Sicherheitsperonal in Kabul nach dem tötlichen Anschlag auf den Regierungssprecher Dawa Khan Menapal
AP/Rahmat Gul
Afghanistan

Regierungssprecher in Kabul ermordet

Die radikalislamischen Taliban haben am Freitag nach eigenen Angaben den Sprecher der Regierung und des Präsidenten ermordet. Ein Vertreter des Innenministeriums in Kabul bestätigte, dass Dawa Khan Menapal getötet worden sei. Wer für die Tat verantwortlich sei, sagte er nicht. Die Taliban sind in weiten Teilen Afghanistans indes weiter auf dem Vormarsch – und haben am Freitag erstmals seit Jahren wieder die Kontrolle einer Provinzhauptstadt übernommen.

Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid teilte mit, dass Menapal bei einem Anschlag der „Mudschaheddin“ getötet worden sei. Zuvor hatte ein Sprecher des Innenministeriums erklärt, dass „Terroristen“ einen „patriotischen Afghanen zum Märtyrer gemacht“ hätten. Der Leiter der Presseabteilung der afghanischen Regierung wurde in seinem Auto erschossen, wie das Innenministerium laut AP weiter mitteilte.

Der früher auch als stellvertretender Pressesprecher des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani tätige Menapal war in der Medienwelt Kabuls beliebt und dafür bekannt, die Taliban in den Onlinenetzwerken an den Pranger zu stellen. Die Islamisten hatten zuletzt angekündigt, als Vergeltung für die verstärkten Luftangriffe der Armee hochrangige Regierungsbeamte anzugreifen.

Afghanische Botschafterin einbestellt

In Afghanistan haben die Taliban die Provinzhauptstadt Sarandsch im Süden des Landes eingenommen. Die afghanische Botschafterin in Österreich, Manizha Bakhtari, hat unterdessen in „Radio Ö1“ einen Abschiebestopp für abgewiesene afghanische Asylwerber gefordert. Daraufhin wurde sie ins Außenministerium einbestellt.

Minister überlebte Anschlag

Die Taliban haben es häufig auf Regierungsbeamte und Personen abgesehen, die ihrer Meinung nach für die Regierung oder ausländische Streitkräfte arbeiten, obwohl mehrere Anschläge in letzter Zeit von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verübt wurden. Die Regierung macht in den meisten Fällen die Taliban dafür verantwortlich.

Anfang dieser Woche richtete sich ein Bombenanschlag der Taliban gegen den amtierenden Verteidigungsminister Afghanistans, Bismillah Khan Mohammadi. Bei dem Anschlag in einem schwer bewachten Kabuler Nobelviertel wurden am späten Dienstag mindestens acht Menschen getötet und 20 verwundet. Der Minister blieb unverletzt.

Nach dem Bombenanschlag kam es zu einem Feuergefecht, bei dem auch vier Taliban-Kämpfer getötet wurden. Die Kämpfer erklärten, der Anschlag sei als Rache für Taliban-Kämpfer gedacht, die bei Offensiven der Regierung in ländlichen Provinzen getötet wurden.

Taliban übernehmen Provinzhauptstadt Sarandsch

Die Taliban haben seit dem Beginn des Abzugs der US- und NATO-Truppen aus Afghanistan weite Teile des Landes erobert – am Freitag zogen die Islamisten in die Provinzhauptstadt Sarandsch ein. Die im Südwesten des Landes gelegene Stadt sei an die Islamisten gefallen, bestätigte die Vizegouverneurin der Provinz Nimrus, Ruh Gul Chairsad, am Freitag. Lokalen Behördenvertretern zufolge fiel die Stadt praktisch kampflos.

„Die Taliban haben die Kontrolle über den Gouverneurssitz sowie die Hauptquartiere der Polizei und der Gefängnisverwaltung übernommen“, sagte Chairsad dazu gegenüber AFP. Bilder in sozialen Netzwerken zeigten Taliban-Kämpfer vor dem Sitz des Provinzgouverneurs und in den Straßen von Sarandsch. „Dies ist der Anfang und Sie werden sehen, wie die anderen Provinzhauptstädte rasch in unsere Hände fallen“, sagte dazu laut Reuters ein Taliban-Kommandeur, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Zuletzt war 2016 die Provinzhauptstadt Kundus im Norden kurzzeitig von den militant-islamistischen Kämpfern eingenommen worden. Sarandsch ist zwar mit geschätzt 65.000 Einwohnern eine vergleichsweise kleine Stadt in der abgelegenen Provinz Nimrus, aber wegen ihrer Lage an der Grenze zum Iran ist sie ein bedeutender Handelsknotenpunkt und gilt als Zentrum für Schmuggler.

Posten offenbar kampflos aufgegeben

Der Fall der Provinzhauptstadt ist auch eine Niederlage für die USA, die ihren Militäreinsatz im Land offiziell erst zum 31. August beenden wollen. Das US-Militär unterstützt die unter Druck stehenden afghanischen Streitkräfte noch mit Luftangriffen. Die Flieger steigen außerhalb Afghanistans auf, da die großen Stützpunkte im Land bereits geräumt sind.

Afghanische Armeesoldaten in der Provinz Herat
APA/AFP/Hoshang Hashimi
Die afghanischen Streitkräfte kämpfen an vielen Fronten gegen die Taliban

Am Donnerstag war zunächst der Bezirk Kang rund 30 Kilometer von Sarandsch von den Taliban erobert worden. Von dort aus seien die Islamisten in Richtung Provinzhauptstadt vorgerückt, hieß es aus Sicherheitskreisen. Viele Sicherheitskräfte hätten ihre Posten noch vor der Ankunft der Islamisten einfach verlassen. Regierungsangestellte seien in der Nacht zu Freitag mit ihren Familien in den nahen Iran geflohen.

Schwere Kämpfe auch in anderen Städten

Seit Beginn des Afghanistans-Abzugs Anfang Mai haben die Taliban mehr als 160 der rund 400 Bezirke, mehrere Grenzübergänge und Teile wichtiger Überlandstraßen erobert. Zuletzt verlagerten sich die Kämpfe zunehmend in die Städte und die Taliban greifen nun mindestens fünf Provinzhauptstädte an. Im Süden steht Laschkargah kurz vor dem Fall an die Islamisten – dort hält die Regierung nur noch zwei der zehn Polizeibezirke der Stadt. Im Zentrum von Schiberghan in der Nordprovinz Dschausdschan lieferten sich Taliban am Freitag vor dem Gouverneurspalast Kämpfe mit den Sicherheitskräften.

Besonders gravierend ist die Situation in Afghanistan derzeit in Laschkar Gah, der Hauptstadt der südwestlichen Provinz Helmand. Nach UNO-Angaben wurden dort in den vergangenen Tagen Dutzende Zivilisten getötet.

Taliban-Kontakte nach Usbekistan und Turkmenistan

Bereits im Juni nahmen die Taliban den wichtigsten Grenzübergang Afghanistans zu Tadschikistan ein. Nach schweren Gefechten mit den Aufständischen flohen Teile der afghanischen Regierungstruppen nach Tadschikistan und Usbekistan. Zwar betonen die Taliban, keine Pläne für Zentralasien zu haben. Dennoch knüpften die Islamisten bereits Kontakte nach Usbekistan und Turkmenistan, da sie sich als eine Regierung im Wartestand sehen. Experten glauben, dass ein wachsendes Sicherheitsvakuum in Afghanistan auch auf Zentralasien ausstrahlen kann.

Krisensitzung im UNO-Sicherheitsrat

Die jüngste Eskalation war noch am Freitag Thema im UNO-Sicherheitsrat. Der Vertreter Russlands im Sicherheitsrat warnte, Kämpfer aus Afghanistan könnten verkleidet als Flüchtlinge in die Region einsickern. Das sei eine Gefahr für alle zentralasiatischen Staaten. Der Vertreter Chinas rief die USA auf, die Bemühungen zum Erhalt der versprochenen Stabilität in Afghanistan zu verstärken.

Die Leiterin der UNO-Hilfsmission für Afghanistan (UNAMA), Deborah Lyons, stellte dabei den Friedenswillen der Taliban infrage und erklärte, der Krieg sei in eine neue, tödlichere und destruktivere Phase eingetreten. Der Vormarsch der Taliban und die Folgen für die Sicherheit in der Region sind auch das Hauptthema des Gipfels der zentralasiatischen Staaten in der turkmenischen Küstenstadt Awaza.