Bild zeigt eine Szene ausdem Film „Tom and Jerry“.
Courtesy Warner Bros. Pictures
„Tom und Jerry“

Haudrauf-Kino unter neuen Vorzeichen

„Tom und Jerry“ ist ein Wurmloch in die Vergangenheit – die Trickfilmserie stammt aus den Jahren 1940 bis 1967. Und nun kommt ein neuer Film in die Kinos. Ähnlich einem Suchbild mit Fehlern kann man an der alten und neuen Version des Katz-und-Maus-Spiels ablesen, wie sich die Gesellschaft in den letzten 50 Jahren verändert hat.

Die erste Frage, die sich stellt, ist naheliegend: Soll man sich den neuen Film nun ansehen, wenn man früher Tom-und-Jerry-Fan war – ja oder nein? Zunächst: Dieses Mal handelt es sich um eine Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm. Die Menschen sind Schauspieler, die Locations gefilmt, nur die Tiere sind Comics. Das funktioniert ganz gut, wird Personen mit puristischem Nostalgietrieb aber anfangs irritieren.

Verfolgungsjagden gibt es wie eh und je; Katz und Maus malträtieren einander nicht mehr so brutal wie in ihren Anfängen, aber noch immer ganz ordentlich in alter Slapstick-Manier. Und die beiden sind ohne jede Modernisierung so gezeichnet wie früher. Wenn man das ganze Drumherum abzieht, kann man sich also seinen „Film im Film“ extrahieren und kommt als Fan der Serie auf seine Kosten.

Hip Hop statt Udo Jürgens

Interessant wird es aber vor allem dort, wo Warner Bros von der Vorlage abweicht und den Weg in die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts sucht. Was sofort auffällt, ist die Musikwahl. Wer an Udo Jürgens und „Vielen Dank für die Blumen“ denkt, wird durch eine akustische Abreibung wachgerüttelt: Wo früher Swing und das Piano vorherrschten, hat jetzt Hip Hop das Sagen. Drake ist sogar eine Dialogzeile gewidmet.

Als erster Song folgt ein feiner Brückenschlag von den 60ern ins Heute: Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ (1972), ursprünglich produziert von David Bowie, in den 90er Jahren von A Tribe Called Quest für die ikonische Hip-Hop-Nummer „Can I Kick It“ gesampelt. Dazu noch Tracks von unter anderen Flo Rida und DJ Shadow featuring De La Soul und gleich zweimal Bizkit & Butta.

Die zwanzig Unterröcke von Mammy Two-Shoes

Die Musik steht programmatisch für den Film. Bei so vielen Schmerzen, wie Tom und Jerry einander noch immer zufügen, hätte die Auswahl härter ausfallen dürfen. Man entschied sich jedoch für einen Soundtrack, der zur Gesamtanmutung kecker Lieblichkeit beiträgt. Brutalo-anarchisches Haudrauf-Kino und Gangster-Trap wären der ganz großen Zielgruppe abträglich. Während und gleich nach dem Zweiten Weltkrieg war das anders. Die ersten Folgen der Originalserie waren so brutal, dass sie bereits in den 60er Jahren zensuriert wurden, wobei die ursprünglichen Szenen komplett verloren gingen.

Dann die Frauenfiguren im Wandel der Geschichte. In den 40er Jahren gab es Mammy Two-Shoes, die sich ihre zwanzig Unterröcke hochschob, wenn Jerry auftauchte und die den Besen schwang, wenn Kater Tom Chaos anrichtete. Später hieß es, die Figur sei entlang rassistischer, an Sklavenhaushälterinnen erinnernder Stereotype entworfen worden. Mammy Two-Shoes wurde in den 50er Jahren ersetzt durch eine jüngere, weiße Frau, die dem idealisierten, sexistisch aufgeladenen Hausfrauentyp der Wirtschaftswunderjahre repräsentierte.

Bild zeigt eine Szene ausdem Film „Tom and Jerry“.
Courtesy Warner Bros. Pictures

Alte weiße Männer

Nun folgt ein Film mit echten Menschen, in dem Chloe Grace Moretz die Hauptrolle der Kayla spielt. Bekannt wurde die 24-jährige Moretz als gefeiertes Hit-Girl in der „Kick Ass“-Reihe. Sie überzeugte seither unter anderem in Filmen von Martin Scorsese („Hugo Cabret“) und Tim Burton („Dark Shadows“). In „Tom & Jerry“ spielt sie Kayla, die sich in New York charmant durchs Leben trickst. Unter anderem stibitzt Kayla einer Bewerberin ihre beeindruckenden Unterlagen und wird so von einem Hotel als Eventmanagerin für die Promihochzeit des Jahres engagiert.

Eine junge Schlawinerin als Eventmanagerin – und dann noch Tom und Jerry im Hotel: Das kann nicht gutgehen, und es geht nicht gut, Schlamassel folgt auf Schlamassel, das Chaos wird immer größer. Terrance (Michael Pena), dem neidischen Adlatus des Hotelmanagers, war sie von Anfang an ein Dorn im Auge. Kayla ist vielleicht patschert, aber smart und unabhängig. Social-Media-affin und woke repräsentiert sie eine neue Generation, während Terrance dem Chef in den Hintern kriecht und blöde Anti-Gender-Awareness-Witze reißt. Der böse, „alte weiße Mann“ ist hier erst 45 Jahre alt und mexikanischen Ursprungs.

Likebarkeit statt „Gut und Böse“

Smartphones sind allgegenwärtig. In Jerrys kleinem Mauseloch lehnt eines an der Wand – als riesiger Flachbildschirm. Und die Hochzeit wird vor allem via Social Media zum Ereignis des Jahres hochgejazzt. Das Promipärchen hat Follower ohne Ende, was nicht nur Kayla Druck macht, sondern auch Braut und Bräutigam. Mehr soll vom Inhalt nicht verraten werden. Nur so viel: Eine Katastrophe bahnt sich an, der Tom und Jerry den Weg bereiten.

Im Suchbild mit Fehlern tauchen beim Vergleich zwischen der Serie und dem Film also auf: Hip Hop statt Jazz; eine unabhängige junge Frau statt Mammy Two-Shoes und einer prototypischen „Hausfrau“; potenzielle Social-Media-Likebarkeit „ja oder nein“ anstatt der Frage „richtig oder falsch“ (Engerl und Teuferl an Toms Schulter tauchen nur einmal kurz auf); freche Wohlfühlunterhaltung statt grenzwertig-grenzgenialer Gewalt als (siebenfach oscarprämierte) Comic-Kunst. Ist das jetzt nur gut oder nur schlecht? Solange sich Tom und Jerry weiter verklopfen, ist es zumindest lustig.