„Mekka der Salzburger, öffne deine Pforten“, schrieb das „Demokratische Volksblatt“ im Oktober 1948, nachdem das Müllner Bräu im Zweiten Weltkrieg den Betrieb einstellen musste. Bald nachdem es am Pfingstsamstag des Jahres 1949 wieder aufsperrte, war unter den Massen, die ins Bräustübl pilgerten, auch der junge Thomas Bernhard. „Der ganze Garten ist – wie jeden Tag – voll Menschen. Ein Bienenhaus, das summt und brummt am Nachmittag, am Abend“, notierte er. „Hier trifft sich das Volk, hier offenbart es die Seele.“
Den Grundstein für das „Volksgasthaus“ am Fuße des Mönchsbergs legten die Augustiner-Eremiten, die seit Anfang des 17. Jahrhunderts im Kloster in Mülln lebten. Wie auch in anderen Klöstern üblich, etwa in Deutschland und Belgien, wollten sie Bier brauen. 1621 beantragten die Mönche die Erlaubnis, eine Brauerei zu errichten – nicht zuletzt mit dem Argument, es sei für die Finanzen des Klosters von Vorteil, das Bier für den Eigenverbrauch nicht mehr einzukaufen, sondern selbst zu produzieren.
Doch schon 1664 wurde der „Bierzwang“ in Salzburg eingeführt und Bier durfte nur noch von den Hofbräus Kaltenhausen und Teisendorf bezogen werden. Das im Kloster Mülln gebraute Bier war zu dieser Zeit aber schon so beliebt bei der Bevölkerung, dass die Mönche es weiter – illegal – an der Pforte verkauften. Von dort wurde es über den Mönchsberg in die Stadt geschmuggelt.
Vom Holzfass in den Steinkrug
Das Bier, das vor 400 Jahren gebraut wurde, sei ein ganz anderes gewesen als heute, sagt Hansjörg Höplinger, Braumeister des Müllner Bräu: „Das Reinheitsgebot hat es damals zwar schon gegeben, aber es war noch nicht zu 100 Prozent durchgesetzt. Es wurde mit Zutaten gerabeitet, die man heute gar nicht mehr nehmen dürfte, wie Tollkirsche und Mutterkorn.“ Und auch die Kühlung sei ein großes Problem gewesen.
Bis heute wird das Augustiner Märzen vom Holzfass direkt in den Steinkrug ausgeschenkt. Das bisschen Barrique-Geschmack, den das Holzfass an das Bier abgebe, sei „das i-Tüpferl“, so Höplinger. Modernisierung findet hinter den Kulissen statt. So werden etwa zwei Drittel des Eigenbedarfs an Energie mit einem eigenen Wasserkraftwerk im Almkanal hergestellt, jenem zwölf Kilometer langen künstlich angelegten Fluss, der die Stadt Salzburg seit dem Mittelalter mit Wasser versorgt und heute, mit einer Surfwelle, auch als Erholungsraum dient.
Aussichtslose Flucht vor dem „Festspieltrubel“
Das Bräustübl gehöre zu „den berühmtesten Sehenswürdigkeiten Salzburgs“, schrieb Bernhard in seinem Text „Das Augustiner-Bräustübl“. Die Stadt sei „harmonisch gegliedert“: „Auf der einen Seite die Kunst, auf der andern – das Bier“. Bis heute fehlt das Müllner Bräu in keinem Reiseführer über Salzburg. Mit 1.300 Sitzplätzen ist der Gastgarten mit seinen riesigen Kastanienbäumen der größte des Landes. Weitere 1.100 Sitzplätze finden sich in den fünf Sälen und den drei Stüberln.
Trotz seiner Größe hat das Müllner Bräu etwas fast Familiäres. Es gilt: Wo ein Platz frei ist, setzt man sich dazu. Die Jause darf selbst mitgebracht werden, Getränke keinesfalls. Und so verzehren Pensionisten ihr Mittagessen aus dem Tuppergeschirr und kommen dabei mit Touristinnen, die sich vom Sightsseeing ausruhen, und mit Ärzten vom gegenüberliegenden Landeskrankenhaus ins Plaudern.
„Hierher flüchtet der Einheimische, wenn ihn der Festspieltrubel zu ersticken droht, der Angestellte, wenn er Aerger mit seinem Chef hatte, die Hausfrau, wenn sie in ihrem alten Hut der Freundin nicht begegnen will, der Herr Direktor, um seinem Kompagnon auszuweichen, und wen trifft man? Festspielgäste, den Chef, die Freundin, den Kompagnon“, schrieben die „Oberösterreichischen Nachrichten“ am 26. Juni 1960.
243 Stammtische
„Es gibt keine typischen Besucher“, beschreibt es Bräustübl-Direktor Rainer Herbe über 60 Jahre später ähnlich: „Fast ganz Salzburg kommt her: Vom Dreijährigen bis zum 99-Jährigen, vom Primar bis zum Bauarbeiter. Und der Vater, der auf die Geburt vom Kind wartet, kommt zwischendurch schnell vom Landeskrankenhaus auf ein Bier herüber.“ Bis heute versteht man sich im Müllner Bräu als „Volksgasthaus“. Man könne auch ein paar Stunden mit einer Halben und der mitgebrachten Jause dasitzen, ohne vom Kellner bedrängt zu werden, sagt Herbe.
243 aktive Stammtische gibt es – so aktiv zumindest, wie es in Zeiten der Pandemie möglich ist. Schilder an den Wänden kennzeichnen die Tische, an dem sich die „Wilden Kerle“ jeden ersten Mittwoch im Monat um 16.30 Uhr oder „Die fröhliche Saunarunde“ jeden ersten und dritten Freitag ab 16.00 Uhr trifft. „Für manche Wochentage gibt es eine Warteliste, zum Beispiel für den ersten Montag im Monat, weil der leicht zu merken ist“, erzählt Herbe. Nur zwei reine Frauenstammtische gibt es: die „Powerfrauen“ und, ja, „Die Pensionistenrunde“.
Der älteste noch existierende Stammtisch Salzburgs hat nicht nur einen Tisch, sondern gleich einen eigenen Raum: Einmal in der Woche trifft sich die Schlappgesellschaft unter dem Motto „Schlipp, Schlapp, Schlorum“ im Schlapp-Stüberl. Gegründet wurde der Verein 1859 zum Biertrinken und um ein Kartenspiel zu spielen, dessen Regeln aber über die Jahrzehnte verloren gegangen sein sollen.
Buchhinweise
Thomas Bernhard: Journalistisches Reden Interviews (Werke in 22 Bänden, Band 22). Suhrkamp, 1.488 Seiten, 91,50 Euro.
Gerhard Ammerer, Harald Waitzbauer: Augustiner Bräu, Jubiläumsbuch 400 Jahre. Eigenverlag Augustiner Bräu Kloster Mülln OG, 244 Seiten, 35 Euro.
„Jetzt holen sie wieder Bier ab“
Geschichten wie diese ranken sich viele um das Bräustübl. Immer wieder auch jene, dass dort, wenn das eigene Bier knapp wird, Stiegl-Bier ausgeschenkt werde. Bevor das Müllner Bräu 1993 eine eigene Picherei bekam, seien die Holzfässer lange in der Stiegl-Brauerei gepicht – also mit Baumharz ausgekleidet – worden, erzählt Herbe. „Wenn eine Lieferung Holzfässer zum Pichen zu Stiegl transportiert wurde, haben die Leute gesagt ,Jetzt holen sie wieder Bier ab‘“.
Dasselbe Gerücht kam auf, als nach 1945 Bier vom Müllner Bräu an die durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogene Stiegl-Brauerei geliefert wurde. Im Müllner Bräu sei aber noch nie auch nur ein Tropfen Bier ausgeschenkt worden, der nicht im Haus produziert wurde, so Herbe. Und außerdem: „Der Bierkenner kennt den Unterschied.“
Verklärte Erinnerungen
Seit dem ersten Sud im 17. Jahrhundert, sei „eine große Menge unverbrauten Wassers die Salzach hinuntergeronnen“, schrieb Bernhard in den 1950er Jahren: „Damals schenkten die braungewandeten Mönche ihr geheimnisumwittertes ,Wässerchen‘ aus“. Heute gehe es zu „wie im siebenten Himmel“: „Man nimmt einen irdenen Maßkrug, und geht an die ,Leitung‘, wo man ihn füllen läßt, von einer lachenden Dickbeschürzten. Es rinnt das Bier ununterbrochen wie im Schlaraffenland.“
Das System ist immer noch dasselbe: Die Gäste kaufen einen Bon an der Kassa, nehmen einen Bierkrug aus dem Regal und spülen ihn aus. „Damit das Bier länger kühl bleibt, sauber ist der Krug natürlich schon“, stellt Herbe klar. Dann geht man zur Schank und lässt sich direkt aus dem Holzfass einschenken. Stammgäste haben den eigenen, meist verzierten, Bierkrug oft in einem Regal im Bräustübl deponiert.
„So muss ich ihn nicht jedes Mal mitnehmen“, begründet das ein Gast, und erzählt davon, wie er das Müllner Bräu zum ersten Mal als Kind mit seinem Onkel besuchte. Und überhaupt, spricht man mit Salzburgerinnen und Salzburgern, die heute mit den eigenen Kindern und Enkelkindern das Müllner Bräu besuchen, hört man eine Geschichte immer wieder: jene vom Kracherl, das die Eltern ihnen vor Jahrzehnten jeden Sonntag im „Volksgasthaus“ am Fuße des Mönchsbergs spendierten.