Man diskutiere schon seit 15 Jahren über das „Klimaticket“ (ehemals „1-2-3-Ticket“, Anm.). Dabei sei es eigentlich immer nur darum gegangen, wie man die Erlöse verteile. Viel zu wenig sei an den Kunden und das Klima gedacht worden, sagte etwa der Verkehrsplaner Günter Emberger von der TU Wien am Donnerstag gegenüber Ö1. „Der VOR will einfach hier mehr Geld herausschlagen“, sagte Emberger.
Gleichzeitig seien in der Region finanzielle Mittel durchaus vorhanden, etwa wenn man an den geplanten Lobautunnel denke, der weitaus mehr koste als das „Klimaticket“. Vor diesem Hintergrund ortet Emberger „gewisse politische Spiele“. Verkehrs- und Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) habe mit der Präsentation am Mittwoch in Linz versucht, den Druck auf die ausständigen Bundesländer zu erhöhen.
„Meinungsverschiedenheiten auf Rücken der Fahrgäste“
Kritik äußerte auch die Arbeiterkammer (AK) Wien: „Klimaministerium und Verkehrsverbund Ostregion tragen derzeit ihre Meinungsverschiedenheiten auf dem Rücken der Fahrgäste aus. Das führt zu großer Verunsicherung und schwächt unnötigerweise den öffentlichen Verkehr.“ Hier müsse es bald zu einer Lösung kommen, hieß es in einer Aussendung am Donnerstag. Ebenfalls negativ beurteilte die AK, dass die ursprüngliche Idee des „1-2-3-Tickets“ durch unterschiedlich teure Bundesländertarife verkompliziert worden sei.
Ähnlich äußerte sich die Pendlerinitiative Österreich. Franz Gosch, der Obmann der Initiative, forderte, „dass das ursprünglich geplante ‚1-2-3-Ticket‘, in dem in einem Bundesland um 365 Euro gefahren werden kann, verwirklicht wird. Denn nur wenn es das 1er- und das 2er-Ticket gibt, profitieren wirklich alle Pendlerinnen und Pendler vom günstigen Klimaticket.“ Und: Man hoffe, dass sich die fehlenden Bundesländer rasch anschließen.

Gewessler zuversichtlich
40 Verhandlungsrunden mit dem VOR gab es bereits. Das Ziel bleibt, bis zum Nationalfeiertag am 26. Oktober auch mit dem VOR eine Einigung zu erzielen. "Wenn wir konstruktiv und schnell weiterarbeiten, können wir das schaffen“, sie sei „sehr zuversichtlich“, sagte Gewessler am Mittwoch.
VOR-Geschäftsführer Wolfgang Schroll verwies gegenüber Ö1 auf die unzureichende Finanzierungs- und Planungssicherheit. Wie viel es für eine Einigung konkrete brauche, wollte er jedoch nicht sagen. In einer Aussendung hieß es allerdings, man stehe hinter der Einführung des Klimatickets und habe bereits einen „maßgeschneiderten Vorschlag für die Ostregion entwickelt“.
Wiener Stadtrat Hanke: Ohne Wien „befremdlich“
Der für den öffentlichen Verkehr zuständige Wiener Stadtrat Peter Hanke (SPÖ) zeigte sich verwundert über Gewesslers Vorgangsweise, denn ein „österreichweites“ Ticket ohne Einbindung des größten Verkehrsverbundes könne nicht im Sinne der „Öffis“ sein. Eine rasche Lösung müsse her, „die Stadt Wien steht gemeinsam mit ihren Partnern Niederösterreich und Burgenland nach wie vor hinter der Einführung des ‚1-2-3-Tickets‘“. Eine Variante ohne Wien nannte er „befremdlich“. Er sah die Ankündigung des Tickets als „Showpolitik“ in Zusammenhang mit der oberösterreichischen Landtagswahl in zwei Wochen.
„Zu weiteren Verhandlungen bereit“
Seitens des für das Burgenland zuständigen Verkehrslandesrats Heinrich Dorner (SPÖ) hieß es, man sei zu weiteren Verhandlungen bereit – mehr dazu in burgenland.orf.at. Ähnlich äußerte sich der niederösterreichische Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP). Trotz guter Gespräche im Sommer sei man „noch nicht am Ziel“, einen Start am 26. Oktober hält Schleritzko für „illusorisch“ – mehr dazu in noe.ORF.at.
Nicht so der Vorarlberger Verkehrslandesrat Johannes Rauch (Grüne). Er ist überzeugt davon, dass das „Klimaticket“ Ende Oktober in ganz Österreich eingeführt wird – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Erfreut über den „Klimaticket“-Start zeigte sich indes Tirols Landeshauptmann-Stellvertreterin und Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe (Grüne). „So gelingt die Mobilitätswende“, sagte sie in einer Aussendung.

Kritik von FPÖ und NEOS
Am Donnerstag äußerte sich auch die FPÖ zum Klimaticket: „Die Ostregion ist ein wichtiger Verkehrsraum. Es ist daher ungeheuerlich, dass mit Wien, Niederösterreich und dem Burgenland drei Bundesländer und damit fast vier Millionen Bürger von diesem Klimaticket einfach ausgeschlossen werden“, so FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker. Laut einer Aussendung des VOR transportiere man 1,05 Mrd. Fahrgäste im Jahr – das entspreche über 60 Prozent der österreichischen Fahrgäste.
NEOS monierte, dass das nunmehrige Ticket ohne die Ostregion von den „ursprünglichen Versprechungen der Bundesregierung doch sehr deutlich entfernt“ sei.
Unklarheiten über „Klimaticket“
Bisher sind beim „Klimaticket“ sechs Bundesländer dabei. Dass die Ostregion nicht mit an Bord ist, sorgt nun für Kritik und offene Fragen. So ist etwa noch unklar, ob das Ticket auch in S-Bahnen in Wien gültig ist.
Appelle an fehlende Bundesländer
Die Wiener Grünen stellten „mit Bedauern“ fest, dass „Wien sich mit der Ostregion lieber der Koalition der Blockierer und Verhinderer anschließt“. Auch Wien müsse sich dem Klimaticket anschließen – und nicht vom Vorreiter zum Schlusslicht werden. Auch Greenpeace forderte den VOR sowie den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) dazu auf, „sich so rasch wie möglich dem österreichweiten Klimaticket anzuschließen und Autobahnprojekte einzustellen“.
Die Umweltorganisation Global 2000 etwa sieht das vorgezogene „Klimaticket“ als „unbefriedigendes Zwischenergebnis“. „Ein Klimaticket für sechs Bundesländer ist nicht das, was mit dem ‚1-2-3-Ticket‘ versprochen wurde“, so Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher von Global 2000, in einer Aussendung. Man fordere Gewessler und die Landeshauptleute zu konstruktiven Verhandlungen auf.
Gewessler verteidigt Starttermin
Gewessler selbst verteidigte in der ZIB2 am Donnerstag den Start ohne die Ostregion: Sie habe versprochen, dass das „Klimaticket“ 2021 komme. Man wollte mit den Partnern starten, die dafür bereit sind, und das seien sechs Bundesländer. Sie habe nicht mehr länger warten wollen. Und für viele Menschen gäbe es bereits jetzt Ersparnisse.
Klimaschutzministerin zu „Klimaticket“
Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) spricht im ZIB2-Interview über den Start des neuen „Klimatickets“, offene Fragen zur Ostregion und über die geplante Steuerreform.
Vorverkauf ab 1. Oktober: 949 statt 1.095 Euro
Sollte es zu keiner Einigung mit der Ostregion kommen, wird das „Klimaticket“ in sechs Bundesländern gültig sein: Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Tirol und Vorarlberg – „zusätzlich österreichweit in allen Zügen der ÖBB inklusive S-Bahn in Wien sowie in den Zügen der Westbahn und Regiojet“, berichtete Gewessler.
Zum Start wird das „Klimaticket“ ermäßigt angeboten werden. Vom Vorverkaufsstart am 1. Oktober bis zum Nationalfeiertag kostet es 949 statt 1.095 Euro für ein Jahr.

Ausbau der „Öffis“ gefordert
Unisono forderten die verschiedenen NGOs, Initiativen und Fachleute aber einen Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr – schließlich sei zu erwarten, dass mit der Einführung des „Klimatickets“ tatsächlich mehr Leute umsteigen werden. NEOS meinte etwa, dass ohne Züge selbst ein günstiges Ticket wenig bringe.
Die AK erinnerte daran, dass in Österreich immer noch rund 20 Prozent der Bevölkerung von einer „Öffi“-Grundversorgung abgeschnitten sind. Der ÖAMTC sieht in der Tarifänderung allein daher „keinen Anreiz für einen Umstieg“. Dafür müssten vor allem die Dichte und das Angebot ausgeweitet werden. „Pendeln ist vor allem ein ländliches Thema. Gerade dort ist aber das Angebot an öffentlichem Verkehr sehr begrenzt“, sagte ÖAMTC-Direktor Oliver Schmerold in einer Aussendung.
Emberger von der TU Wien regte zudem an, Anpassungen bei der Pendlerpauschale und Dienstwagenregelung sowie eine kilometerabhängige Maut und flächendeckende Parkraumbewirtschaftung anzudenken.