Menschenmenge auf dem Flughafen von Kabul (Afghanistan)
APA/AFP
Flucht vor Taliban

Chaos und Tote auf Flughafen von Kabul

Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan versuchen viele Menschen das Land zu verlassen. Auf dem Flughafen der Hauptstadt Kabul herrscht Chaos. Während Botschafts- und Militärangehörige eilends ausfliegen, ist der Flughafen für die zivile Luftfahrt gesperrt. Sicherheitskräfte halten die Menschen davon ab, den Airport zu stürmen. Bei den Tumulten kamen bereits einige Personen ums Leben.

Europäische Staaten, die USA und nun sogar Russland flogen am Montag eilends ihre Staatsbürger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kabul aus. Auf dem Flughafen der Hauptstadt spielten sich dramatische Szenen ab: Der kommerzielle Flugverkehr ist eingestellt. Dennoch versuchten Tausende, einen Platz in einer Maschine raus aus dem Land zu bekommen.

In sozialen Netzwerken gingen Bilder um, die zeigten, wie verzweifelte Zivilisten eine bereits überfüllte und verbogene Stiege hinaufkletterten, um ein geparktes Passagierflugzeug zu besteigen. Andere Bilder zeigten, wie Menschen aus beträchtlicher Höhe von einem Militärflugzeug fallen. Es wurde gemutmaßt, dass sich die Menschen im Bereich der Flugzeugräder der Militärmaschine versteckt hatten. Diese Angaben konnten nicht unabhängig verifiziert werden.

Machtübernahme durch Taliban

Europäische Staaten, die USA und nun sogar Russland fliegen ihre Staatsbürger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kabul aus.

Am Nachmittag wurden die Evakuierungsflüge generell ausgesetzt, um die Lage zu beruhigen. Zu viele Menschen hatten sich auf das Rollfeld begeben. In der Früh hatten US-Soldaten Schüsse in die Luft abgegeben, um die Menge zu kontrollieren. Augenzeugen berichteten, dass mindestens fünf Menschen getötet wurden. Es war unklar, ob sie in der Massenpanik gestorben oder ob sie erschossen worden seien.

Letzter Ausweg

Seit Sonntag meldeten sich laut Außenministerium rund 15 Österreicher, die sich noch in Afghanistan befinden und das Land so rasch wie möglich verlassen wollen. Das Außenministerium bemühe sich derzeit, die österreichischen Staatsbürger auf Evakuierungsflügen anderer europäischer Länder unterzubringen, um sie in Sicherheit zu bringen, so eine Sprecherin zur APA.

Die Möglichkeiten, das Land noch zu verlassen, schwinden von Stunde zu Stunde. Am Sonntag nahmen Taliban-Kämpfer den Grenzübergang Torkham zu Pakistan ein – den letzten Grenzübergang, der noch nicht unter ihrer Kontrolle war. Somit ist der Hamid-Karzai-Flughafen rund fünf Kilometer vom Kabuler Zentrum entfernt der letzte verbleibende Ausweg. Der Weg dorthin wurde bereits von den Taliban bei Checkpoints kontrolliert.

Große Fluggesellschaften wie United Airlines, British Airways und Virgin Atlantic erklärten auch, sie würden den Luftraum Afghanistans nicht mehr überfliegen. Auch die AUA umfliegt nun den Luftraum. „Austrian Airlines setzt wie alle Lufthansa-Group-Airlines die Überflüge über Afghanistan bis auf Weiteres aus“, so eine Sprecherin am Montag auf APA-Anfrage.

Deutschland will bis Ende des Monats rund 2.000 Ortskräfte über eine Luftbrücke aus Afghanistan ausfliegen lassen und plant dafür den Einsatz mehrerer hundert deutscher Soldaten ein. Über die Luftbrücke sollen einheimische Helfer deutscher Einrichtungen aus Afghanistans Hauptstadt ausgeflogen werden – und zusätzlich „besonders gefährdete Frauen, Menschenrechtler und weitere Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen“, wie in dem Briefing mitgeteilt wurde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte ihrer Partei CDU, die Zahl der in Sicherheit zu bringenden Menschen könne sich insgesamt auf 10.000 belaufen. Auch Großbritannien überlegte am Montag ähnliche Maßnahmen.

Österreich für freie Ausreise

Die Machtübernahme durch die Taliban kam für viele überraschend schnell. Noch vor wenigen Tagen hatte es in einer Einschätzung der US-Geheimdienste laut „Washington Post“ geheißen, Kabul könne noch mindestens drei Monate gehalten werden. Doch dann rückten die Extremisten offenbar ohne nennenswerten Widerstand vor. Am Sonntag besetzten sie nach eigenen Angaben in Kabul den Palast von Präsident Ashraf Ghani, der zuvor ins Ausland geflohen war – angeblich mit vier Autos und einem Hubschrauber voller Geld.

Der Feldzug der Taliban war durch den Abzug der US-Streitkräfte ausgelöst worden. Inzwischen besetzten sie überall in der Hauptstadt Polizeistationen und andere Behördengebäude, wie Bewohner der Stadt am Montag der dpa sagten.

Kritiker von US-Präsident Joe Biden erklärten, das Chaos sei durch seine schlechte Führung verursacht worden. Biden wiederum warnte die Taliban vor Übergriffen auf Amerikaner. Jede Aktion, die diese in Gefahr bringe, werde „mit einer schnellen und starken militärischen US-Reaktion beantwortet“.

Stau in Kabul (Afghanistan)
Reuters/Social Media
Auf dem Weg zum Flughafen: Tausende machten sich auf, um noch eine Maschine zu bekommen

Die USA, Deutschland und rund 60 weitere Länder – darunter Österreich – forderten von den Taliban, dass Flughäfen und Grenzübergänge geöffnet bleiben müssten. Jeder Ausreisewillige müsse das Land auch verlassen dürfen. Die Machthaber in Afghanistan trügen die Verantwortung für den Schutz von Menschenleben und die sofortige Wiederherstellung von Sicherheit und bürgerlicher Ordnung.

Taliban wollen „Probleme lösen“

Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen.

Man wolle Frieden mit allen Beteiligten. Sorgen der internationalen Gemeinschaft wollten die Taliban im Dialog lösen. Der Kontakt zu anderen Staaten werde gesucht, da man nicht in Isolation leben wolle. „Wir bitten alle Länder und Organisationen, sich mit uns zusammenzusetzen, um alle Probleme zu lösen.“

Treffen mit Russland

Am Dienstag will der russische Botschafter mit einem Vertreter der Taliban in Kabul zusammentreffen. Es hänge eine mögliche Anerkennung einer Taliban-Regierung durch Russland von deren „Verhalten“ ab. Die Regierung in Moskau werde das Handeln der neuen Machthaber genau beobachten und dann eine Entscheidung treffen, hieß es.

Flucht vor Taliban

Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan versuchen viele Menschen das Land zu verlassen. Auf dem Flughafen der Hauptstadt Kabul herrscht Chaos.

Auch China pflegt Kontakte zu den Taliban. Chinas Außenminister Wang Yi hatte Ende Juli in der ostchinesischen Metropole Tianjin eine Delegation um den Taliban-Mitbegründer Abdul Ghani Baradar empfangen, um persönlich Kontakt mit den künftigen Machthabern aufzunehmen. China rief die Taliban am Montag zur friedlichen Machtübernahme auf. Man sei nach der Eroberung von Kabul durch die Taliban zu „freundlichen Beziehungen“ bereit. „China respektiert das Recht des afghanischen Volkes, unabhängig sein eigenes Schicksal zu entscheiden, und ist bereit, (…) freundliche und kooperative Beziehungen mit Afghanistan“ zu unterhalten, sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying am Montag in Peking.

Peking hatte den Rückzug der USA aus Afghanistan wiederholt als überhastet kritisiert und zeigte sich besorgt über Instabilität in der Region. Es befürchtet auch das Einsickern von Terroristen, die für eine Unabhängigkeit der muslimisch besiedelten Region Xinjiang in Nordwestchina kämpfen könnten.

UNO-Sicherheitsrat tagt

Die Lage in Afghanistan soll am Montag auch Thema im UNO-Sicherheitsrat sein. Generalsekretär Antonio Guterres rief die Taliban und alle anderen Parteien zu größtmöglicher Zurückhaltung auf, um Leben zu schützen. Er fordere sie auf sicherzustellen, dass humanitäre Bedürfnisse bedient werden könnten. Die Vereinten Nationen seien weiterhin entschlossen, zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts beizutragen, die Menschenrechte aller Afghanen, insbesondere die von Frauen und Mädchen, zu fördern und lebensrettende humanitäre Hilfe und wichtige Unterstützung für Zivilisten in Not zu leisten.

Chaos auf Flughafen von Kabul

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan haben Hunderte Menschen auf dem Flughafen von Kabul versucht, einen Platz in einer Maschine zu erkämpfen, um aus dem Land zu fliehen. Bei den chaotischen Zuständen sollen mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen sein.

Auch die Außenministerinnen und -minister der Europäischen Union werden am Dienstag bei einer Krisensitzung über die Lage in Afghanistan beraten. „Afghanistan steht an einem Scheideweg. Die Sicherheit und das Wohlergehen seiner Bürger sowie die internationale Sicherheit stehen auf dem Spiel“, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.