Kämpfer der Taliban vor dem Hamid Karzai International Flughafen in Kabul
AP/Rahmat Gul
Kabul

Taliban versuchen Flughafen abzuriegeln

Auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul sind am Dienstag weitere Evakuierungsflüge gestartet. Militärflugzeuge hätten in der Früh mit dem Ausfliegen von Diplomaten und Zivilpersonen aus Afghanistan begonnen, sagte ein westlicher Sicherheitsbeamter auf dem Flughafen der Nachrichtenagentur Reuters. Die radikalislamischen Taliban würden versuchen, die Menschenmassen vor dem Flughafen zu kontrollieren, hieß es weiter.

Laut den Angaben des Sicherheitsbeamten sind die Landebahn und das Rollfeld des Flughafens nun frei von Menschenmassen, die noch am Montag verzweifelt den Flughafen belagert hatten, um aus der afghanischen Hauptstadt zu fliehen. Die Start- und Landebahn ist auch nach Angaben eines NATO-Vertreters wieder geöffnet.

Der zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, Stefano Pontecorvo, schrieb am Dienstag auf Twitter, er sehe Flugzeuge landen und abheben. Zuletzt war der Flugverkehr eingestellt, da sich Menschentrauben auf dem Flugfeld aufhielten. Viele Afghanen und Afghaninnen versuchen, nach der faktischen Machtübernahme der Taliban das Land zu verlassen.

Berichte: Taliban drängen Menschen zurück

Derzeit bemühen sich zahlreiche westliche Länder, ihre Staatsbürger und Ortskräfte, für die Racheaktionen der Taliban befürchtet werden, aus Afghanistan in Sicherheit zu bringen. Es ist allerdings unklar, ob die Personen, die in Sicherheit gebracht werden sollen, ohne Probleme auf das Flughafengelände gelangen können.

Menschenmenge am Flughafen von Kabul
AP/Shekib Rahmani
Am Montag kam es zu einem Andrang von Menschen auf dem Flughafen in Kabul

Der US-Sender CNN berichtete, Taliban-Kämpfer hätten in Humvees vor dem Flughafen Stellung bezogen und würden versuchen, die Menschenmassen rund um den Flughafen zu kontrollieren. Auf von CNN gezeigten Videos war zu sehen, wie Menschen versuchen, durch Tore oder über mehr als drei Meter hohe Sprengschutzmauern auf den Flughafen zu gelangen. Es gibt unbestätigte Berichte, dass die Taliban sie zurückdrängen. Ortskräfte haben Angst, auf dem Weg zum oder vor dem Flughafen von den Taliban kontrolliert zu werden. Sie erklärten, sie müssten Dokumente mitführen, die eine Berechtigung zur Evakuierung belegten.

Die Lage auf dem Flughafen Kabul hat sich auch nach Angaben des deutschen Außenministers Heiko Maas (SPD) stabilisiert. „Die Bundeswehr sichert nun den Zugang“, twitterte der SPD-Politiker: „Weitere Evakuierungsflüge erwarten wir im Laufe des Tages. Die Botschaft hat daher eine erste Gruppe zu Evakuierender kontaktiert, um ihren Abflug zu ermöglichen.“

Kramp-Karrenbauer: Wirklich halsbrecherische Landung

Der erste Flug der deutschen Bundeswehr nach Kabul erfolgte offenbar unter äußerst schwierigen Umständen. „Wir haben eine sehr unübersichtliche, gefährliche, komplexe Situation am Flughafen, vor allen Dingen durch die Menschenmengen“, sagte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Dienstagfrüh im ARD-„Morgenmagazin“.

Menschenmenge um den Flughafen in Kabul
Reuters/Maxar
Menschenmenge am Montag rund um den Flughafen in Kabul

„Wir haben es gestern geschafft, in einer wirklich halsbrecherischen Landung unsere Maschine zu Boden zu bringen. Wir haben vor allen Dingen Soldaten dorthin gebracht, die jetzt absichern, damit die Leute, die wir rausfliegen wollen, auch überhaupt die Möglichkeit haben, zum Flugzeug zu kommen. Das war gestern der Hauptauftrag“, so die Ministerin.

CDU-Politiker: Sieben Personen mitgenommen

Der deutsche CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul bestätigte unterdessen, dass mit dem ersten Flug der deutschen Bundeswehr in der Nacht nur sieben Personen aus Kabul ausgeflogen wurden. „Das stimmt“, sagte der Unionsfraktionsvize im Deutschlandfunk: „Es sind nur sieben.“ Man habe nur einen Slot von 30 Minuten für die Maschine gehabt.

Hunderte Menschen in einem Transportflugzeug der U.S. Air Force in Kabul
Reuters/DEFENSE ONE
Hunderte Menschen in einem Transportflugzeug der US-Luftstreitkräfte auf dem Flughafen in Kabul

„Und wir konnten nur die mitnehmen, die jetzt da waren. Es wäre auch unverantwortlich gewesen, weil gar nicht sicher war, dass die Maschine landen konnte, mehr dort jetzt schon zum Flughafen zu bringen.“ Der wesentliche Zweck des Fluges sei aber gewesen, „robuste Kräfte“ nach Kabul zu bringen. Diese Soldaten würden nun die Voraussetzungen dafür schaffen, dass weitere Maschinen in Kabul landen und starten könnten.

Evakuierungen aus Kabul wieder angelaufen

Nach den chaotischen Szenen auf dem Flughafen von Kabul mit mehreren Toten gibt es wieder Evakuierungsflüge für westliche Staatsbürger.

Kramp-Karrenbauer sieht zwei Möglichkeiten

Japan zog unterdessen sein gesamtes Botschaftspersonal aus Afghanistan ab. „Wegen der raschen Verschlechterung der Sicherheitslage schließen wir zeitweise unsere dortige Botschaft“, teilte das Außenministerium in Tokio mit. Die zwölf letzten Botschaftsmitarbeiter seien von einer befreundeten Nation von Kabul nach Dubai geflogen worden.

Nach Angaben Kramp-Karrenbauers gibt es zwei Szenarien. Laut dem ersten könne der Flughafen nur für einen kurzen Zeitraum offen gehalten werden. „Dafür haben wir auch sehr robuste Kräfte jetzt vor Ort und verstärken weiter.“ Das zweite Szenario sei der Aufbau einer richtigen Luftbrücke. Dafür seien am Ende bis zu 600 Soldatinnen und Soldaten vorgesehen.

Europa muss laut EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni einen Korridor für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan schaffen. „Ich glaube, dass Europa sich unweigerlich für humanitäre Korridore und eine organisierte Aufnahme rüsten muss“, sagte er der Zeitung „Il Messaggero“. „Zumindest sollten die Länder, die dazu bereit sind, das tun.“ Das sei auch notwendig, um einen Zustrom von illegal Einwandernden zu verhindern.

Taliban verkünden Generalamnestie

Die Taliban verkündeten unterdessen eine Generalamnestie für alle afghanischen Regierungsmitarbeiter. Die Dschihadisten forderten die Beamten am Dienstag auf, zu ihrem Arbeitsplatz zurückzukehren. „Sie sollten mit vollem Vertrauen in Ihren Alltag zurückkehren“, hieß es in einer Erklärung der Taliban.

Der Vizechef der Taliban wies seine Kämpfer an, keine Privathäuser in Kabul zu betreten. Unter keinen Umständen sollte irgendjemand in die Häuser von Menschen gehen oder ihre Fahrzeuge mitnehmen, hieß es in einer vom lokalen TV-Sender ToloNews veröffentlichten Audionachricht, die dem Taliban-Vizechef Mullah Yaqub zugeschrieben wurde. Das sei ein „Verrat am System“, und man werde die Person zur Rechenschaft ziehen.

Taliban sollen auch Autos gestohlen haben

Hintergrund der Botschaft ist offensichtlich, dass sich seit der faktischen Machtübernahme der Taliban in Kabul Berichte mehrten, dass sich Taliban-Kämpfer Zutritt zu Wohnhäusern verschafften und Autos mitnahmen. Gleichzeitig sagten mehrere Bewohner Kabuls auch, dass einfache Kriminelle die Ankunft der Taliban ausnutzten und wohl vorgaben, Taliban zu sein.

Unterdessen floh nach dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani auch der Chef der afghanischen Zentralbank aus Kabul. Durch den Vormarsch der Taliban war der afghanische Devisenmarkt zuletzt in Turbulenzen geraten, vor allem, nachdem die Zentralbank am Freitag erklärt hatte, sie werde keine weiteren Dollar mehr erhalten.

Usbekistan will Flucht verhindern

Das Nachbarland Usbekistan will Fluchtbewegungen in das eigene Staatsgebiet verhindern. Jeder Versuch, die Grenze zu verletzen, werde gemäß usbekischem Recht strikt unterbunden, teilte das Außenministerium am Dienstag in der Hauptstadt Taschkent mit. Die Ex-Sowjetrepublik in Zentralasien stehe in Fragen des Grenzschutzes und zur Lage an der Grenze eng in Kontakt mit den Taliban.

Am vergangenen Wochenende hatten nach usbekischen Angaben 22 Militärflugzeuge und 24 Hubschrauber mit zusammen 585 afghanischen Soldaten das Land erreicht. 84 afghanische Soldaten waren außerdem auf dem Landweg in die Ex-Sowjetrepublik geflohen. Darüber hinaus hatten 158 Zivilisten laut der usbekischen Staatsanwaltschaft illegal die Grenze überquert. Ein afghanisches Militärflugzeug wurde abgeschossen.

Dem usbekischen Außenministerium zufolge will Usbekistan an den traditionell freundschaftlichen und guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan festhalten. Man wolle sich weiterhin nicht in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einmischen und hoffe, dass die Machtübernahme friedlich verlaufe auf Grundlage „der allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts“, teilte das Ministerium mit.