Menschen drängen sich um den Kabuler Flughafen
AP/Shekib Rahmani
Rettung im Stadtgebiet

Deutschland schickt Helikopter nach Kabul

Während die Evakuierungen auf Hochtouren laufen, ist die Verzweiflung rund um den Flughafen von Afghanistans Hauptstadt Kabul groß. Weiter drängen Hunderte auf das Gelände – Kämpfer der militant-islamistischen Taliban feuerten am Freitag in die Luft und schlugen mit Peitschen zu, um die Menschen zu vertreiben. Viele kommen aber gar nicht bis zum Airport – Deutschland will nun Hubschrauber für die gezielte Rettung im Stadtgebiet einsetzen.

Wie das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ berichtete, soll es sich um Helikopter der Bundeswehr-Sondereinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) handeln – Schutzsuchende sollen aus der Luft gerettet werden. Die KSK-Hubschrauber sind eigentlich für die Befreiung von Geiseln ausgerichtet, sehr beweglich und können selbst in eng bebauten Städten landen und rasch zu rettende Menschen aufnehmen.

Die Helikopter sollen, so berichtete der „Spiegel“, in den nächsten Tagen kleine Gruppen von Menschen aus Kabul und anderen von den Taliban kontrollierten Zonen auf den schwer zugänglichen Flughafen bringen. Bisher agierte die deutsche Bundeswehr nur innerhalb des Flughafens, der von US-Truppen abgesichert wird. Außerhalb des Flughafens wurde am Freitag ein deutscher Staatsbürger angeschossen – er soll offenbar bald außer Landes gebracht werden.

Angehöriger von DW-Reporter erschossen

Auch ein tödlicher Vorfall wurde am Freitag bekannt: Bei der Verfolgung eines Journalisten der Deutschen Welle (DW) sollen Taliban-Kämpfer einen seiner Familienangehörigen erschossen und einen weiteren schwer verletzt haben. Die Taliban seien auf der Suche nach dem Reporter von Haus zu Haus gegangen. Doch lebt dieser bereits in Deutschland. Die anderen Bewohner des Hauses hätten in letzter Sekunde entkommen können und befänden sich nun auf der Flucht.

Ansicht von Kabul
APA/AFP/Wakil Kohsar
Tausende Personen warten in Kabul – außerhalb des Flughafens – darauf, gerettet zu werden

Laut USA 6.000 Menschen auf Flughafen

In der Nacht auf Freitag brachten deutsche Bundeswehr-Maschinen erneut Hunderte Menschen aus der afghanischen Hauptstadt heraus. Nach Angaben des US-Außenministeriums warten auf dem Flughafen Kabul rund 6.000 Menschen, die alle Voraussetzungen für die Ausreise erfüllen. Indes verstärkten die USA ihre Bemühungen zur Rettung von US-Amerikanern, Afghanen und Menschen anderer Nationalitäten aus Kabul.

„Lage äußerst unübersichtlich“

Aus Washington hieß es, das US-Außenministerium schicke zusätzliche Konsularbeamte nach Katar und Kuwait, um dort die Weiterreise der Menschen zu organisieren. Außerdem seien weitere Beamte in Kabul gelandet, wo rund um den Flughafen weiter Chaos herrscht. Das Ziel sei es, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich aus dem Land zu bringen.

In einem Schreiben der deutschen Botschaft an Menschen, die auf einen Flug hoffen, hieß es am Freitag: „Die Lage am Flughafen Kabul ist aber äußerst unübersichtlich. Es kommt an den Gates immer wieder zu gefährlichen Situationen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Zugang zum Flughafen ist derzeit möglich. Zwischendurch kann es aber immer wieder kurzfristig zu Sperrungen der Tore kommen, auch weil so viele Menschen mit ihren Familien versuchen, auf das Gelände zu kommen. Wir können Sie leider nicht vorab informieren, wann die Tore geöffnet sein werden.“

Österreicher auf deutschen Evakuierungsflügen

Auf den deutschen Evakuierungsflügen sollen nach Angaben des Außenministeriums auch die Österreicher, die sich noch in Afghanistan befinden, untergebracht werden. Bisher gelang es laut den Angaben, insgesamt vier Personen außer Landes zu bringen. „Einige Dutzende“ Österreicher mit afghanischen Wurzeln halten sich laut Außenministerium derzeit noch in und um Kabul auf.

Die Zahlen würden sich „laufend ändern“, hieß es am Freitag weiter. Am Donnerstag war noch von 50 Personen die Rede. Ein aus Mitarbeitern des Außenministeriums und Bundesheerangehörigen bestehendes Krisenteam, das die noch in Afghanistan befindlichen Österreicher bei der Ausreise unterstützen soll, werde unterdessen mit der „ersten für heute geplanten Maschine der deutschen Bundeswehr“ von Taschkent nach Kabul reisen.

Menschen versammeln sich außerhalb des Flughafenareals, nachdem sie Schüsse vernommen hatten
Reuters/Asvaka News
Tausende befinden sich vor dem Flughafengelände, die Lage ist „chaotisch“

Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums seien in engem Kontakt mit den Taliban außerhalb des Flughafens, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. „Wir wollen nicht, dass jemand belästigt oder verletzt wird.“ Kirby betonte, dass man keinen kompletten Überblick darüber habe, was außerhalb des Flughafens passiere und ob auch Menschen mit US-Pässen oder Visa von den Taliban schikaniert würden. Man habe auf dem Flughafen zusätzliche Gates geöffnet, um die Evakuierung zu beschleunigen.

Letzter britischer Flug schon in fünf Tagen?

Die NATO will unterdessen ihre Bemühungen bei den Evakuierungen aus Afghanistan verdoppeln. Auch Großbritannien will den Zeitplan für den Abzug beschleunigen. Der letzte britische Evakuierungsflug soll nach Plänen der britischen Regierung Kabul schon in fünf Tagen verlassen, wie die Zeitung „The Times“ berichtete. Laut der Zeitung soll den Ministern Anfang der Woche mitgeteilt worden sein, dass der letzte Evakuierungsflug am Dienstag vor dem geplanten Abzug der amerikanischen Streitkräfte am 31. August starten müsse.

Menschen aus Afghanistan bei ihrer Landung in Dubai
Reuters/Spain Ministry Of Defense
Geflüchtete bei der Landung einer Maschine des spanischen Militärs in Dubai

Neue Vorwürfe gegen US-Regierung

Unterdessen wurden neue Vorwürfe laut, die US-Regierung habe nicht rechtzeitig auf Warnungen gehört. CNN berichtete, im Juli hätten US-Diplomaten ein geheimes Schreiben an US-Außenminister Antony Blinken geschickt und darin schnelles Handeln gefordert. „Soweit ich weiß, wurde in dem Telegramm der mögliche Sturz der afghanischen Regierung nach dem Abzug der US-Truppen am 31. August vorausgesagt“, sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Jonathan Finer dazu.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas kritisierte unterdessen laut Reuters die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). „Der BND hat offensichtlich eine falsche Lageeinschätzung vorgenommen (…)“, sagte Maas dem „Spiegel“. Doch berichtete das Magazin auch, dass der BND bereits im Dezember vor der Machtübernahme der Taliban gewarnt hatte. Allerdings seien die Beamten in den zuständigen Ministerien kaum auf Gehör gestoßen, berichtete das Magazin unter Berufung auf Angaben aus Sicherheitskreisen.

Sorge vor Racheakten

Unterdessen steigt die Sorge vor gewaltsamen Racheakten der Taliban nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan. Die G-7-Staaten reagierten alarmiert auf entsprechende Berichte und forderten die Islamisten auf, die von ihnen zugesagte Sicherheit von Zivilisten auch wirklich zu gewährleisten. Diese Botschaft ging von einer Telefonkonferenz der Außen- und Entwicklungshilfeminister der G-7-Staaten aus, zu denen die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland Italien, Kanada und Japan sowie Vertreter der EU gehören.

Amnesty International berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von „brutalen Tötungen“ durch die Taliban in der Provinz Ghazni im Juli. In dem Dorf Mundarakht im Bezirk Malistan seien sechs Männer der schiitischen Minderheit der Hazara erschossen und drei zu Tode gefoltert worden, wie die Menschenrechtsorganisation in eine Aussendung am Freitag mitteilte. Dabei sei ein Mann mit seinem eigenen Schal erwürgt und seine Armmuskeln abgetrennt worden.