Zwei männliche Silhouetten vor einem facebook Logo
APA/AFP/Getty Images/JUstin Sullivan
Gesperrt

Forscher werfen Facebook Foulspiel vor

Mit einem drastischen Schritt ist Facebook gegen mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorgegangen und sperrte unter anderem ihre persönlichen Accounts. Laut dem IT-Konzern verletzten sie Nutzungsbedingungen und den Datenschutz. Die Betroffenen forschten zur Transparenz von politischer Werbung in dem sozialen Netzwerk – sie orten den Versuch, ihre Arbeit zu verhindern.

Es klingt ein wenig nach einem Treppenwitz: Ein Forschungsprojekt, das sich der Transparenz von politischer Werbung auf Facebook widmet, wird von dem sozialen Netzwerk selbst vor die Tür gesetzt. Die Begründung des Unternehmens: Die Forscherinnen und Forscher hätten ohne Facebooks Erlaubnis automatisch Daten abgegriffen und gesammelt. Das verstoße gegen die Nutzungsbedingungen des Netzwerkes und verletzte den Datenschutz, so der IT-Riese.

Facebook habe die „Konten, Anwendungen, Seiten und Plattformzugänge, die mit dem NYU Ad Observatory Project und seinen Betreibern verbunden sind“ gesperrt, schrieb Mike Clark, Facebooks Direktor für Produktmanagement, in einem Onlinebeitrag auf der Unternehmensseite. Davon betroffen ist unter anderem die Leiterin des Forschungsprojekts, Laura Edelson. Auf Twitter schrieb sie Dienstagabend, dass sie und eine Reihe weiterer Personen keinen Zugriff mehr auf ihre Facebook-Accounts hätten. Facebook habe damit ihrer jahrelangen Arbeit einen Riegel vorgeschoben, so die Forscherin.

Automatisierte Datensammlung

Edelson und ihre Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit politischer Werbung auf Facebook. Vor der US-Präsidentenwahl im vergangenen Jahr starteten sie das Ad Observatory Project. Ziel war es, Ursprung und Verbreitung politischer Anzeigen in dem sozialen Netzwerk besser nachverfolgbar zu machen. Dafür entwickelten das Team auch eine eigene Erweiterung für Webbrowser. Bei Personen, die das kleine Programm installierten, führte es automatisch Buch darüber, welche politische Werbung sie auf Facebook zu sehen bekamen.

Die Informationen wurden dann an eine durchsuchbare Datenbank geschickt. Rund 16.000 Freiwillige nutzten in der Vergangenheit die Erweiterung. Die derart gesammelten Daten bildeten die Grundlage mehrerer Medienrecherchen, die sich auch kritisch mit der Rolle Facebooks auseinandersetzten.

Facebook verweist auf Nutzungsbedingungen

Die Browsererweiterung führt Facebook nun als Grundlage für sein hartes Vorgehen an. Der Konzern spricht von einem unerlaubten „Abgreifen“ von Nutzerdaten. Laut Facebook sammelte die Erweiterung nicht nur Daten der Personen, die sie installiert hatten, sondern auch von den Profilen, mit denen sie interagierten.

Im Oktober vergangenen Jahres habe Facebook das Forschungsteam „in einem förmlichen Schreiben auf die Verletzung unserer Nutzungsbedingungen hingewiesen und ihnen eine Frist von 45 Tagen eingeräumt, um unserer Aufforderung nachzukommen, das Abgreifen von Daten von unserer Website einzustellen“, so Clark. Das Unternehmen habe den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch angeboten, ihnen Daten zur Verfügung zu stellen, „die nicht gegen unsere Nutzungsbedingungen verstoßen“, heißt es in Clarks Blogeintrag weiter.

Forscherin widerspricht Vorwürfen

Am Mittwoch widersprachen Edelson und ihr Team allerdings einmal mehr den Vorwürfen. „Wir sammeln wirklich nichts, was keine Werbung ist, was nicht öffentlich ist, und wir sind ziemlich vorsichtig damit, wie wir es tun“, so Edelson. Der Code für die Browsererweiterung sei öffentlich und auch von externen Experten überprüft worden.

Der Fall hatte bereits im Herbst mit dem Mahnschreiben Facebooks erste mediale Wellen geschlagen. Auch die Führung der New York University (NYU) schaltete sich Ende Oktober in die Debatte ein und sagte dem Forschungsteam die volle Unterstützung zu. Gegenüber dem „Wall Street Journal“ sagte NYU-Forscherin Edelson damals, man sei bereit, die automatisierten Abfragen einzustellen. Facebook müsse allerdings die relevanten Daten selbst veröffentlichen. Das geschah laut Edelson und ihrem Team bisher aber nicht.

Zwar bietet Facebook seit einiger Zeit mit der Facebook Ad Library eine eigene durchsuchbare Datenbank zu Werbeanzeigen in dem sozialen Netzwerk an. Darin finden sich auch einige demografische Daten wie das Geschlecht und den Wohnort der Menschen, die eine bestimmte Werbeeinschaltung angezeigt bekamen. Andere Daten fehlen aber, etwa zu den Kriterien, nach denen Werbetreibende die Zielgruppe für ihre Anzeigen einschränken. Zahlreiche politische Anzeigen würden überdies gar nicht aufgenommen, so Edelson.

Kritik an vorgeschobenem Datenschutz

In den Nachwehen des Skandals rund um die britische Beratungsfirma Cambridge Analytica war Facebook 2019 von der US-Wettbewerbsbehörde zu einer Rekordstrafe von fünf Milliarden US-Dollar verurteilt worden. Der IT-Riese ist seither ganz besonders bemüht, sich beim Datenschutz als vorbildlich darzustellen. Kritische Stimmen werfen Facebook allerdings vor, den Datenschutz auch als Vorwand zu verwenden. Das Unternehmen schiebe solche Bedenken vor, wenn unabhängige Stellen versuchten, die Gebarungen des sozialen Netzwerks genauer zu durchleuchten.

So formuliert auch Edelson: „Facebook bringt uns zum Schweigen, weil unsere Arbeit oft die Aufmerksamkeit auf Probleme auf seiner Plattform lenkt“, zitiert das Finanznachrichtenportal Bloomberg aus einer E-Mail-Erklärung der NYU-Doktorandin. „Das Schlimmste ist, dass Facebook die Privatsphäre der Nutzer, eine Grundüberzeugung, die wir in unserer Arbeit immer an die erste Stelle gesetzt haben, als Vorwand für dieses Vorgehen benutzt“, so Edelson.

Die Forscherin stellte noch einen weiteren Zusammenhang in den Raum: Edelson und ein Kollege wollten die Verbreitung von Desinformationen auf dem Netzwerk rund um den Sturm aufs Kapitol am 6. Jänner untersuchen. Darüber hätten sie Facebook am Dienstag informiert. Nur wenige Stunden später seien ihre Konten gesperrt worden. Die Episode zeige jedenfalls, „dass Facebook kein Vetorecht darüber haben sollte, wer sie untersuchen darf“, so Edelson.

Besorgte Stimmen aus der Politik

Inzwischen schaltete sich auch die Politik in die Debatte ein: Mehrere demokratische Senatoren kritisierten den Schritt des IT-Riesens. Mark Warner sagte, Techplattformen sollten mit unabhängigen Forschern zusammenarbeiten und diese besser unterstützen, doch stattdessen habe das Unternehmen „scheinbar das Gegenteil getan“.

Amy Klobuchar zeigte sich beunruhigt, dass Facebook den Forschern den Zugang zu politischen Werbedaten verwehrt habe, „die gezeigt haben, dass das Unternehmen weiterhin politische Werbung im Wert von Millionen von Dollar verkauft, ohne sie ordnungsgemäß offenzulegen“. Und ihr Kollege und Parteifreund Ron Wyden schrieb auf Twitter, er habe die US-Wettbewerbsbehörde gebeten, zu bestätigen, dass „Facebooks Ausrede genau so erfunden ist, wie sie klingt“.