Flugzeug durch Stacheldraht fotografiert
APA/dpa/Julian Stratenschulte
Afghanistan

Abschiebungen laut Experten problematisch

Wegen des Vormarschs der Taliban in Afghanistan haben neben Schweden mittlerweile auch Frankreich, Dänemark und Deutschland Abschiebungen ausgesetzt. Hingegen stellt sich das Innenministerium weiter gegen eine Abschiebestopp und will eigene Charterflüge organisieren. Für Experten ist eine Abschiebung aber menschenrechtlich problematisch.

Das Innenministerium bestätigte am Samstag einen Bericht der „Kleinen Zeitung“, wonach man anstelle der internationalen Frontex-Abschiebeflüge selbst nationale Charterflüge organisieren und durchführen wolle. Mit Frontex müsse allerdings abgeklärt werden, ob die selbst organisierten Charterflüge über die Agentur laufen und damit aus dem EU-Budget finanziert werden – oder Österreich selbst für die Kosten aufkommen müsste.

Selbst wenn ein Charterflug organisiert werden könnte, sei es derzeit „sehr unwahrscheinlich“, dass Afghanistan einer Landung zustimme, so der Völkerrechtsexperte Sigmar Stadlmeier gegenüber ORF.at. „Für jeden Flug benötige ich eine Genehmigung von jenen Ländern, die ich überfliege – und wenn ich in Afghanistan auch landen möchte, muss Afghanistan zustimmen“, so der Vorstand des Instituts für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen der Johannes-Kepler-Universität Linz.

Zudem würde die gegenwärtige Sicherheitslage in Afghanistan gegen eine Abschiebung sprechen. „Abschiebungen sind derzeit aus menschenrechtlicher Sicht äußerst problematisch“, so Stadlmeier. Ähnlich äußerte sich auch Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im „Standard“. „Wenn man jetzt nach Afghanistan abschiebt, verletzt man die Europäische Menschenrechtskonvention.“ Für Völkerrechtsexperte Ralph Janik ist rechtlich „ganz klar“, dass man in Bürgerkriegsländer nicht abschieben könne, wie er im Ö1-Interview sagte.

FPÖ: „Bluff“ der ÖVP

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hingegen spricht sich weiter gegen einen Abschiebestopp aus. „Es ist einfach, einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan zu fordern, aber andererseits die zu erwartenden Fluchtbewegungen zu negieren“, so Nehammer. „Wer Schutz benötigt, muss diesen möglichst nahe am Herkunftsland erhalten.“

Im Büro von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verwies man auf die Aussagen des grünen Parteichefs vom Donnerstag, wonach laut Experten Abschiebungen nach Afghanistan derzeit rechtlich und faktisch nicht möglich seien. Es habe sich an der Sachlage nichts geändert, so eine Sprecherin Koglers.

Innenminister Karl Nehammer
APA/Herbert Pfarrhofer
Nehammer will weiter abschieben – für Fachleute ist das derzeit rechtlich und faktisch nicht möglich

Aus dem Außenministerium hieß es zum Vorhaben, selbst Flüge zu organisieren, knapp: Die für Afghanistan zuständige Botschaft Österreichs in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad bleibe selbstverständlich weiter in engem und konstruktivem Kontakt mit den zuständigen afghanischen Behörden. Die Botschaft sei vorbereitet, bei den afghanischen Behörden in Kabul „alle erforderlichen Schritte zu beantragen“.

Von einem „Bluff“ sprach die FPÖ mit Blick darauf, dass die letzte Abschiebung vor zwei Monaten erfolgte. „Die ÖVP versucht mit allen Mitteln, den Anschein zu wahren, man würde weiter Abschiebungen nach Afghanistan durchführen. Tatsache ist, dass der letzte Abschiebeflug bereits vor zwei Monaten stattgefunden hat und seitdem kein einziger Afghane außer Landes gebracht wurde“, sagte FPÖ-Obmann Herbert Kickl.

Letzter Abschiebeflug abgelehnt

Im Ministerium verwies man darauf, dass – abseits der Abschiebeflüge – weiterhin zwangsweise Außerlandesbindungen von Afghanen in andere EU-Staaten nach der Dublin-Verordnung durchgeführt würden. Seit Jahresanfang seien das insgesamt 80 gewesen (Stand Ende Juli); alleine im Juli waren es laut Innenressort 20 derartige Überstellungen.

Debatte über Abschiebestopp

De facto lassen sich Abschiebungen derzeit kaum durchführen, so Fachleute.

Der letzte Abschiebeflug fand im Juni (16.) statt. Im Jahr 2021 habe es (bis Juli) vier Charterabschiebeflüge nach Afghanistan gegeben – ebenso viele wie im Gesamtjahr 2017. Im Jahr 2018 seien sechs derartige Flüge durchgeführt worden, 2019 neun und im Vorjahr coronavirusbedingt nur drei.

Im Schnitt würden alle zwei bis drei Monate derartige Abschiebungen durchgeführt. Das sei ein „ganz normales Intervall“, hieß es aus dem Büro von Innenminister Nehammer. Der letzte geplante Abschiebeflug Anfang August sei von Afghanistan u. a. mit Verweis auf die Covid-19-Bestimmungen abgelehnt worden.

Warnung vor „falschen Signalen“

Gerald Tatzgern, der Leiter des Büros zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Schlepperei im Bundeskriminalamt, warnte vor „falschen Signalen“ an die Schlepper bzw. die Betroffenen, die durch die Bekanntgabe eines generellen Abschiebestopps ausgelöst würden. Viele Schlepper versuchten bereits jetzt, aufgrund dieser Meldungen aus mehreren europäischen Ländern ihr Geschäft noch mehr zu forcieren.

Dazu würden sie „Garantien“ abgeben, dass die Betroffenen nach der Schleppung nicht mehr abgeschoben werden. Das motiviere aktuell vor allem jene Afghanen, auf die Schlepper zurückzugreifen, die gar nicht mehr in Afghanistan leben, sondern bereits außerhalb des Landes, verwies Tatzgern etwa auf „Millionen Afghanen im Iran“. „Man unterstützt das Schleppergeschäft mit diesem Signal“, sagte er.

Einen „generellen Abschiebestopp“ nach Afghanistan forderte am Samstag unterdessen auch die IG Autorinnen Autoren von der Regierung. „Keiner der dorthin Abgeschobenen ist seines Lebens noch sicher, wenn sie den Taliban in die Hände fallen“, hieß es in einem offenen Brief. „Die österreichische Bundesregierung, die gerne den mutigen Kämpfer gegen den radikalen Islamismus gibt, wenn es um heimische Muslime geht, droht nun zum Handlanger der dschihadistischen Truppen zu werden.“