oder Haifischsuppe? Egal, Hauptsache Kino: Dank des noch längst nicht abgebauten lockdownbedingten Filmstartrückstaus überwältigen auch die nächsten Wochen mit einer ungewöhnlichen Fülle potenzieller Blockbuster. In der DC-Comicverfilmung „The Suicide Squad“ etwa, nicht zu verwechseln mit dem beinahe gleichnamigen „Suicide Squad“ aus dem Jahr 2017, wird eine kleine Truppe verurteilter Schwerverbrecher mit Spezialfähigkeiten dazu verdonnert, im Auftrag der US-Regierung eine Mission zur Rettung einer südamerikanischen Demokratie durchzuführen.

Regie führt James Gunn, dessen zwei „Guardians of the Galaxy“-Filme zu den sympathischeren Inkarnationen des Marvel-Comicuniversum zählen, und unter den Delinquenten finden sich die psychopathische Clownin Harley Quinn (Margot Robbie), ein sprechender Hai (im Original mit der Stimme von Sylvester Stallone) und der Präzisionskiller Bloodsport (Idris Elba). Im Gegensatz zur ersten Verfilmung des Stoffs ist „The Suicide Squad“ ungleich unterhaltsamer, gewalttätiger, dabei zugleich überraschend optimistisch und warmherzig.

Schmarrn, Krach und Filmgeschichte

Wer es zünftiger mag, hat wohl am bayrischen „Kaiserschmarrndrama“ seine Freude, der siebenten Verfilmung eines Ebersdorfer-Krimis aus der Feder der unermüdlichen Rita Falk. Diesmal versuchen Provinzpolizist Franz Eberhofer (Sebastian Bezzel) und sein kürzlich verunfallter Ermittlerfreund Rudi (Simon Schwarz), den Mord an einer jungen Frau aufzuklären, die als Erotik-Cam-Girl ein Körberlgeld dazuverdient hat, und deren Bekanntschaft offenbar das halbe Dorf gemacht hat.

Ein Kontrastprogramm dazu bietet der Dokumentarfilm „Be Natural – Sei du selbst: Die Filmpionierin Alice Guy-Blache“ von Pamela Green, der drei Jahre nach der umjubelten Premiere in Cannes endlich ins Kino kommt. Auf den Spuren der ersten Regisseurin der Geschichte, die bereits 1896 ihre ersten kurzen Filme gedreht hatte, holte Green für ihren Film halb Hollywood vor die Kamera, nur um festzustellen, dass Guy-Blache von der offiziellen Filmgeschichtsschreibung beinahe vollständig ignoriert worden war.

Dabei nannten Regielegenden wie Sergei Eisenstein und Alfred Hitchcock die frühe Regisseurin und spätere Produzentin und Filmdozentin Guy-Blache als Vorbild. Doch viele ihrer Filme wurden später männlichen Kollegen zugeschrieben, wie Green nachweisen kann. Mit Unterstützung von Branchengrößen wie Jodie Foster als Erzählstimme, Hugh Hefner als Geldgeber und dem Filmarchiv Austria, in dessen Sammlung sich einer der wenigen erhaltenen Filme von Guy-Blache befindet, ist „Be Natural“ dann ein Schritt Richtung Wiedergutmachung, der die Filmemacherin ins kulturelle Gedächtnis zurückholt.

Anarchie und schlechte Laune

Die zweite August-Woche hat bei den Filmstarts ein zufälliges Leitmotiv, nämlich das Umwerfen von Gesellschaftsordnungen: Die berüchtigt gewalttätige Erzfeindschaft zwischen „Tom und Jerry“ steht in der Realverfilmung um die beiden Comicfiguren unter dem Vorzeichen einer angeblichen Freundschaft, die unweigerlich wieder ins Anarchische eskaliert. Was hier noch knallbunt kindgerecht brutal ist, gibt es auch in der Erwachsenenversion, nämlich in „Forever Purge“, der fünften Fortsetzung und wohl letzten Folge der „Purge“-Reihe um die Nacht, in der jedes Verbrechen erlaubt ist, und die diesmal nicht enden will.

Mindestens so dystopisch, in einer unheimlich-realistischen Überhöhung des zeitgenössischen Mexiko, ist „New Order – Die neue Weltordnung“ des mexikanischen Regisseurs Michel Franco. Hier wird die Idylle einer Upper-Class-Hochzeit vom blutdurstigen Aufbegehren einer ausgebeuteten, großteils indigenen Unterschicht unterbrochen. Doch anstatt zu einer anderen Gesellschaftsordnung zu führen, wird der Aufstand binnen weniger Stunden niedergeschlagen.

Eine Militärdiktatur sorgt dafür, dass die Verlierer auf allen Seiten gegeneinander ausgespielt werden. Wer will, kann in „New Order“ Echos einer Wirklichkeit in der Folge von „Gelbwesten“-Protesten und CoV-Maßnahmen-Demonstrationen entdecken, was Regisseur Franco in Interviews auch durchaus unterstützt. Näher aber liegt der Vergleich zu den lateinamerikanischen Militärdiktaturen des 20. Jahrhunderts, die Hoffnungslosigkeit des Films ist brutal.

Freiheit oder Fatalismus

Die vergleichsweise harmlose und kapitalistische Variante einer neuen Weltordnung gibt es dafür in „Free Guy“ von „Nachts im Museum“-Regisseur Shawn Levy. Hier spielt Ryan Reynolds den langweiligen Bankangestellten Guy, der in einem Computerspiel lediglich ein NPC ist, also eine nicht spielbare Nebenfigur. Durch ein Zusammentreffen mit einer besonderen Person im Spiel entwickelt Guy jedoch ein eigenes Bewusstsein und entscheidet sich, nicht mit Töten, sondern mit Friedenstiften Punkte zu machen.

Spontan entstandene künstliche Intelligenz – so etwas ist noch nie da gewesen, und stellt die Computerspielfirma ebenso wie das Entwicklerduo Key und Millie vor unvorhergesehene Probleme. Viel Popkultur, ein wenig Medienkritik, ein Hauch von „Truman Show“ und ein schlampig-romantisches Finale machen „Free Guy“ zur passablen Unterhaltung, mit der Weltrevolution im Computerspieluniversum ist es dann aber leider doch nicht so weit her wie anfangs erhofft.

Groß ist ein weiterer Film, der wie eine durchschnittlich komplizierte Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Leuten beginnt: „Die Welt wird eine andere sein“ unter der Regie von Anne Zohra Berrached erzählt von Asli und Saeed, die sich Anfang der 1990er Jahre auf einem Jahrmarkt in Deutschland kennenlernen, sich ineinander verlieben, schließlich heimlich heiraten. Bis dann Saeed verschwindet, immer wieder, und irgendwann kippt dann die ganze Welt. Wie Regisseurin Berrached es wagt, eine realitätsumwälzende Geschichte so ganz über das Private zu erzählen, ist nicht nur virtuos, sondern auch ein politisches Wagnis, das voll aufgeht.

Bis das Patriarchat weint

Falls auch die dritte August-Woche ein Thema hat, ist es feministisches Kino mit Diskussionspotenzial: „Sargnagel – Der Film“ ist jene Mockumentary, über die die porträtierte Autorin Stefanie Sargnagel selbst schreibt, sie wisse nicht genau, was sie davon halten soll. Der Film erzählt quasi live aus dem Kulturprekariat, das Regieduo Sabine Hiebler und Gerald Ertl hat, „mit einem Doku-Budget“, so Hiebler, die Kunstfigur Sargnagel teils nachinszeniert, teils sich selbst inszenieren lassen, rund um absichtlich alberne Film-im-Film-Dreharbeiten.

Dabei soll eine sichtlich entnervte Hilde Dalik (gespielt von Dalik selbst) unter der Regie von Michael Ostrowski (Ostrowski) die Sargnagel spielen, die sich am Ende aber selbst darstellt. Mit vielen Cameo-Auftritten, Sargnagel-Zitaten und voller Sehnsucht nach einem wienerisch versifften Prä-Covid-Prä-Rauchverbot-Fortgehen ist „Sargnagel – Der Film“ eine schräge Mischung aus Nostalgie, dreckigen Witzen, Insider-Schmähs, literarischen Miniaturen und lautem Aufbegehren gegen das Patriarchat.

Nicht unkompliziert ist auch das Vergnügen an „Promising Young Woman“, dem Regiedebüt von „The Crown“-Star Emerald Fennell, die im April für ihren Film einen Drehbuchoscar bekam. Die Rache-Vergewaltigungs-Fantasie handelt von der gescheiterten Medizinstudentin Cassie (Carey Mulligan), die sich beim Ausgehen auffällig betrunken verhält, um potenziellen Vergewaltigern eine Lehre zu erteilen – als Rache für eine Freundin, der Fürchterliches widerfahren ist. Doch der Film geht in eine andere Richtung, als der Trailer vermuten lässt, und ist am Schluss von viel größerer Bitterkeit, als die zuckerlbunte Aufmachung verspricht.

Jack London in Italien

In derselben Woche startet auch „Martin Eden“, der 2019 als Viennale-Abschlussfilm lief, die Verfilmung von Jack Londons Roman um einen charismatischen Hafenarbeiter, der sich in eine junge Frau aus reichem Elternhaus verliebt. Um ihr als Partner zu gefallen, arbeitet er sich zum Schriftsteller hinauf, doch je größer der Erfolg, desto mehr ekelt ihn die Gesellschaft an. Regisseur Pietro Marcello transponiert die archetypische Emanzipationsgeschichte ins Nachkriegsitalien, als Parabel gegen Aufstiegsbegehren und Eitelkeit.

In der letzten August-Woche kommt noch mal Ryan Reynolds auf die Leinwand zurück: Wer ihn in „Free Guy“ als pazifistische Computerspielfigur mochte, kann ihn sich in „Killer’s Bodyguard 2“ in einer vage verwandten Rolle ansehen, als traumatisierten Bodyguard Michael, der von seiner Psychologin eine Auszeit verordnet bekommt. Die Berufspause wird allerdings jäh unterbrochen, als die Frau eines Profikillers (Salma Hayek) ihn zwangsrekrutiert, um ihren entführten Ehemann (Samuel L. Jackson) zu befreien, was allerdings schwierig ist, da sich Michael weigert, Schusswaffen anzufassen.

Solcherlei Skrupel kennen die Protagonistinnen von „Gunpowder Milkshake“ nicht. Der Film unter der Regie des israelischen Horrorfilmregisseurs Navot Papushado handelt von einer Gruppe von Profikillerinnen (unter anderem Karen Gillan, Lena Headey, Carla Gugino, Angela Bassett und Michelle Yeoh), die sich zusammentun, um einen gemeinsamen Widersacher zur Strecke zu bringen. Zumindest dem Trailer nach zu urteilen versucht Papushado dabei alle „Starke Frauen“-Klischees zu erfüllen, ob darüber hinaus auch Substanz gelingt, wird der Film zeigen.

Die Legende vom grünen Ritter

Sicherlich weniger Klischees bedient der von der US-Filmkritik wohl am meisten gefeierte Film dieses Kinomonats: „The Green Knight“ unter der Regie von David Lowery, der 2017 mit der unheimlichen, poetischen Vergänglichkeitserzählung „A Ghost Story“ und 2018 mit dem verschmitzten Robert-Redford-Vehikel „Ein Gauner und Gentleman“ zwei sympathische, ungewöhnliche Variationen des jeweiligen Genres vorgelegt hatte.

Sein jüngster Film nun ist eine freie Interpretation der recht unbekannten Legende von Sir Gawain und dem Grünen Ritter, mit Dev Patel und Alicia Vikander, als bildgewaltig inszenierter Fantasy-Alptraum um einen jungen Mann, der sich vor dem Erwachsenwerden drückt und schließlich seinen Ängsten stellen muss. Doch auch das ist erst ein Bruchteil der August-Filmstarts – da kämpft noch Liam Neeson in „Ice Road“ gegen ewige Widersacher, da findet sich Robin Wright in ihrem Regiedebüt „Abseits des Lebens“ selbst, da bekommen die Kindergartenhelden von der „Paw Patrol“ ihren Leinwandauftritt und vieles mehr. Der Kinosommer ist noch lange nicht vorbei.