Akram Khan Company (GB)
Jean-Louis Fernandez
Akram Khan

Paartanz mit dem Teufel

Mit der prämierten Performance des britischen Starchoreografen Akram Khan bewegt sich ImPulsTanz in seine Zielgerade: Das noch bis Sonntag laufende Festival zeigt mit „Outwitting the Devil“ eine tänzerisch virtuose, wuchtige Performance über Machtgier und die Zerstörung der Natur. Die Grundlage ist das 4.000 Jahre alte Gilgamesch-Epos, das Khan unverkennbar in die Gegenwart holt.

Nebelschwaden ziehen durchs Wiener Volkstheater. Noch dampft der herrliche Wald vom morgendlichen Regen. Die Natur ist der eigentliche Protagonist in jenem Teil des Gilgamesch-Epos, der die Basis für Khans Stück „Outwitting the Devil“ (auf Deutsch etwa: „Den Teufel austricksen“) bildet. Am Ende wird der Wald brennen und die wenigen, übrig gebliebenen Kreaturen werden sich im Kreis drehen und nach Luft ringen.

Seit 20 Jahren ist der Tänzer und Choreograf Khan regelmäßiger Gast bei ImPulsTanz. 2001 wurde er mit seinem ersten Solo „Rush“ im Rahmen der [8:tension] Young Choreographers‘ Series des Wiener Tanzfestivals gefeiert. Mit 47 Jahren ist er nun am Ende seiner tänzerischen Karriere angekommen. Seinen Fokus richtet Khan nun verstärkt auf die Arbeit als Choreograf.

Akram Khan Company (GB)
Jean-Louis Fernandez
Die Akram Khan Company lädt bei der Österreich-Premiere von „Outwitting the Devil“ zum visuellen Spektakel

Im Interview mit der Zeitschrift „tanz“ – die ihn für „Outwitting the Devil“ zum Choreografen des Jahres 2020 kürte – sagte er: „Ich habe mich einer neuen Art zu tanzen geöffnet. Ich tanze meine Ideen durch die Körper anderer, auch älterer Tänzerinnen und Tänzer mit ihren komplexen Erfahrungen. Was bleibt, ist meine Leidenschaft für die Erkundung alter und neuer Mythen im Kontext unserer Zeit.“

Erst 2011 entdecktes Gilgamesch-Kapitel

In „Outwitting the Devil“ bezieht sich Khan auf ein erst 2011 entdecktes Kapitel des sumerischen Gilgamesch-Epos. Vor zehn Jahren wurde im Irak eine Tonscherbe mit 20 bisher unbekannten Versen freigelegt. Insgesamt besteht das Epos aus zwölf Tontafeln und gilt als eines der ältesten großen Werke der Weltliteratur.

Auf den zeitlosen Mythos als auch seine Überlieferung spielt die Bühne im Volkstheater an: In diffusem Licht sind die Silhouetten der Performer zu sehen. In eleganten Positionen eröffnen sie Assoziationen zu Figuren auf antiken Vasenmalereien. Aideen Malone schafft über das Lichtdesign atmosphärisch aufgeladene Räume zwischen Beklemmung und Entspannung, Gewalt und Freude, die fast unbemerkt ineinander übergehen.

Gilgamesch als rasender Bulle

Auf dem Bühnenboden sind dunkle, unterschiedlich große Steine, Blöcke und Kisten aufgebaut, die Reste der Stadtmauer von Uruk in Südmesopotamien, wo König Gilgamesch regiert haben soll. Sie sind aber auch Verweise auf die jahrtausendealte Geschichte des Mythos, auf Ruinen menschlicher Kultur, die Grabmäler abgeholzter Wälder, Friedhöfe der Natur. Schließlich verkündete der machthungrige Gilgamesch: „Ich will Hand anlegen, die Zedern abhaun!“

In „Ouwitting the Devil“ erinnert sich der alte König Gilgamesch an dieses Kapitel aus jungen Jahren, als er im Machtrausch die Natur plünderte. Luke Jessop tanzt die Figur des Gilgamesch als rasenden Bullen, der seine behaarte Brust stolz der Welt präsentiert und aggressiv das Unterkiefer nach vorne schiebt. Er ist ein brutaler Machtmensch, strotzt vor Selbstüberschätzung und möchte sich und seiner Stadt Uruk ein Monument setzen.

Akram Khan Company (GB)
Jean-Louis Fernandez
Im gedämpftem Licht: in der Mitte Enkidu, vorne liegend ein gealterter Gilgamesch

Naturausbeutung von den Göttern bestraft

Wie in den antiken Tragödien begeht der Herrscher eine Hybris, lädt Schuld auf sich, indem er sich über die Götter stellt, ihre Ordnung ignoriert. Das kann nicht ungestraft bleiben, die Götter werden ihn eines Besseren belehren. Bis dahin aber geht es reichlich destruktiv zu: Gilgamesch zähmt einen wilden Mann namens Enkidu und macht ihn zu seinem Freund. Bei Khan ist Enkidu, getanzt von Jasper Narvaez, jedoch weniger Freund als Sklave. Geschmeidig wirbelt er durch die Luft, kommt lautlos wieder auf die Beine, verrenkt sich virtuos bei Gilgameschs Berührungen und wird am Ende dennoch domestiziert.

Gemeinsam überwältigen Gilgamesch und Enkidu schließlich auch Humbaba, den Hüter des Zedernwaldes. Die Szene zählt zu den eindrucksvollsten des Abends: Bei lautem Vogelgeschrei und ohrenbetäubendem Dröhnen töten die beiden den Wächter der Kreaturen und Geister. Die Vielfalt des Waldes, die Tiger, Gazellen, Spinnen, Panther, Vögel und Elefanten, die zusammen mit Enkidu und Humbaba den Wald bevölkerten, sind nach Humbabas Mord verschwunden, nur noch hohles Atmen ist zu hören.

Akram Khan Company (GB)
Jean-Louis Fernandez
Rituelle Naturgötterbeschwörung bei „Outwitting the Devil“

Dem Wald geht die Luft aus. Schließlich hat ihn Gilgamesch auf ein Brachland reduziert, den Lebensraum der Pflanzen, Tiere und Geister vernichtet. Aus heutiger Sicht gesagt: Gilgamesch missachtet die Bedeutung der Biodiversität, dafür strafen ihn die Götter, indem sie Enkidu, sein Liebstes, ebenfalls vernichten.

Zeitgenössischer Tanz trifft auf rituelle Volkstänze

In expressivem, virtuosem Körpertheater verbinden sechs Tänzer aus verschiedenen Kontinenten und Generationen unterschiedliche Tanzstile. Elemente des postmodernen Tanzes stehen neben volkstümlichen Elementen. In Ritualen werden die Naturgötter beschworen, den Teufel auszutreiben – jenen Teufel, der sich in autoritären Strukturen, in Konsumgier und Kapitalismus verbirgt und der auf Kosten der Erde sein Unwesen treibt.

Veranstaltungshinweis

„Outwitting the Devil“ wird im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals noch am 12.8., 13.08. und 14.8., jeweils um 21.00 Uhr, im Volkstheater aufgeführt.

Nach Meg Stuarts „Cascade“, Maguy Marins „Umwelt“, Sergiu Matis „Extinction Room (Hopeless.)“ und Wim Vandekeybus’ „Traces“ steht somit auch bei Khans jüngster Choreografie der Konflikt Natur und Mensch im Mittelpunkt. Der ökologische Schwerpunkt sei bei ImPulsTanz eigentlich nicht geplant gewesen, meinte dazu der Festivalintendant Karl Regensburger im ORF.at-Gespräch. „Aufgrund der aktuellen Situation hat sich die Auseinandersetzung mit der Natur aber als zentrale Frage der Gegenwart herauskristallisiert. Es setzen sich viele Choreografen mit dem Thema Klimaschutz auseinander“, so Regensburger.

Begeisterter Applaus

In Berlin hat sich indes bereits ein eigenes „Theater des Anthropozän“ etabliert, das, angesiedelt an der Humboldt-Universität, wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Mitteln der Kunst sinnlich erfahrbar machen und Kunst und Wissenschaft enger verzahnen will. Das Projekt folgt der Humboldt’schen Idee, dass nur ein aus Wissen und Erfahrung bestehendes intaktes Band zwischen Mensch und Natur die Grundlage für eine zukunftsfähige Gesellschaft bilden kann.

Dieses Verständnis liegt auch dem Gilgamesch-Epos zugrunde, diesem, wie es im Programmheft heißt, „ersten Umweltgedicht der Welt“. Khan hat daraus eine verstörende Performance voller Tiefe, Wucht und Zauber entwickelt, deren laute, dröhnende Soundlandschaft auch mit den Grenzen der Zuschauer spielt. „Outwitting the Devil“ ist ein kraftvoller Appell, der die Dringlichkeit des Handelns spürbar macht. Sowohl für Khans virtuose Kompanie als auch für den anwesenden Choreografen gab es im Volkstheater viel begeisterten Applaus.