Baihetan-Talsperre
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China

Staudämme, die niemand will

Zigtausende Wasserkraftwerke sollen die chinesische Bevölkerung mit Energie versorgen. Doch viele davon sind zu klein und teils baufällig. Die Dämme, die niemand mehr haben will, haben ihre besten Jahre schon hinter sich und sind für die Zukunft nicht gut genug gerüstet.

Erst vor wenigen Wochen – pünktlich zum 100-jährigen Bestehen der Kommunistischen Partei – wurde das zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt in Testbetrieb genommen. Das Kraftwerk Baihetan mit seinem 289 Meter hohen Staudamm im Südwesten wird in seiner Kapazität zur Stromproduktion nur von dem in China gelegenen Drei-Schluchten-Damm übertroffen. Die Zusage von Präsident Xi Jinping, China bis 2060 klimaneutral zu machen, hatte zuletzt für zusätzliche Dringlichkeit bei der Umsetzung des Bauvorhabens gesorgt.

Doch die chinesische Behörden wollen laut einem Bloomberg-Bericht zigtausende Wasserkraftwerke abschalten. Viele seien zu klein, um größere Mengen an Strom zu erzeugen. Andere wiederum seien überflüssig geworden, da sie durch größere Dämme ersetzt worden seien oder ihre Flüsse kein Wasser mehr führten. Zudem würden viele Dämme mit dem Extremwetter nicht mehr mithalten.

Die Regierung hatte schon vor Jahren angekündigt, die Entwicklung kleinerer Projekte zu stoppen. Man werde den Ausbau kleiner Wasserkraftwerke „streng kontrollieren“, um die Umwelt zu schützen, hieß es 2016. Zwei Jahr später wurde eine Kampagne zur Beseitigung oder Verbesserung von 40.000 Wasserkraftwerken gestartet.

Enorme und „chaotische“ Baupolitik

China hat in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt Wasserkraftwerke gebaut, um den weiter wachsenden Energiebedarf der weltgrößten Bevölkerung decken zu können. Ausgehend von Mao Zedongs Parole, man müsse „die Natur erobern“, wurden in rasantem Tempo zahlreiche Staudämme gebaut – um Strom zu erzeugen, Überschwemmungen zu zähmen, die Bewässerung von Feldern und die Trinkwasserversorgung sicherzustellen. Das Ausmaß der Dammpolitik ist allerdings enorm.

Drei-Schluchten-Damm
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Der Drei-Schluchten-Damm gilt mit seiner Leistungskapazität als größter Damm der Welt

Laut Quartz gibt es insgesamt 98.000 Staudämme in China. Die meisten davon sind klein und wurden vor den 1970er Jahren gebaut. Rund 24.000 Wasserkraftwerke befinden sich laut Bloomberg entlang des Jangtse-Flusses und dessen Nebenflüsse. Mindestens 930 von ihnen seien ohne Umweltverträglichkeitsprüfung gebaut worden. Die langfristigen Auswirkungen dieser schnellen und laut Bloomberg „chaotischen Baupolitik“ mache sich jetzt bemerkbar.

Umweltschäden durch Bauprojekte

Umweltgruppen warnen schon seit Jahren vor Umweltschäden, die durch die vielen Bauvorhaben er vergangenen Jahren ausgelöst wurden und noch ausgelöst werden. So seien etwa seit der Fertigstellung des mächtigen Drei-Schluchten-Damms am Jangtse-Fluss im Jahr 2006 nach zwei Jahrzehnten Bauzeit mehrere Seen flussabwärts drastisch geschrumpft oder verschwunden.

Auch die jüngsten Arbeiten am Jangtse-Fluss hätten bereits die Sedimentzusammensetzung des Gewässers verändert und so zu „hydrophysikalischen und gesundheitlichen Risiken für Menschen am Jangtse stromabwärts“ geführt, hieß es kürzlich im Fachjournal „Science of the Total Environment“. Hunderttausende Menschen seien aus ihren Gebieten verdrängt worden.

Wasserspeicher und Dürreperioden

Auch bei Chinas Nachbarländern löste der Bau Bedenken aus. Indien blickt etwa auf Entwicklungen am Mekong-Fluss in Südostasien. Eine Reihe von Staudämmen am Flussoberlauf in China wirkt sich am Unterlauf in Thailand, Kambodscha und Vietnam aus. Das auf Asien spezialisierte Magazin „The Diplomat“ zitierte kürzlich aus einer Studie eines US-amerikanischen Forschungsteams, wonach chinesische Staudämme entlang des Flusses Mitte 2019 sechs Monate lang überschüssigen Monsunregen zurückgehalten hatten.

Lkws auf der Hutong Yangtze River Brücke über dem Jangtsekiang
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Rund 24.000 Wasserkraftwerke befinden sich entlang des Jangtse-Flusses

Die Wasserspeicherung hätte die Dürrebedingungen in den flussabwärts gelegenen Staaten verschlimmert. China wies diese Vorwürfe stets zurück und betonte, dass man mit Daten über Wasserstände und Niederschläge ohnehin transparent umgehe. Die Kritik an den Staudämmen wird allerdings lauter – insbesondere weil die Landwirtschaft in den Staaten unter Wassermangel leidet.

Wie mit der Klimakrise umgehen?

Das Extremwetter in den vergangenen Jahren hat die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise gelenkt. Wie sollen Staudämme gemanagt und gebaut werden, wenn zum Beispiel starke Regenfälle umliegende Gemeinden gefährden? „Aufgrund des Klimawandels könnte es zu immer stärkeren Niederschlägen kommen, was bei der Planung eines Staudamms möglicherweise nicht berücksichtigt wurde“, sagte Wen Wang, Professor für Hydrologie an der chinesischen Hohai University in Nanjing, gegenüber Quartz.

Viele alte Dämme stellen laut Fachleuten ein Sicherheitsrisiko dar, insbesondere bei Überschwemmungen. In den vergangenen 50 Jahren sind nach offiziellen Angaben rund 3.500 Staudämme kollabiert. Dazu gehört auch der berüchtigte Banqiao-Damm in der Provinz Henan, der zusammen mit 61 anderen Dämmen im August 1975 nach sechs Stunden sintflutartiger Regenfälle brach. Etwa 26.000 Menschen starben direkt wegen des Wassers, weitere geschätzte 150.000 bis 230.000 erlagen den darauf folgenden Epidemien und Hungersnöten.

Hohe Kosten für Abriss

Auch in der jüngeren Vergangenheit brachen Staudämme zusammen – etwa nach heftigen Regenfällen im Juli dieses Jahres in der Inneren Mongolei. Der Xinfa-Damm sei „gut gebaut und sehr gut (auf Überschwemmungen, Anm.) vorbereitet gewesen“, heißt es etwa im Quartz-Artikel. Aber diesen Wassermassen hielt der Bau nicht stand. Die Armee warnte während des Extremwetters, dass auch andere Dämme jederzeit einstürzen können.

Die Abriss- bzw. Abschaltpläne sorgen auch für Kritik. Um das Land von fossilen Brennstoffen zu entwöhnen, wird mehr Wasserkraft gebraucht, nicht weniger. In den Provinzen wird ein Abriss aber als Erfolg verbucht. Allerdings stellt sich auch die Frage, wer für die Kosten der Beseitigung aufkommt.

Die Schließung ist nämlich das eine, die Beseitigung eines großen und potenziell gefährlichen Betonbauwerks das andere. Wegen der hohen Kosten wurden bei Staudämmen in Provinz Shaanxi laut Blommberg etwa nur die Turbinen entfernt, der Damm blieb.