Szene aus „Promising Young Woman“
2020 Focus Features, LLC.
„Promising Young Woman“

Feministisches Rachekino in Pastell

Das erste Drehbuch der jungen britischen Schauspielerin Emerald Fennell („The Crown“) hat in Hollywood jahrelang als Geheimtipp gegolten. Schließlich verfilmte sie „Promising Young Woman“ selbst und bekam auf Anhieb einen Oscar. In der zuckerlbunten feministischen Fantasie versucht Cassie (Carey Mulligan) nach dem Tod ihrer besten Freundin, die Verhältnisse geradezubiegen: ein Rachefilm, der allen wehtut.

Es gibt da diese eine Szene am Beginn des Films, in der Cassie, gekleidet in mädchenhafte Pastelltöne, unerwartet streng die Fronten klärt. Sie ist 30, arbeitet in einem Coffeeshop, ein gleichaltriger Mann kommt herein, bestellt und starrt sie dann an: „Cassandra! Ich bin Ryan, weißt du noch? Wir waren an der Uni in derselben Klasse. Warum arbeitest du hier?“ Und sie: „Du meinst, was tut eine vielversprechende junge Frau wie ich in einem beschissenen Coffeeshop wie dem hier?“

Die Zurechtweisung ist hart, doch eigentlich hatte sie tatsächlich geplant, ein anderes Leben zu führen, als bei ihren Eltern zu wohnen, nächtelang auszugehen und tagsüber unfreundlichen Kunden ihre Kaffeewünsche zu erfüllen. Im Medizinstudium war Cassie einer der klügsten Köpfe. Bis ein Freund und Studienkollege ihre beste Freundin Nina vergewaltigte. Niemand glaubte Nina damals, niemand stand auf ihrer Seite, und sie beging Suizid. Und Cassie brach ihr Studium und ihre Lebenspläne ab.

Jeder Mann eine Stück Rache

Seither verbringt sie ihre Nächte damit, in Clubs und Bars auszugehen, sich dort zu verhalten, als sei sie sturzbetrunken, und sich von Männern heimbringen zu lassen. Sobald diese vorgeblich hilfreichen Männer beginnen, sich an die scheinbar hilflose junge Frau heranzumachen, wird Cassie jedoch schlagartig wach, zum Schrecken des jeweiligen Mannes. Niemals geht sie alleine nach Hause, einer nach dem anderen geht ihr in die Falle – und diese Falle ist entsetzlich, so deutet es zumindest der Filmtrailer an. Jeder einzelne Mann ist eine Rache für Nina.

Doch dann erfährt Cassie von ihrem wieder aufgetauchten Studienkollegen Ryan, dass der damalige Vergewaltiger nun seine Hochzeit vor sich hat. Und ihre Rachepläne nehmen konkrete Formen an: Alle, die Nina unrecht getan haben, sollen bereuen, von Studienkolleginnen über die unsolidarische Lehrgangsleiterin und den inkompetenten Anwalt bis zu dem Mann, der die Tat begangen hat. Blut wird fließen, so viel ist sicher.

Drehbuchoscar auf Anhieb

„Promising Young Woman“ ist das Regiedebüt der Britin Fennell, bis dahin unter anderem bekannt für ihre Rolle als junge Camilla Parker Bowles in „The Crown". Gleichzeitig ist es ihr erstes verfilmtes Drehbuch, das schon seit Jahren in Hollywood als Geheimtipp gehandelt worden war, als ungewöhnliche feministische Perspektive auf das Thema sexuelle Gewalt. Bei den diesjährigen Oscars war Fennells Film für Regie, Drehbuch und als bester Film nominiert, den Drehbuchoscar bekam die zu dem Zeitpunkt hochschwangere Regisseurin tatsächlich auf Anhieb.

Emerald Fennell, mit dem Oscar für „Promising Young Woman“
Reuters/Chris Pizzello
Jahrelang galt das Drehbuch als Geheimtipp, nach der Verfilmung in Eigenregie gewann Fennell prompt einen Oscar für „Promising Young Woman“

Der vielfache Erfolg des Films wurde gefeiert als feministischer Etappensieg der Filmbranche, und ein Stück weit stimmt das auch. Das liegt allerdings weniger am Inhalt des Films, denn hier ist die Sache etwas komplizierter. Fennell spielt mit Motiven des Rape-Revenge- und des Horrorfilms, und hier wird es schwierig, nicht zu viel zu verraten. Doch anders als in blutigeren Genrebeispielen ist das, was den Männern in Cassies Fängen geschieht, letztlich nicht mehr als ein hoffentlich lehrreicher Schreck.

Rape-Revenge-Genre aus feministischer Sicht

Dass Verbrechen, die im Klima einer patriarchalen Gesellschaft an jungen Frauen verübt werden, selbst in einer pastellfarbigen Rachefantasie so unverständlich milde geahndet werden, ist etwas enttäuschend.

Schließlich ist nicht nur Ninas Leben durch die rücksichtslose Handlung ihres Vergewaltigers ruiniert, sondern auch Cassies Dasein und jenes all der anderen, die von denselben vorgeblichen Freunden konsequenzlos sexuell ausgenutzt wurden – was die reale Erfahrung vieler Frauen schonungslos widerspiegelt.

In der Exploitation-Kino-Tradition ist Rape-Revenge, also Vergewaltigung und darauffolgende Rache, oft Anlass zur reißerischen Darstellung von Sex, sexueller Gewalt und blutigem Mord, allen voran Meir Zarchis Klassiker „I Spit on Your Grave“ aus dem Jahr 1978, in dem ein überlebendes Vergewaltigungsopfer ihre Peiniger blutig zur Strecke bringt.

Szene aus „Promising Young Woman“
2020 Focus Features, LLC.
Cassie (Carey Mulligan) kann kein Wässerchen trüben? Von wegen.

Ein Beispiel in Form einer Horrorkomödie ist Karyn Kusamas „Jennifer’s Body“ nach einem Drehbuch von Diablo Cody, in dem Megan Fox infolge eines satanischen Rituals zur munteren Dämonin wird, ein anderes ist Coralie Fargeats wüster Film „Revenge“, in dem eine niedliche junge Frau nach der völlig ohne jeden Voyeurismus dargestellten Vergewaltigung zur Rachegöttin an Tätern und Zeugen ihres Martyriums wird.

Das System „gewinnt immer“

Die pastelligen Süßwarenladenfarbtöne von Kostümen und Ausstattung in „Promising Young Woman“ und die pointierte Inszenierung von Cassies nächtlichen Unternehmungen deuten auf eine ähnliche Überhöhung hin. Doch wer hofft, Unterhaltungs- und Rachegelüste gestillt zu bekommen, wird am Ende enttäuscht – und das mit voller Absicht, wie Fennell in einem Interview mit „Entertainment Weekly“ sagte: „Ich musste doch aufrichtig sein. So funktioniert das System, es gewinnt immer. Es wäre in meinen Augen eine enorme Ungerechtigkeit gewesen, den ganzen Film lang ehrlich zu sein, und dann ein Hollywood-Ende zu haben, das uns alle vom Haken lässt.“

Der Schwenk ins Bitter-Realistische ist nachvollziehbar, doch wohl besonders für jene schmerzhaft, die selbst sexuelle Gewalt erfahren haben. Letztlich enthält Fennells Film keine emanzipatorische Botschaft, etwa dass es Gerechtigkeit geben kann und dass ein solidarisches Sichauflehnen gegen patriarchale Praktiken allen nutzt. Vielmehr ist hier die Schlussfolgerung, dass alle Männer feige, meistens auch rücksichtslos und manchmal sogar bösartig sind, und dass eine Frau, die gerne Sex hat, in jedem Fall nur verlieren kann – ihre Reputation, und womöglich sogar ihr Leben.