Ein Mann schwingt eine afghanische Flagge
APA/AFP/Wakil Kohsar
Afghanistan

Anti-Taliban-Proteste nun auch in Kabul

In Afghanistan gehen die Proteste gegen die Machtergreifung der radikalislamischen Taliban auch am Donnerstag weiter. Nach Protesten in zwei Städten am Vortag, die mit Gewalt niedergeschlagen wurden, habe es am Donnerstag auch eine Demonstration anlässlich des afghanischen Nationalfeiertags in Kabul gegeben, wie die „New York Times“ berichtete.

Auch in mehreren Städten im Osten des Landes sei es zu Menschenansammlungen gekommen, hieß es von Augenzeugen. In Kabul stellten sich rund 200 Menschen, darunter auch Frauen, gegen die Taliban, so die „New York Times“. Die Taliban hätten dann die Proteste gewaltsam aufgelöst, hieß es weiter. Die Demonstranten riefen auf Videos in sozialen Netzwerken „Lang lebe Afghanistan“ und „Unsere Flagge, unser Stolz“. Zuverlässig überprüfen ließen sich die Aufnahmen und der Zeitpunkt der Aufnahmen nicht.

In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum Nationalfeiertag getötet. Taliban-Kämpfer hätten Schüsse abgegeben. Es sei unklar, ob die Menschen bei einer Massenpanik oder durch Schüsse getötet wurden, sagte Augenzeuge Mohammad Salim der Nachrichtenagentur Reuters. Die Kundgebungsteilnehmer hätten die offizielle Flagge Afghanistans geschwenkt. Am 19. August wird in Afghanistan die Unabhängigkeit von Großbritannien gefeiert.

Menschen in Kabul feiern den afghanischen Unabhängigkeitstag
APA/AFP/Wakil Kohsar
Bei den Protesten in Kabul demonstrierten auch Frauen

Nationalflagge als Protestzeichen

Die Nationalflagge entwickelt sich seit der Machtübernahme der Taliban zunehmend zu einem Protestzeichen gegen die Islamisten, die eine eigene Fahne haben: weiß mit dem islamischen Glaubensbekenntnis in schwarzer Schrift.

Am Vortag starben drei Personen bei Anti-Taliban-Prostesten in der Stadt Jalalabad, mehrere Menschen wurden verletzt. Am Mittwoch war es zu ersten größeren Protesten gegen die Islamisten gekommen. In Jalalabad wurden dabei mindestens drei Menschen getötet und mehr als ein Dutzend verletzt. Die Taliban, die Gewaltverzicht versprochen hatten, kommentierten die Vorfälle nicht.

Massoud will Widerstand gegen Taliban fortsetzen

Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen.

Offenbar strömen nun Hunderte Soldaten der sich auflösenden afghanischen Armee in das Tal. Er sei bereit, „in die Fußstapfen meines Vaters zu treten“. Er verfüge über die nötigen Kräfte für einen wirksamen Widerstand, brauche aber „mehr Waffen, mehr Munition und mehr Nachschub“.

Ahmad Massouds Vater Ahmad Shah Massoud hatte in den 1980er Jahren gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans gekämpft, von 1996 bis 2001 bekämpfte er dann die Taliban. Am 9. September 2001 wurde er von zwei Selbstmordattentätern des Terrornetzwerks al-Kaida getötet – zwei Tage vor den Anschlägen in den USA, die zu dem internationalen Militäreinsatz in Afghanistan führten.

Anti-Taliban-Proteste in Jalalabad (Afghanistan)
Reuters/Pajhwok Afghan News
Anti-Taliban-Proteste mit der afghanischen Fahne in Jalalabad

Biden: US-Soldaten länger auf dem Flughafen

Das Chaos beim Abzug der US-Truppen war nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden unvermeidlich – aufgrund des Zusammenbruchs der afghanischen Regierung, des Militärs und der schnellen Machtübernahme der Taliban. In einem TV-Interview am Mittwoch versicherte Biden, dass die US-Soldatinnen und -Soldaten für die Evakuierungen notfalls auch über den geplanten Abzugstermin 31. August hinaus auf dem Flughafen Kabul bleiben.

Biden war angesichts der Rückkehr der Taliban an die Macht in die Kritik geraten. In einem Interview für den US-Fernsehsender ABC verteidigte er das Vorgehen der Regierung beim Truppenabzug. „Die Vorstellung, dass es irgendwie einen Weg gibt, ohne folgendes Chaos rauszukommen – ich weiß nicht, wie das gehen soll“, sagte er.

Geheimdienstinfo als Argument angeführt

Innerhalb der Geheimdienste habe es „keinen Konsens“ bezüglich der Prognosen für Afghanistan gegeben. Es habe geheißen, eine Machtübernahme sei gegen Ende des Jahres wahrscheinlicher, hielt der US-Präsident Medienberichten entgegen, wonach die Regierung intern Warnungen vor einem möglicherweise sehr schnellen Zusammenbruch bekommen haben soll.

Unterstützung bekam Biden aus dem US-Militär: „Es gab nichts, das ich gesehen habe oder irgendjemand anders, das auf einen Zusammenbruch dieser Armee und dieser Regierung innerhalb von elf Tagen hingewiesen hätte“, sagte Generalstabschef Mark Milley. Es habe mehrere Szenarien gegeben, „aber der zeitliche Rahmen eines schnellen Zusammenbruchs wurde weithin auf Wochen, Monate oder sogar Jahre nach unserem Abzug eingeschätzt“.

Probleme mit Taliban bei Ausreise von Afghanen

Die afghanischen Sicherheitskräfte seien den Taliban in Bezug auf Truppenstärke, Ausbildung und Ausrüstung überlegen gewesen. Letztlich sei es eine Frage des „Willens und der Führung“ gewesen. Bei der Evakuierung gebe es teilweise Probleme mit den Taliban. Zwar würden die Islamisten „kooperieren“ und US-Bürgerinnen und -Bürger sowie Botschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ausreisen lassen.

Aber bei früheren afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der US-Behörden und Streitkräfte gebe es „ein bisschen mehr Schwierigkeiten“, berichtete Biden. Das zeigen etwa auch die Berichte einer CNN-Reporterin in Kabul.

Die USA wollen auch etwa 50.000 bis 65.000 Helferinnen und Helfer einschließlich ihrer Familien in Sicherheit bringen. Biden legte sich nicht fest, ob der Einsatz des US-Militärs auch dafür verlängert würde. „Die Verpflichtung besteht darin, alle rauszuholen, die wir rausholen können, und alle, die rausgeholt werden sollten“, sagte er. Das Ziel sei es weiter, den Einsatz bis 31. August abzuschließen. Aber: „Wenn dort noch amerikanische Bürger sind, werden wir bleiben, bis wir sie alle rausgeholt haben.“