Lou Lorenz-Dittlbacher im Gespräch mit Beate Meinl-Reisinger bei den ORF-Sommergesprächen 2021.
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräche“

NEOS-Chefin für „Kostenwahrheit“ bei Klima

Am Montag hat NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger den Auftakt zu den heurigen ORF-„Sommergesprächen“ gemacht. Der Bogen wurde thematisch von der politischen Vergangenheit der Parteichefin hin zum ebenfalls am Montag veröffentlichten Bericht des Weltklimarats gespannt. Meinl-Reisinger forderte Bewegung bei der Klimapolitik, etwa Bundesregeln bei der Bodenversiegelung – und „Kostenwahrheit“ im Verkehr.

Die „Libelle“ auf dem Dach des Leopold Museums im Wiener Museumsquartier soll den „Blick von oben“ ermöglichen, so Lou Lorenz-Dittlbacher bei ihrer Premiere als Moderatorin der „Sommergespräche“. Und dabei auch einen Einblick in den Hintergrund der Gäste bieten: Man wolle nicht nur über Politik, sondern „auch über ihre Politisierung reden“, so Lorenz-Dittlbacher.

In diesem Fall also Meinl-Reisingers Weg von der Schule zu ihrer ÖVP-Karriere, dem anschließenden Bruch mit der Partei und ihrem Weg zu NEOS. Gefragt, wie sie sich selbst beschreiben würde, sagte die NEOS-Chefin: „Fröhlich, hartnäckig, selbstbewusst, Werte-orientiert, Gerechtigkeitsempfinden, familienorientiert.“

Beate Meinl-Reisinger im Porträt

Die NEOS-Chefin blickt auf eine lange Karriere zurück, erst mit Nähe zur ÖVP, ehe ihre politische Karriere bei NEOS anfing.

Ärger über „Steinzeit“-Sager

Eine ganz zentrale Frage nahm an diesem Abend das Klimathema ein – nicht zuletzt durch den erst am Montag publizierten Bericht des Weltklimarats (IPCC). Damit sprach die NEOS-Politikerin ein eigentlich grünes Kernthema an. Sie sprach hierzulande von einer „unsäglichen Diskussion, ausgelöst vom ‚Steinzeit‘-Sager von (Bundeskanzler, Anm.) Sebastian Kurz (ÖVP, Anm.)“.

Was kann der Staat gegen die Klimakrise tun?

Die NEOS-Chefin will etwa ein Bundesrahmengesetz, um die Bodenversiegelung zu regulieren.

Sie verwies auf eine von NEOS geforderte ökologische Steuerreform. „Gerade im Bereich Verkehr geht es darum, Kostenwahrheit herzustellen“, so die NEOS-Chefin. Man müsse „Umweltverschmutzung einen Preis geben“ und man will daher Umweltverschmutzung belasten und dafür den Faktor Arbeit „radikal entlasten“.

„Weltmeister“ bei Bodenversiegelung

Gefragt, welche Rolle der Staat hier spiele, verwies Meinl-Reisinger auf die Bodenversiegelung. „Österreich ist Weltmeister“ darin, so die NEOS-Chefin. Für sie sei es der falsche Weg, dass „jede Gemeinde“ darüber entscheiden könne, „Kreisverkehre und Einkaufszentren“ zu bauen. Deshalb fordere sie ein „Bundesrahmengesetz, um Bodenversiegelung den Kampf anzusagen“.

Fragen zum Thema Klimawandel

Die NEOS-Chefin ist etwa für eine Abschaffung des Dieselprivilegs.

Auch das Dieselprivileg soll abgeschafft werden, so Meinl-Reisinger. Ein generelles Verbot von Kurzstreckenflügen im Inland lehnt sie hingegen ab – hier soll sich das bessere Angebot durchsetzen. Ähnlich sieht Meinl-Reisinger auch keinen Bedarf, ein fixes Ablaufdatum für Verbrennungsmotoren zu setzen: Das sei „obsolet“, mittlerweile setzen sowieso alle Hersteller auf Alternativen. Sie wolle auf „Kostenwahrheit“ und die Einsparung von Emissionen setzen.

Meinl-Reisinger gegen generelle Impfpflicht

Freilich nahm auch die Krise und ihre Folgen einen großen Teil der Sendung ein. Beim Thema Impfpflicht ging es nicht zuletzt um das Verhältnis einer solchen Pflicht zur Idee des Liberalismus. Eine generelle Impfpflicht, wie zuletzt vielfach diskutiert, lehnte Meinl-Reisinger ab und setzte stattdessen auf Anreize: „Ich bin Pragmatikerin, wenn Anreize helfen – warum denn bitte nicht?“

NEOS-Chefin gegen generelle Impfpflicht

Meinl-Reisinger spricht sich gegen eine generelle Impfpflicht aus, kann sich diese aber bei bestimmten Berufsgruppen vorstellen.

Die Freiheit des Einzelnen ende dort, „wo die Freiheit des anderen beginnt“, so die NEOS-Chefin im Hinblick auf die liberalen Grundwerte. Doch gerade beim Coronavirus gehe es auch um „Verantwortung gegenüber anderen“ – das Virus wäre „kein Problem mehr, wenn sich alle impfen lassen würden“, so Meinl-Reisinger. Für einige Berufsgruppen sei daher eine Impfpflicht durchaus vorstellbar. Auch kostenpflichtige Tests, über die zuletzt diskutiert wurde, steht Meinl-Reisinger offen gegenüber.

Meinl-Reisinger will „mehr Netto vom Brutto“

Auch die Folgen der Krise auf den Arbeitsmarkt waren Thema, vor allem auch im Hinblick auf die über 100.000 Arbeitslosen, die über 50 Jahre alt sind. Hier verwies Meinl-Reisinger auf einen Vorschlag für eine Joboffensive, ein Modell, „das auch so ähnlich von der Bundesregierung gekommen ist“: Hier gehe es darum, dass der Staat die Lohnkosten für ein Jahr übernehme. Die NEOS-Politikerin will zusätzlich aber auch einen Fokus auf junge Arbeitslose.

Arbeitslosigkeit im Alter

Die NEOS-Chefin verweist bei der Arbeitslosigkeit auf eine Joboffensive – der Fokus soll aber auch auf jungen Arbeitslosen liegen.

Und sie forderte „mehr Netto vom Brutto“. Man müsse aufhören, „an so kleinen Schräubchen“ zu drehen, so Meinl-Reisinger. Es gehe darum, Lohnnebenkosten deutlich zu senken. Und man setze sich für ein Bildungskonto ein: „Lebenslanges Lernen wird immer wichtiger“, hier solle der Staat ein Startguthaben zahlen, zusammen sollen Arbeitnehmer und -geber dann über fünf Jahre bis zu 5.000 Euro ansparen können.

„Will endlich saubere Politik“

Angesprochen auf den zuletzt beendeten „Ibiza“-Untersuchungsausschuss sagte sie: „Ich will nicht weiter über den U-Ausschuss reden, ich will endlich, dass in Österreich eine anständige und ordentliche Politik kommt.“ Noch will man sich nicht festlegen, ob man einen neuen „Ibiza“-U-Ausschuss wolle – oder stattdessen einen über die CoV-Beschaffungen. Bei diesem Thema gehe es vor allem darum, dass man „für die Zukunft lernt“, so Meinl-Reisinger.

Thema war auch die Bestellung des ORF-Generaldirektors, die am Dienstag durch den Stiftungsrat erfolgt. Das System, bei dem der Politik nahestehende Stiftungsräte über die Zukunft des ORF-Generaldirektorpostens entscheiden, sei „nicht zeitgemäß, eine Schande und soll sich ändern“.

„Ich habe eine Gelse getötet“

Die eindrucksvolle Kulisse auf dem Dach des Leopold Museums hat unterdessen schon beim ersten ORF-„Sommergespräch“ der Saison für einen kuriosen Moment gesorgt. Wie schon im Vorjahr – damals traf es Bundeskanzler Kurz – hatte es eine Gelse auf die NEOS-Chefin abgesehen. Anders als der Kanzler schlug Meinl-Reisinger jedoch zu und kommentierte: „Ich hab’ eine Gelse getötet, oje.“

Bild zeigt die „Libelle“ am Dach des Leopold Museums.
ORF/Roman Zach-Kiesling
Die „Sommergespräche“ finden heuer auf dem Dach des Leopold Museums im Wiener Museumsquartier statt

Filzmaier: Fokus auf Klimapolitik „nicht überraschend“

Dass Klimapolitik den meisten Platz im „Sommergespräch“ eingenommen hat, war für Politikwissenschaftler Peter Filzmaier nicht überraschend. Es gebe einen starken Wähleraustausch zwischen NEOS und den Grünen, Umweltthemen seien auch die meistdiskutierten Themen bei den NEOS-Wählern und -Wählerinnen. Es sei aber „ein Auswärtsspiel bergauf“ gegen die grüne Partei und unsicheres Terrain für NEOS, da es dabei auch immer um die Möglichkeit von Regeln durch den Staat gehe.

Doris Vettermann von der „Kronen Zeitung“ kommentierte unterdessen, dass sich Meinl-Reisinger auf der Bühne wohlfühle und „klare und deutliche Worte“ spreche. Beim anvisierten Ziel von 15 Prozent gehe es bei NEOS immer ein Stück nach oben – allerdings in kleinen Schritten, so Vettermann.

Analyse des „Sommergesprächs“ mit Meinl-Reisinger

Politologe Peter Filzmaier und Doris Vettermann von der „Kronen Zeitung“ analysieren das erste ORF-Sommergespräch mit NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger.

Freiheit und Impfpflicht schwer vereinbar

Das Kernthema von NEOS sei Bildung und die Freiheit des Einzelnen, der Staat solle wenig Möglichkeiten für Regularien haben. Das sei aber beim Thema CoV aktuell auch schwierig, weil die Regierung derzeit die Eigenverantwortung propagiere und es schwerer sei, hier Opposition zu betreiben, so Filzmaier zur Position Meinl-Reisingers zur Impfpflicht.

Auf die Frage, ob es gescheit sei, dass Meinl-Reisinger, die im Gespräch Widerrede als ihre Rolle und Aufgabe definierte, immer wieder angriffig wirke, sagte Filzmaier, er sehe eher wohldosierte Empörung. Den NEOS-Wählerinnen und -Wählern sei Kontrolle wichtig, aber noch wichtiger, dass NEOS mitregiere – und das sei im Moment nur mit der ÖVP möglich.