Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Georg Hochmuth
Afghanistan

Van der Bellen ruft zu humanitärer Hilfe auf

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich am Dienstag auf Twitter zu der Situation in Afghanistan und der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban geäußert. „Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan ist erschütternd und macht tief betroffen“, so Van der Bellen. Es sei die Aufgabe Österreichs und der EU, Bedrohten Schutz zu gewähren und humanitäre Hilfe zu leisten. Auch zu Abschiebungen äußerte sich der Bundespräsident.

Das Staatsoberhaupt sieht die Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen „fehl am Platz“. Eine solche Vorgehensweise stehe im Widerspruch zur in der österreichischen Verfassung verankerten Europäischen Menschenrechtskonvention, befand das Staatsoberhaupt. „Meine Sorge gilt besonders auch allen Frauen und Mädchen, deren elementare Rechte auf Freiheit, Berufsausübung und Bildung nun massiv gefährdet sind, sowie Angehörigen von Minderheiten", schrieb Van der Bellen weiter.

Afghanische Bürgerinnen und Bürger, die ihr Land verlassen wollen, müssten das frei, sicher und über offene Grenzen tun können, ebenso wie Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten, die sich in Afghanistan aufhalten. „Gleichzeitig müssen Österreich und die EU alle verbliebenen wirtschaftlichen und politischen Mittel nützen, um Einfluss auf die Taliban zu nehmen, auch wenn das gegenwärtig nicht einfach sein wird“, so der Bundespräsident weiter.

Botschafterin bedankte sich bei Van der Bellen

Die afghanische Botschafterin in Österreich, Manizha Bakhtari, dankte am Montagabend Van der Bellen via Twitter. „Ich danke Ihrer Exzellenz für Ihr Einfühlungsvermögen und Ihre Unterstützung für die Menschen in Afghanistan, mein Team und unsere Familien“, so Bakhtari an das österreichische Staatsoberhaupt gerichtet. Das Gespräch führte Bakthari mit der Botschafterin und Beraterin für europäische und internationale Angelegenheiten in der Hofburg, Gerda Vogl, wie ORF.at vonseiten der Präsidentschaftskanzlei bestätigt wurde. Darin sei es um die aktuelle politische Situation in Afghanistan gegangen sowie um Auswirkungen auf die Bevölkerung.

Bakhtari wurde erst Anfang August nach einem Ö1-Interview, in dem sie Österreich und andere europäische Länder bat, den Abschiebestopp nach Afghanistan zu verlängern, ins Außenministerium zu einem Gespräch bestellt. Das war vor der Eroberung der Hauptstadt Kabul durch die Taliban – eine Lage, vor der Expertinnen und Experten gewarnte hatten.

Abschiebungen nach Afghanistan derzeit nicht möglich

Erst am Sonntag hatte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ gesagt, dass man „in Kooperation mit Afghanistan“ an einem Abschiebeflug arbeite. Die ÖVP sieht jetzt aber aufgrund der derzeit faktisch unmöglichen Situation, Menschen nach Afghanistan abzuschieben, von dieser Praxis ab. „Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die Europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden“, so Nehammer am Montag, der von seiner grundsätzlichen Position, weiter nach Afghanistan abzuschieben, nicht abwich.

Deshalb will der ÖVP-Politiker am Mittwoch den EU-Innenministerinnen und -Innenministern Abschiebezentren um Afghanistan vorschlagen. Das wäre eine Möglichkeit, um weiter abschieben zu können. Der oberösterreichische ÖVP-Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer brachte am Dienstag erneut die Sicherungshaft ins Spiel: Wenn Abschiebungen „vorerst nicht mehr möglich sein sollten“, müssten „rasch Vorkehrungen getroffen werden, um verurteilte und zur Abschiebung vorgesehene Straftäter in Verwahrung zu behalten“, sagte er in einer Aussendung.

Auf Regierungsebene formulierte der Koalitionspartner Grüne bisher keine klare Position zum Thema Abschiebungen. Zwar nannte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Montag im ORF-„Sommergespräch“ Nehammers Äußerungen „sehr problematisch“, jedoch sei es wichtig, "was jetzt am Ende als Ergebnis steht, und das Ergebnis ist: Es wird nicht abgeschoben“, sagte der Grünen-Chef.

Kaum Abschiebungen 2021

Bemerkenswert ist, dass Österreich seit gut zwei Monaten kaum noch Menschen nach Afghanistan abgeschoben hat. Der letzte Flug fand im Juni statt. In der Abschiebestatistik für 2020 war Afghanistan nicht mehr unter den Top Ten. Laut Innenministeriums warten derzeit knapp 5.000 Afghanen und Afghaninnen auf Asyl in Österreich. Freilich sind nicht alle von ihnen auch asylberechtigt. Damit ist Afghanistan mit Abstand das Land mit den meisten offenen Entscheidungen. Insgesamt wurden heuer mehr als 1.600 Asylanträge rechtskräftig abgelehnt, 1.200 gewährt.

Das Innenministerium verkündete im Zuge dessen am Dienstag, vier afghanische Flüchtlinge aus Österreich abgeschoben zu haben, allerdings nach Rumänien. Im Rahmen der Dublin-Bestimmungen wurden laut dem Ressort weiters fünf syrische und ein marokkanischer Staatsbürger nach Rumänien gebracht. Bis Ende Juli dieses Jahres wurden laut Innenministerium 474 „zwangsweise Außerlandesbringungen“ nach der Dublin-III-Verordnung durchgeführt, darunter befanden sich rund 80 afghanische Staatsbürger. Abgeschoben wird zumeist nach Deutschland, Rumänien und Italien. Betroffen sind am häufigsten Menschen aus Afghanistan, Nigeria, Algerien und Syrien.

Appelle von UNO-Organisationen

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte unterdessen alle Länder der Welt auf, die zwangsweise Rückführung nach Afghanistan vorübergehend auszusetzen. Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der UNO, Michelle Bachelet, zeigte sich besorgt über das Schicksal Tausender Afghaninnen und Afghanen, die sich für Menschenrechte eingesetzt haben. Bachelet forderte, die Rechte aller Afghaninnen und Afghanen müssten verteidigt werden.

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) gab am Dienstag ebenfalls eine Empfehlung gegen Abschiebungen nach Afghanistan heraus. Die „Non-Return Advisory“ schließe Asylwerberinnen und Asylwerber, deren Antrag abgelehnt wurde, ein, sagte Sprecher Shabia Mantoo in Genf.

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) gab sich unterdessen zuversichtlich, auch mit den Taliban zusammenarbeiten zu können. Man könne in fast alle Teile Afghanistans Hilfsgüter liefern, sagte der Verantwortliche für die Verteilung der Hilfen, Mustapha Ben Messaoud. „Wir haben fortlaufend Gespräche und sind auf der Grundlage dieser Gespräche recht optimistisch. Wir haben kein einziges Problem mit den Taliban in den Außenstellen.“ Dass Hilfsorganisationen diplomatische Beziehungen zu Machthabern pflegen, ist wichtig, um Menschen mit dem Allernötigsten versorgen zu können.