Afghanische Sicherheitsleute auf einer Mauer um den internationalen Flughafen in Kabul
AP
Schwierige Evakuierungsmission

Sorge um afghanische Ortskräfte wächst

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet.

Nach Angaben eines NATO-Offiziers wurden am Mittwoch mindestens 17 Menschen im Gedränge auf dem Flughafen in Kabul verletzt. Hunderte Menschen harrten weiterhin rund um den Flughafen aus, berichteten Augenzeugen der dpa. Kinder, Frauen und Männer hielten sich in den Straßen um das Flughafengelände auf. Viele hätten dort auch übernachtet.

Unklar ist, ob es neben den Evakuierungsflügen bald wieder kommerzielle Flüge geben wird. Wenn diese wieder beginnen, sollten nur Menschen mit Pässen, gültigen Visa und Tickets zum Flughafen kommen. Wer für die ausländischen Streitkräfte gearbeitet habe oder für Botschaften, werde kontaktiert. Dann gelange man über den militärischen Teil des Flughafens durch ein spezielles Tor zu den Maschinen.

Taliban-Checkpoints vor Flughafen

In der Stadt kursieren dennoch Gerüchte, wonach alle, die es auf den Flughafen schaffen, auch in Sicherheit gebracht werden. Der Andrang ist dementsprechend nach wie vor groß, viele Menschen nehmen die Gefahr der Anreise zum Flughafen auf sich. Die Taliban errichteten Checkpoints auf allen Zufahrtswegen und durchsuchen die Menschen, die zum Flughafen wollen – unklar ist, ob sie aktuell überhaupt afghanische Staatsbürger passieren lassen. Viele Afghanen fürchten um ihr Leben, wenn sie von den Dschihadisten als ehemalige Mitarbeiter ausländischer Organisationen erkannt werden.

Satellitenaufnahme des Kabuler Flughafens
AP/Planet Labs Inc./Planet Labs Inc.
Der Flughafen von Kabul ist das Nadelöhr bei der Ausreise aus Afghanistan: Alle Landgrenzen werden von den Taliban kontrolliert

Am Mittwoch hieß es, das US-Militär entscheide abhängig von der jeweiligen Lage über Öffnung und Schließung bestimmter Zugänge zum Flughafen. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte am Dienstag im Weißen Haus, man habe die Zusage der Taliban, dass Zivilisten unbehelligt zum Flughafen reisen könnten.

Zweifel an Umsetzbarkeit der Evakuierungspläne

In den USA wurden unterdessen jedoch die Angaben von Regierungsvertretern angezweifelt, es könnten bis zu 22.000 Afghaninnen und Afghanen aus dem Land gebracht werden. Um das zu erreichen, müssten „zu viele Dinge hundertprozentig klappen“, sagte ein US-Vertreter laut Nachrichtenagentur Reuters.

Chaotisches Gedränge verhinderte am Dienstag bereits das Ausfliegen niederländischer Ortskräfte. „Es ist schrecklich. Viele standen mit ihren Familien vor den Toren des Flughafens“, sagte Außenministerin Sigrid Kaag. Ein mit anderen nordeuropäischen Ländern gemeinsam betriebenes Militärflugzeug habe Kabul deshalb nahezu leer wieder verlassen müssen.

Deutschland und Frankreich schicken weitere Flugzeuge

Gerade kleinere EU- und NATO-Länder ohne eigene Flugzeuge sind bei der Evakuierung auf die Solidarität der großen Staaten angewiesen. Alle müssen sich zudem mit dem US-Militär absprechen. Die deutsche Bundeswehr plant für Mittwoch vier Flüge nach Kabul und zurück. In der Nacht auf Mittwoch landete die erste Lufthansa-Maschine mit Menschen aus Afghanistan in Frankfurt. An Bord befanden sich rund 130 Personen.

Im Rahmen einer Luftbrücke und in Abstimmung mit der deutschen Bundesregierung sollen in den nächsten Tagen weitere Sonderflüge aus Taschkent, Doha und anderen Anrainerstaaten zur Rettung der Menschen aus Afghanistan durchgeführt werden, teilte die Lufthansa mit. Die deutsche Regierung beschloss am Mittwoch einen bis September dauernden Einsatz von bis zu 600 Bundeswehrsoldaten für die Evakuierungsaktion in Kabul.

Frankreich flog in der Nacht auf Mittwoch weitere 216 Menschen aus Afghanistans Hauptstadt aus. An Bord der zweiten französischen Maschine ins Golfemirat Abu Dhabi waren neben 184 Afghanen und 25 Franzosen auch Menschen aus den Niederlanden, Kenia und Irland, wie Außenminister Jean-Yves Le Drian in Paris mitteilte. Damit sei es gelungen, einen Großteil der Franzosen und Afghanen auszufliegen, die sich vor den islamistischen Taliban ins französische Botschaftsgebäude geflüchtet hatten. Eine erste Gruppe von 41 Franzosen und anderen Staatsangehörigen war bereits am Dienstagnachmittag in Paris gelandet.

Italien will ebenfalls eine Luftbrücke einrichten. Das erste Flugzeug mit 85 Menschen an Bord – darunter frühere afghanische Mitarbeiter und ihre Familien – werde am Mittwoch auf dem Flughafen Rom-Fiumicino landen, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Außenministerium in Kontakt mit 45 Personen

Das österreichische Außenministerium steht im Kontakt mit 45 Menschen, die sich noch in Afghanistan befinden. Es handelt sich um 25 österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, dazu 20 Personen mit österreichischem Aufenthaltstitel. Der Großteil dieser Personen halte sich im Großraum Kabul auf. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte die Entsendung eines Krisenteams nach Afghanistan angekündigt. Es werde daran gearbeitet, die Leute aus dem Land zu bringen.

Rückholhilfe für 45 Personen

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat am Donnerstag vor einem Treffen der EU-Außenminister die Entsendung eines Krisenteams nach Afghanistan angekündigt. Dieses soll die Rückholung von 45 Menschen nach Österreich vorantreiben. Die Lage im Land bezeichnete Schallenberg als „Fiasko, das uns alle betrifft“.

EU: Werden mit Taliban reden müssen"

Die EU wird nach Einschätzung ihres Außenbeauftragten Josep Borrell einen Dialog mit den neuen Machthabern in Afghanistan aufnehmen müssen. „Die Taliban haben den Krieg gewonnen, also werden wir mit ihnen reden müssen“, sagte er am Dienstagabend nach einer Videokonferenz der EU-Außenminister.

„Es geht nicht darum, sie offiziell anzuerkennen. Es geht darum, sich mit ihnen zu befassen.“ In einem ersten Schritt sei es wichtig, Bedingungen auszuhandeln, damit europäische Bürgerinnen und Bürger sowie afghanische Ortskräfte, die für die EU gearbeitet haben, das Land sicher verlassen können.

Taliban bestätigen Gespräche mit Ex-Präsident Karzai

Die Taliban trafen sich unterdessen nach Angaben aus ihren Reihen mit Ex-Präsident Hamid Karzai zu Gesprächen. Auch das ranghohe Mitglied der bisherigen Regierung, Abdullah Abdullah, sei bei dem Treffen dabei gewesen, sagte ein Taliban-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Details zu den Gesprächen nannte er nicht. Es sei noch zu früh zu sagen, ob die Taliban in ihre neue Regierung auch Mitglieder früherer Regierungen einbeziehen würden, erklärte er.

Bei gegen die Taliban gerichteten Protesten in der afghanischen Stadt Jalalabad wurden am Mittwoch mindestens drei Menschen getötet und mehr als ein Dutzend verletzt. Das berichteten zwei Augenzeugen und ein früherer Polizeivertreter der Nachrichtenagentur Reuters. Die Taliban hätten das Feuer eröffnet, als Einwohner der Stadt auf einem Platz versuchten, die Landesflagge zu hissen. Die Nachrichtenagentur AP berichtete von einem bestätigten Todesopfer und sechs Verletzten.

In Bamiyan westlich von Kabul sprengten die Taliban laut Augenzeugen die Statue eines früheren Anführers der Minderheit der Hasara, der 1995 als Gefangener der Taliban getötet worden war.