Außenminister Alexander Schallenberg
APA/Helmut Fohringer
Außenministerium

Rückholhilfe für 45 Personen

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat am Donnerstag vor einem Treffen der EU-Außenminister die Entsendung eines Krisenteams nach Afghanistan angekündigt. Dieses soll die Rückholung von 45 Menschen nach Österreich vorantreiben. Die Lage im Land bezeichnete Schallenberg als „Fiasko, das uns alle betrifft“.

Laut Schallenberg befinden sich derzeit noch 25 österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Afghanistan, dazu 20 Personen mit österreichischem Aufenthaltstitel. Der Großteil dieser Personen halte sich im Großraum Kabul auf. Unterstützung für diese Menschen in der aktuellen „volatilen und gefährlichen Situation“ sei nun oberste Priorität, so Schallenberg.

Es werde daran gearbeitet, die Leute aus dem Land zu bringen. Problematisch seien dabei weniger die Flugkapazitäten als die Lage in Afghanistan selbst – die Menschen würden es aktuell kaum bis zum Flughafen schaffen. Deswegen sei etwa ein Rückholungsflug der deutschen Bundeswehr zuletzt nur mit sieben Personen besetzt gewesen. Schallenberg rief weiters Österreicher und Österreicher in Afghanistan dazu auf, sich beim Außenministerium zu melden, so sie das noch nicht getan hätten.

Abschiebungen – in sichere Staaten

Indes sagte Schallenberg zur Frage eines Abschiebestopps, dass man Afghaninnen und Afghanen gemäß der Dublin-Verordnung weiter in sichere Drittländer abschieben werde. Für ihn gelte die Genfer Flüchtlingskonvention, so Schallenberg. Es werde häufig vergessen, dass sich Menschen oft jahrelang in anderen Ländern aufhalten, bevor sie nach Österreich kommen.

Außenminister zur Situation in Afghanistan

Im Vorfeld des virtuellen Sondertreffens der EU-Außenminister nahm Außenminister Alexander Schallenberg zur Situation in Afghanistan und zur Kritik am ÖVP-Kurs Stellung und nannte die Hilfe für Österreicher in der Krisenregion Priorität.

Diese Haltung scheint die neue Linie der ÖVP zu sein: Am Dienstag teilte das Innenministerium mit, vier Afghanen nach Rumänien abgeschoben zu haben. Nach Afghanistan selbst wird seit Juni nicht mehr abgeschoben, zudem war Afghanistan in der Abschiebestatistik für 2020 auch nicht unter den Top Ten. Derzeit sind Abschiebungen freilich faktisch nicht möglich, Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) brachte daher Abschiebezentren ins Spiel.

Schallenberg nun dazu: „Man möge bitte verstehen, dass wir nicht ganz grundsätzlich in Erwägung ziehen, für alle Fälle Abschiebungen auszuschließen.“ Denn wenn man erkläre, dass ein Staatsbürger aus einem bestimmten Land jedenfalls in einem Land bleiben könne, egal wie die Asylentscheidung ausfalle, „dann kann ich gleich die Genfer Flüchtlingskonvention de facto aushebeln“.

Nächster Appell für „Hilfe vor Ort“

Zugleich sprach sich Schallenberg dafür aus, Afghanen, die in den vergangenen Jahren eng mit europäischen Staaten zusammengearbeitet haben und nun gefährdet sind, zu helfen. Man müsse sich die Einzelfälle ansehen. Jedoch sei eine Verbringung nach Europa nicht die einzige Lösung, so Schallenberg und nannte die Beschäftigung in EU-Delegationen in Nachbarstaaten von Afghanistan als Möglichkeit.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte zuvor gesagt, er wolle Flüchtlinge aus Afghanistan in Wien aufnehmen, es brauche dazu aber die Zustimmung des Bundes: „Wir würden eine gewisse Anzahl von besonders bedrohten Menschen durchaus bei uns in Wien versorgen können“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Grundsätzlich pocht die Regierung weiter auf ihre Linie „Hilfe vor Ort“. Schallenberg kündigte drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für humanitäre Hilfe an und forderte eine enge Einbindung der afghanischen Nachbarstaaten. Die Hilfe müsse dort beginnen. Man wollte die Fehler von 2015 nicht wiederholen, stehe aber heute geeinter zusammen, so Schallenberg.

„Kein Blankoscheck“ für Taliban

Bezüglich möglichen Verhandlungen mit den Taliban hänge viel vom Verhalten der islamistischen Gruppierung ab. Man werde diese an klare Bedingungen knüpfen, einen „Blankoscheck“ dürfte es nicht geben. Voraussetzung für eine Gesprächsbasis mit der EU seien die Einhaltung und Anerkennung der Rechte aller Menschen in Afghanistan, insbesondere der Frauen.

Brüssel-Korrespondent Feichtner über das EU-Treffen

ORF-Korrespondent Bendedikt Feichtner berichtet aus Brüssel über die schwierigen Bedingungen der Evakuierung aus Kabul.

„Wir wollen die Partnerschaft mit dem afghanischen Volk fortsetzen. Das setzt aber voraus, dass wir einen vernünftigen und zurechnungsfähigen Gegenüber haben“, so Schallenberg. Man müsse jedenfalls vermeiden, dass Afghanistan zum „Inkubator“ für Terroristen werde.

Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borell verwies in der Frage nach einer Zusammenarbeit zwischen EU und Taliban auf die Grundrechte. Die Taliban hätten den Krieg gewonnen, also werde man mit ihnen reden müssen. Er kündigt zudem Hilfen für Afghanistans Nachbarstaaten an, um die Folgen der zunehmenden Flüchtlings- und Migrantenzahlen abzumindern.

Bundespräsident fordert Schutz für Bedrohte

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte sich am Dienstag auf Twitter zu der Situation in Afghanistan und der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban geäußert. „Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan ist erschütternd und macht tief betroffen“, so Van der Bellen. Es sei die Aufgabe Österreichs und der EU, Bedrohten Schutz zu gewähren und humanitäre Hilfe zu leisten.

Van der Bellen ruft zu humanitärer Hilfe auf

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich am Dienstag auf Twitter zu der Situation in Afghanistan und der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban geäußert. Es sei die Aufgabe Österreichs und der EU, Bedrohten Schutz zu gewähren und humanitäre Hilfe zu leisten.

Das Staatsoberhaupt sieht die Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen „fehl am Platz“. Eine solche Vorgehensweise stehe im Widerspruch zur in der österreichischen Verfassung verankerten Europäischen Menschenrechtskonvention, befand das Staatsoberhaupt. „Meine Sorge gilt besonders auch allen Frauen und Mädchen, deren elementare Rechte auf Freiheit, Berufsausübung und Bildung nun massiv gefährdet sind, sowie Angehörigen von Minderheiten“, schrieb Van der Bellen weiter.