Ein Bauer in der Nähe von Kabul auf seinem Opiumfeld
AP\Rahmat Gul
Alter Reichtum, neues Geld

Die Finanzierungspläne der Taliban

Die radikalislamischen Taliban haben sehr viel Geld. In der Tat ist ihr Reichtum, nachdem US-Truppen das fundamentalistische Regime 2001 in Afghanistan gestürzt hatten, sogar gewachsen. In erster Linie ist es die Opiumproduktion, die die Terrormiliz finanziert. Zwar behauptete ein Taliban-Sprecher zuletzt, dem Drogenschmuggel abzuschwören, doch scheint das zweifelhaft. Die Taliban könnten sonst vor einem Finanzierungsproblem stehen.

Denn der Internationale Währungsfonds (IWF) setzte den Zugang Afghanistans zu IWF-Ressourcen wegen der unsicheren politischen Lage aus. Für Montag ist eine Zuteilung von Sonderziehungsrechten in Höhe von 650 Milliarden Dollar (560 Mrd. Euro) an alle berechtigten Mitglieder geplant. Die Taliban werden dann voraussichtlich keinen Zugang zum afghanischen Anteil haben, der laut dem ins Ausland geflohenen Chef der afghanischen Zentralbank, Ajmal Akhmady, umgerechnet 340 Millionen Dollar beträgt.

Auch ein 370 Millionen Dollar schweres Kreditprogramm des IWF, mit dem die Wirtschaft Afghanistans in der Coronavirus-Krise angekurbelt werden sollte, ist damit ausgesetzt. Laut Akhmady belaufen sich die Devisenreserven der afghanischen Zentralbank auf rund neun Milliarden Dollar. Ein Großteil des Geldes befinde sich jedoch im Ausland, erklärte Akhmady. Allein sieben Milliarden Dollar befänden sich bei der US-Zentralbank.

Stark auf Hilfsgelder angewiesen

Ein US-Regierungsvertreter hatte diese Woche erklärt: „Zentralbankreserven der afghanischen Regierung, die in den USA liegen, werden den Taliban nicht zur Verfügung gestellt.“ Akhmady teilte zudem mit, dass die Lieferung von US-Dollar in das Land „unterbrochen“ sei. Dollar in Form von Bargeld seien dort kaum noch erhältlich. Der Wert der afghanischen Währung war mit der Übernahme der Islamisten zudem stark gefallen.

Ein Geldhändler in Afghanistan mit einem Bündel Banknoten
Reuters/Mario Laporta
Der Afghani, die Währung in Afghanistan, ist kaum noch etwas wert

Afghanistan ist als eines der ärmsten Länder der Welt stark auf Hilfsgelder angewiesen. Nach Angaben der Weltbank belief sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes im Jahr 2020 auf 19,81 Milliarden US-Dollar, davon machten Hilfsgelder fast 43 Prozent aus. Mehrere Länder haben nach der Machtübernahme der Taliban jedoch angekündigt, dass sie die Hilfsgelder einfrieren werden.

„Organisation, die sich selbst finanziert“

Doch heißt das nicht, dass die Taliban bald pleitegehen werden, denn sie haben Reserven und zahlreiche Einnahmequellen, die wohl nicht so schnell versiegen werden. Mohammad Yaqoob, der Sohn des verstorbenen geistigen Führers der Taliban, Mohammad Omar, legte 2020 in einem Bericht offen, wie es um die Finanzen der Taliban steht. Demzufolge sollen sie im Geschäftsjahr, das im März 2020 endete, umgerechnet rund 1,6 Mrd. Dollar eingenommen haben. Im Vergleich dazu nahm die afghanische Regierung im selben Zeitraum rund 5,6 Mrd. Dollar ein.

Der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bei einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme
AP/Rahmat Gul
Die Taliban wollten weg vom Drogenhandel, so die Extremisten in ihrer Pressekonferenz nach der Machtübernahme in Kabul

In Auftrag gegeben wurde der Bericht von der NATO, geschrieben von der Journalistin und Afghanistan-Expertin Lynne O’Donnell, die laut ihrem Twitter-Profil erst am Sonntag von Kabul nach Australien zurückgekehrt ist. O’Donnell warnte schon damals: „Wenn nicht weltweit gehandelt wird, werden die Taliban eine sehr reiche Organisation bleiben, die sich selbst finanziert und von Staaten unterstützt wird.“

Opium als Treibkraft

Hanif Sufizada, Analyst für Wirtschaftspolitik am Zentrum für Afghanistan-Studien an der University of Nebraska Omaha, schlüsselte letztes Jahr die Details auf, woher das Geld der Taliban bisher kam. Laut dem Weltdrogenbericht 2020 der UNO entfielen 2005 bis 2020 rund 84 Prozent der weltweiten Opiumproduktion auf Afghanistan. Sufizada zufolge ging ein großer Teil dieser illegalen Drogengewinne an die Taliban, die das Opium in den von ihnen kontrollierten Gebieten verwalten.

Einer Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU), einer unabhängigen Forschungsorganisation in Kabul, zufolge erhebt die Terrorgruppe auf jedes Glied der Drogenproduktionskette eine Steuer von zehn Prozent. Dazu gehören afghanische Bauern, die Schlafmohn, den Hauptbestandteil von Opium und Heroin, anbauen, Labors, die die Drogen herstellen, sowie die Händler, die das Endprodukt außer Landes bringen.

Land der Bodenschätze

Der Abbau von Eisenerz, Marmor, Kupfer, Gold, Zink und anderen Metallen sowie seltenen Erden im gebirgigen Afghanistan ist für die Taliban ein lukratives Geschäft. Sowohl kleine Bergbaubetriebe als auch große afghanische Bergbauunternehmen werden Sufizada zufolge von den Taliban erpresst. Wenn sie die Betriebe nicht bezahlen, würden die Taliban-Kämpfer die Bergbaustätten blockieren und die Betreiber schlimmstenfalls töten.

Ein afghanischer Arbeiter in einer Kalk-Fabrik bei Mazar-i-Sharif
APA/AFP/Farshad Usyan
Gewinne aus dem Bergbau kommen den Taliban zugute

Nach Angaben der Taliban-Kommission für Steine und Minen (Da Dabaro Comisyoon) erwirtschaftete die Gruppe jährlich 400 Mio. Dollar mit erpresstem Geld aus dem Bergbau. Die NATO schätzt diese Zahl jedoch noch höher ein, nämlich auf 464 Mio. Dollar. Laut NATO stieg der Anteil aus dem Bergbau stark, 2016 seien es nur 35 Mio. Dollar gewesen.

Illegale Besteuerung

In jenen Gebieten, die die Taliban schon die letzten Jahre über erobert hatten, erhoben sie illegale Steuern. Zu den „besteuerten“ Wirtschaftszweigen gehörten neben dem Bergbau Medien, Telekommunikation und mit internationaler Hilfe finanzierte Entwicklungsprojekte. Autofahrer müssten für die Benützung von Autobahnen in von den Taliban kontrollierten Gebieten Gebühren entrichten, auch einfache Kaufleute müssen „Steuern“ zahlen.

Die Terrorgruppe erhebt außerdem eine traditionelle islamische Form der Besteuerung namens „Ushr“, eine zehnprozentige Steuer auf die Ernte eines Landwirts, sowie die „Zakat“, eine 2,5-prozentige „Vermögenssteuer“, die ursprünglich dafür verwendet werden sollte, Bedürftigen zu helfen. Nach den Angaben von Yaqoob bringen diese „Steuereinnahmen“ jährlich rund 160 Mio. Dollar. Da allerdings einige der Besteuerten auch Mohnbauern sind, könnte es eine finanzielle Überschneidung zwischen den illegalen Steuereinnahmen und den Drogengewinnen geben.

Freiwillige, geheime Spenden

Die Taliban erhalten verdeckte finanzielle Zuwendungen von privaten Spendern und internationalen Institutionen aus aller Welt. Sie stammen etwa von Wohltätigkeitsorganisationen und privaten Stiftungen in den Ländern des Persischen Golfs, einer Region, die seit jeher mit dem islamistischen Aufstand der Taliban sympathisiert. Diese Spenden belaufen sich Sufizadas Schätzungen zufolge auf 150 bis 200 Mio. Dollar pro Jahr.

Privatpersonen aus Saudi-Arabien, Pakistan, dem Iran und einigen Ländern am Persischen Golf tragen ebenfalls zur Finanzierung der Taliban bei und spenden nach Angaben US-amerikanischer Terrorismusbekämpfungsbehörden jährlich umgerechnet rund 60 Mio. Dollar an das mit den Taliban verbundene Haqqani-Netzwerk.

Exporte und Immobilien

Nach Angaben des UNO-Sicherheitsrats importieren und exportieren die Taliban verschiedene Konsumgüter des täglichen Bedarfs, zum Teil auch um illegales Geld zu waschen. Zu bekannten Geschäftspartnern gehört das multinationale Unternehmen Noorzai Brothers Limited, das Autoteile importiert und wieder zusammengebaute Fahrzeuge sowie Ersatzteile verkauft. Das Nettoeinkommen der Taliban aus Exporten wird auf etwa 240 Mio. Dollar pro Jahr geschätzt. Diese Zahl schließt die Ausfuhr von Mohn und geplünderten Mineralien ein, sodass es auch hier zu finanziellen Überschneidungen kommen kann.

Laut Yaqoob und dem pakistanischen Fernsehsender Samaa besitzen die Taliban Immobilien in Afghanistan, Pakistan und möglicherweise in weiteren Ländern. Yaqoob erklärte gegenüber der NATO, die jährlichen Immobilieneinnahmen beliefen sich auf etwa 80 Mio. Dollar. Nach einem Bericht der BBC schätzte ein als geheim eingestufter CIA-Bericht im Jahr 2008, dass die Taliban rund 105 Mio. Dollar aus ausländischen Quellen, insbesondere aus den Golfstaaten, erhielten. Wie aus internationalen Quellen hervorgeht, finanzieren auch die Regierungen Russlands, Pakistans, des Irans und Saudi-Arabiens die Taliban. Expertinnen und Experten zufolge könnten sich diese Gelder auf bis zu 500 Mio. Dollar pro Jahr belaufen.

Durch Diebstahl und Spenden aus dem Ausland kommen die Taliban übrigens auch an ihre Waffen. Die afghanische Armee und die Polizei wurden mit Waffen und Ausrüstung von den USA unterstützt und von den Taliban bestohlen. Besonders jetzt, wo die US-Truppen Afghanistan fast zur Gänze verlassen haben, ist davon auszugehen, dass zudem zurückgelassene Waffen an die Taliban fallen. Außerdem kommen Waffen auch direkt aus Ländern bzw. von Gruppen, die mit den Taliban sympathisieren. Die USA beschuldigen unter anderem Russland, das weist der Kreml jedoch zurück.