Ein Mann hält ein Foto des haitianischen Präsidenten Jovenel Moise bei dessen Beerdigung
Reuters/Ricardo Arduengo
Präsidentenmord

Haitis Justiz findet keinen Ermittlungsrichter

Einen Monat nach der Ermordung des Präsidenten von Haiti, Jovenel Moise, hat die Justiz immer noch keine offiziellen Ermittlungen eingeleitet. Der Grund: Das zuständige Gericht hat laut Justizkreisen große Schwierigkeiten, einen Ermittlungsrichter zu finden. Die infrage kommenden Juristen hätten Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Familie.

„Das ist ein heikler und politischer Fall“, sagte ein Ermittlungsrichter, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP. „Jeder denkt an seine Sicherheit und die seiner Familie, bevor er sich einverstanden erklärt, die Untersuchung zu übernehmen.“ Er und seine Kollegen seien daher „nicht gerade begeistert, den Fall anzunehmen“.

Um die Ermittlungsrichter zu beruhigen, hat der Leitende Richter des Gerichts von Port-au-Prince, Bernard Saint-Vil, nach eigenen Angaben die Regierung aufgefordert, für ihren Schutz zu garantieren sowie Leibwächter abzustellen. „Noch bevor ein Richter mit dem Fall betraut wird, sollten diese Mittel zur Verfügung stehen“, sagte er vor der Presse. Saint-Vil hatte angekündigt, dass er den Name des zuständigen Ermittlungsrichters am Donnerstag bekanntgeben werde. Doch am Samstag war der Posten immer noch vakant.

Martine Moise
AP/Matias Delacroix
Die Witwe Martine Moise schilderte kürzlich den Angriff des Mordkommandos

Im Haus erschossen

Staatschef Moise war in der Nacht zum 7. Juli in seinem Haus in der Hauptstadt Port-au-Prince von einem Mordkommando erschossen worden. Seine Frau Martine Moise überlebte schwer verletzt und wurde zur Notfallbehandlung in die USA gebracht.

In ihrem ersten Interview nach der Ermordung ihres Ehemanns schilderte sie Ende Juli, wie sie schwer verletzt den Anschlag in ihrem Haus überlebte. Die Mörder „dachten, ich sei tot“, sagte Moise der „New York Times“. Sie sei blutend dagelegen, ihr Mann tot oder sterbend im selben Raum. Weil ihr Mund voller Blut gewesen sei, habe sie das Gefühl gehabt zu ersticken.

Dennoch habe sie keine Angst vor den Mördern ihres Mannes, sagte sie weiter. Tatsächlich erwäge sie nun, selbst für die Präsidentschaft zu kandidieren, sobald sie wieder gesund sei. „Ich möchte, dass die Mörder gefasst werden, sonst werden sie jeden einzelnen Präsidenten töten, der an die Macht kommt“, sagte sie. „Sie haben es einmal getan. Sie werden es wieder tun.“

44 Verdächtige festgenommen

Die Polizei gibt an, bereits 44 Verdächtige im Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen zu haben, darunter zwölf haitianische Polizisten, 18 kolumbianische Söldner und zwei US-Bürger haitianischer Herkunft. Unter den Festgenommenen ist zudem Moises Sicherheitschef. Laut Polizei wurde das Attentat von Haitianern mit politischen Ambitionen und Verbindungen ins Ausland geplant.

Die Polizei sucht nach weiteren Verdächtigen, darunter einen Richter am obersten Gericht, einen ehemaligen Senator und einen Geschäftsmann. Die Staatsanwaltschaft von Port-au-Prince hatte zudem einen Oppositionsführer, den Vorsitzenden von Moises Partei sowie zwei haitianische Pastoren, die Moise öffentlich kritisiert hatten, vorgeladen.

Tiefe Krise

Der Mord stürzte den ohnehin von Instabilität und großer Armut geprägten Karibik-Staat in eine noch tiefere Krise. Moise hatte Haiti zuletzt per Dekret regiert, nachdem eine für 2018 geplante Parlamentswahl unter anderem wegen Protesten gegen ihn verschoben worden war.

Der ermordete Präsident war zunehmend unpopulär: Viele Haitianer machten ihn für die Coronavirus-Krise im Land und die zunehmende Gewalt durch kriminelle Banden verantwortlich.