Stilleben mit gelber Zitrone
Stadtarchiv Innsbruck / Joseph Platter
Kirschl-Schau

Wenn das Licht die Form erschafft

Durch die Geschichte der zeitgenössischen Kunst läuft in Österreich ein West-Ost-Gefälle. Das betrifft etwa auch das Kunstsammeln. Es gibt Künstler in unserem Land, die sind eindeutig West-Künstler, blickt man auf die Sammlerbestände. Einer von ihnen ist der Tiroler Egger-Lienz-Experte Wilfried Kirschl, der selbst ein umfangreiches Werk hinterlassen hat. Wie wenig andere setzte er sich mit der Frage von Licht und Form in der Moderne auseinander. Seine eindringlichen Werke sind nun endlich in einem großen Sammelband zu sehen – und auch eine Schau im Lienzer Schloss Bruck lädt zur Entdeckung dieses Weltbürgers ein.

Wenn es so etwas wie die stille Schlüsselfigur in der Geschichte der Kunst nach 1945 gibt, dann müsste man eigentlich den Tiroler Kirschl dazu auserwählen. Matthias Boeckl, selbst Träger eines großen Künstlernamens, bezeichnet Kirschl als Vertreter einer „Brückengeneration“, die die klassische Moderne in Österreich aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges geborgen, aber auch vom Zugriff der Konsumgesellschaft gerettet habe.

Kirschl ist vielen gerade im Osten des Landes eher als der große Egger-Lienz-Monograf bekannt – mit seinen Bildern zwar kein Geheimtipp für Insider. Aber, wie man auch jetzt im Lienzer Schlossmuseum Bruck verrät, wo man Kirschl unter den Egger-Lienz-Räumen eine längst fällige, umfangreiche Retrospektive seines Gesamtschaffens widmet: Die Bestände der Schau kämen vor allem aus dem Westen des Landes, so Museumsleiter Stefan Weis, wo es eine vielfältige Sammlerlandschaft zu Kirschl gebe.

Blick in die Ausstellung
Schlossmuseum Bruck / Wolfgang Retter

Eine exemplarische Geschichte der Malerei nach 1945

Kuratiert hat die Kirschl-Schau der Experte zum Oeuvre des Tiroler Malers Carl Kraus. Und fast zeitgleich ist im Tyrolia-Verlag die bisher umfangreichste Kirschl-Monografie erschienen, die nicht nur eine Geschichte zur Werkentwicklung eines Malers zulässt. Dank der in dem Band versammelten Artikel ist so etwas wie die Entwicklung der Kunst nach 1945 in Österreich ablesbar, vor allem die schrittweise Öffnung der heimischen Kunst nach Westen, besonders nach Frankreich. Kirschl gehörte zum Kreis jener Künstler, die ein beinahe schon kunsthistorisches Interesse an den französischen Maltraditionen hatten. Anders als manch anderer Kollege interessierte er sich nicht so sehr für die Performance-Seite der Moderne, sondern den Bereich der schrittweisen Abstraktion, die man ja schon im Flächigwerden der Arbeiten eines Paul Cezannes finden kann.

Dass er am Ende im strengen Atelier eines Andre Lhote aufschlug, machte den Bildungsweg von Kirschl in gewisser Weise komplett. Kirschl war vor allem an der Koppelung von Farbe, Licht und Form interessiert, das, was sein Lehrmeister Egger-Lienz „Harmoniegesetzlichkeit“ nannte – und fand nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der expressiv gegenständlichen Malerei in ständigen Reduktionsschritten zu einer eigenständigen Handschrift, die noch einen letzten Einfluss verriet: den des Italieners Giorgio Morandi, der das Stillleben und mit ihm die Fragen von Farbe und Kontur auf neue Höhen gehoben hatte.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Kirschl-Bild Labyrinth aus 1991
Privatsammlung Joseph Platter
Kirschl-Werk „Labyrinth“ aus 1991
Frau im Ausstellungsraum
Museum Schluss Bruck / Michaela Hoffmann
Ein Parcours durch ein malerisches Werk – und die Entwicklung der Kunst in Österreich nach 1945 im Lienzer Schlossmuseum Bruck
Stilleben mit gelber Zitrone
Stadtarchiv Innsbruck / Joseph Platter
Bei der Auffassung des Stilllebens folgt Kirschl gerne Morandi, hat aber den Mut zur aus sich heraus leuchtenden Farbe
Kirschl-Bild Garten Tinos 1989
Privatsammlung Joseph Platter
Garten und Abstraktion: viele seiner Vorlagen fand Kirschl beim Spätwerk in Griechenland

Die Welt als Stillleben

Seit der Auseinandersetzung mit Morandi, so könnte man sagen, ist im Werk Kirschls eigentlich alles Stillleben. Die Landschaft seiner geliebten griechischen Inseln ebenso wie der Tisch seines Ateliers. Dort, wo der Eingriff des Menschen wieder zur Natur übergeht, dort setzt der Pinselstrich Kirschls an. Das Licht, es wird zum Gestalter des Raumes und zur Erzählinstanz seiner Bilder. „Harmonien parallel zur Natur“ – so charakterisiert die Kunsthistorikerin Marianne Hussl-Hörmann die Arbeiten Kirschls und trifft damit gerade in Bezug auf seine Farbpalette den Punkt in diesem Schaffen. Kirschls Werk kennt allein bei der Farbe Weiß Dutzende Varianten, ebenso im Übergangsbereich von Grau zu Türkis.

Das Licht, so hätte Kirschl gesagt, verlangt nach allen Möglichkeiten der Abschattung – oder Aufblendung in Nuancen, die dann die Oberfläche als etwas beinahe nicht mehr Greifbares erscheinen lässt. Ein „Labyrinth“ entsteht in unserem Kopf vor dem Anblick der Bilder Kirschls nur bei der Darstellung eines Eingangsbereiches, weil man schon in der Art, wie er eine Mauer entwirft, erahnen kann, dass das Prinzip Mauer bei ihm schier unendlich ist.

Hinweis

Die Ausstellung „Lichträume. Wilfried Kirschl – das malerische Werk“ ist noch bis zum 26. Oktober im Schlussmuseum Bruck in Lienz zu sehen. Der Band „Raum.Licht.Volumen: Wilfried Kirschl. Das malerische Werk“ liegt im Verlag Tyrolia vor.

Malen, als wäre niemand im Raum

Die Gegenstände so zu „malen, wie sie waren, wenn niemand im Raum ist“, das ist, wie der Künstler selbst einmal beschrieben hat, die höchste Verwirklichungsstufe dieser Malerei, die über weite Strecken so völlig ohne den Menschen auskommt, dabei aber so berührend ist, weil sie ganz grundsätzlich über die Anordnung der Welt und der kleinsten Gegenstände in ihr nachzudenken vermag. Kirschl, der Kenner aller Kunstdiskurse, überschreitet im Tun alle Überlegungen, die man an der klassischen Akademie zwischen Linie und Farbe anstellte.

Für ihn gibt es einen Bruch, eine Art ewige Dämmerung, in die seine Gegenstände getaucht sind, selbst wenn sie in gleißendem Licht stehen. Auf der Oberfläche schleicht sich bei Kirschl immer eine Abdunkelung ein. Jedes Gelb, das er dann wie eine Pointe in den Farbkatalog der Weiß-, Grau- und Türkistöne setzt, erscheint dann nicht als Farbe des Strahlens, sehr wohl aber als eine eines inneren Leuchtens.

Die Auflösung aller Widersprüche darf man in dieser Malerei entdecken. Oder, wie Kirschl es ohne jeden Hang zur Metaphysik, aber zum genauen Schauen und Empfinden beschreibt: „Ich hatte das Bedürfnis zu einer Malerei zu kommen, bei der das formale Gerüst wieder tiefer in den Organismus des Bildes eingebettet war und ihn von innen her trug.“