Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz
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Union kriselt

Deutsche Wahl als offener Dreikampf

In rund fünf Wochen wählt Deutschland einen neuen Bundestag – und die Ausgangslage könnte kaum spannender sein. Drei Parteien – Union, SPD und Grünen – könnten stärkste Kraft werden. Zuletzt ging es in Umfragen mit der Union mit Spitzenkandidat Armin Laschet in den Umfragen deutlich bergab – entsprechend nervös sind CDU und CSU. Im Aufwind scheint ausgerechnet die krisengeschüttelte SPD von Olaf Scholz. Doch was am 26. September tatsächlich passiert, ist völlig offen.

In den seit vergangenem Samstag veröffentlichten Erhebungen der Institute INSA, forsa, Kantar, Allensbach und Infratest dimap rangieren CDU und CSU zusammen bei 22 bis 27,5 Prozent. Die SPD mit Vizekanzler Scholz als Kanzlerkandidat klettert auf 19,5 bis 21 Prozent. Die Grünen um Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock liegen bei 17 bis 19 Prozent.

Die FDP als viertstärkste Kraft liegt bei elf bis 13 Prozent, die AfD bei zehn bis elf Prozent. Die Linke rangiert bei sechs bis 7,5 Prozent. Die sonstigen Parteien erreichen zusammen den recht hohen Wert von sieben bis neun Prozent – allerdings dürfte keine davon den Sprung in den Bundestag schaffen.

Frust in der Union

2017 hatte die Union noch 32,9 Prozent erreicht, 2013 gar 41,5. Laschet hatte zuletzt – etwa bei der Hochwasserkatastrophe – keine besonders gute Figur gemacht. Allerdings hatte sich schon bei seiner Kür zum CDU-Chef und Kanzlerkandidaten angekündigt, dass er es schwer haben wird, in die Fußstapfen der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel zu treten.

Der „Spiegel“ berichtete von enormem Frust bei der Parteibasis. In internen Chats sei die Kommunikationsstrategie als „Wahlkampf from hell“ bezeichnet worden. Zuletzt kamen sogar Spekulationen auf, dass Laschet noch als Spitzenkandidat von CSU-Chef Markus Söder ersetzt werden könnte. In einer Sitzung forderte die Düsseldorfer Abgeordnete Sylvia Pantel laut „Bild“-Zeitung Laschet auf, Konsequenzen zu ziehen, wenn in zwei Wochen die Umfragen nicht besser würden. Sie wurde mit den Worten zitiert: „Es ist besser, kurz und schmerzhaft zu reagieren, als gemeinsam unterzugehen.“

Armin Laschet (CDU)
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Laschet stand zuletzt in der Kritik – auch aus den eigenen Reihen

Söder stellt sich hinter Laschet

Allein dass mehrere CDU-Spitzen dem eine Absage erteilen mussten, zeigt die Verunsicherung in der Union. Söder selbst, der lange offengelassen hatte, ob er Kanzlerkandidat der Union werden will, sprach von einem „dramatischen Trend“ in den Umfragen – stellte sich aber hinter Laschet. Dieser kündigte an, dass in der heißen Wahlkampfphase nun stärker profilierte Köpfe als Team herausgestellt werden sollten: „Wir müssen und werden mehr Köpfe zeigen und so deutlich machen, dass wir ein starkes Team sind“, betonte Laschet.

Am Samstag läuteten CDU und CSU im Berliner Tempodrom die heiße Wahlkampfphase ein, mit Reden von Laschet, Merkel und Söder. Laschet gab sich aggressiv. „Es ist nicht egal, wie diese Wahl ausgeht“, sagte er. „Wir werden kämpfen, ich werde kämpfen, mit allem, was ich kann, dass dieses Land nicht von Ideologen übernommen wird.“ Die Union wolle nicht regieren, weil sie Lust daran habe, „sondern weil wir regieren müssen, damit Deutschland einen guten Weg nimmt“.

Lapsus in Wahlkampfrede

Laschet setzte in seiner Rede einen Schwerpunkt auf die Außen- und Sicherheitspolitik – ausgehend von der dramatischen Situation in Afghanistan. Er forderte „mehr Europa“ auf diesem Feld, aber auch mehr deutsche Anstrengungen. In seiner Wahlkampfrede unterlief Laschet auch eine fehlerhafte historische Einordnung. Er verwies darauf, dass die Bundespolizei-Elitetruppe GSG9 im Jahr 1977 „Deutsche aus der entführten Lufthansa-Maschine in Landshut befreit“ habe. Damals habe die Bundeswehr das Flugzeug befreien können, heute müssten die Europäer in der Lage sein, „einen Flughafen wie den Flughafen in Kabul zu sichern“.

In Wirklichkeit fand die Befreiungsaktion in der somalischen Hauptstadt Mogadischu statt, nicht in der niederbayerischen Stadt. „Landshut“ war schlicht der Name der Lufthansa-Maschine – ein Fehler, der in den sozialen Netzwerken prompt hämisch kommentiert wurde.

Die amtierende Kanzlerin wurde im Tempodorm gefeiert. Sie stellte sich betont hinter den Kandidaten der Union. Sie sei „zutiefst überzeugt“, dass Laschet nächster Bundeskanzler werde, sagte Merkel. Die Beteiligung Merkels als derzeit populärste Politikerin Deutschlands gilt als wichtiger Wahlkampfbaustein der Union. Sie wird auch an der Abschlusskundgebung von CDU und CSU teilnehmen.

Erstaunliches Hoch von SPD und Scholz

Einen erstaunlichen Aufstieg in Umfragen legte zuletzt die SPD hin. Zwar rangiert sie in Umfragen etwa beim – damals enttäuschenden – Wahlergebnis von 2017, zwischenzeitlich hatte aber alles noch schlimmer ausgesehen. Vor allem konnte der lange als farblos geltende Finanzminister und Spitzenkandidat Scholz zulegen. Laut ARD-Deutschlandtrend liegt er bei der Kanzlerfrage mit 41 Prozent klar vor Laschet. Und 30 Prozent der Befragten wünschen sich eine SPD-geführte Regierung – genauso viele wie sich die Union an der Spitze der Regierung wünschen.

Olaf Scholz (SPD)
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Nach Monaten im Umfragetief haben Scholz und seine SPD plötzlich Rückenwind

Scholz profitiert freilich von den schwächelnden Gegnern. Allerdings setzte er sich zuletzt erfolgreich so in Szene, als ob er der legitime Nachfolger von Merkel wäre – und nicht Laschet. Doch in der SPD, die derzeit die Gunst der Stunde auf ihrer Seite hat, weiß man aber auch, dass es in Umfragen auch sehr schnell wieder abwärts gehen kann. Als 2017 Martin Schulz als Kanzlerkandidat auserkoren wurde, stiegen die Zustimmungsraten hoch – doch ebenso schnell stürzten wie auch wieder ab.

Grüne wieder stabilisiert

Genau das haben die Grünen heuer schon hinter sich: In Umfragen setzten sie schon dazu an, die Union zu überholen. Doch kurz nachdem Baerbock zur Kanzlerkandidatin ausgerufen wurde, setzte der Sinkflug ein: Sie hatte Nebeneinkünfte verspätet nachmelden müssen, zudem musste ihr im Internet veröffentlichter Lebenslauf korrigiert werden. Schließlich warf man ihr vor, in ihrem jüngst veröffentlichten Buch Passagen aus anderen Quellen übernommen zu haben, ohne das zu kennzeichnen.

Annalena Baerbock (Grüne)
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Grünen-Chefin Baerbock hat einen schwierigen Wahlkampf schon hinter sich

Bei anderen Parteien wären die Folgen solcher Vorwürfe vielleicht glimpflicher gewesen – die Grünen werden allerdings stärker an ihren eigenen hohen Moralvorstellungen gemessen. Mittlerweile hat sich die Partei in Umfragen stabilisiert – von den Traumwerten im Frühjahr ist man aber weit entfernt. „Wir hatten eine Zeit lang gedacht, dass das ein Zweikampf wird, dann war es bei uns ziemlich holprig, da haben wir uns auch etwas geärgert, ich mich auch“, sagte Baerbock bei einer Wahlkampfveranstaltung am Samstag in Berlin. Jetzt sei es ein „Dreikampf“, bei dem wohl „niemand auf irgendwas wetten“ werde.

Bisher themenarmer Wahlkampf

Bei allen Parteien kann sich das Stimmungsbild rasch ändern – und deutsche Medien verweisen darauf, dass Umfragen in den vergangenen Jahren teilweise weit vom tatsächlichen Ergebnis abwichen. Unter anderem erschweren nachlassende Parteibindungen und immer kurzfristigere Wahlentscheidungen den Meinungsforschungsinstituten die Gewichtung der erhobenen Daten.

Und es sind immerhin noch fünf Wochen bis zur Wahl: Bisher haben sich kaum große Wahlkampfthemen herauskristallisiert – debattiert wurden vor allem Fauxpas von Kandidatinnen und Kandidaten. Je nachdem, welche Partei auch Themen setzen kann, könnte das durchaus entscheidend für die Wahl sein. Welche Partei am Ende die Nase vorne hat, ist unklar: Freilich hat die Union weiterhin die besseren Karten, doch zumindest theoretisch könnten es auch die SPD oder die Grünen sein.

Koalition als Gretchenfrage?

Ein gewichtiger Faktor bei der Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern wird aber auch die Frage sein, welche Koalition Deutschland nach der Wahl regieren wird. Bis vor einigen Monaten stand eine Regierung von Union und Grünen – ein bisschen nach österreichischem Vorbild – hoch im Kurs. Dieser Trend scheint sich zuletzt eher abgekühlt zu haben, auch weil beide Parteien damit beschäftigt sind, wieder Tritt zu fassen, und notwendigerweise stärker Konturen zeigen müssen. Die Neuauflage einer Großen Koalition gilt als verpönt – möglicherweise ist so eine „Vernunftehe“ aber doch wieder die einzige logische Möglichkeit.

FDP als Zünglein an der Waage?

Die Union warnt eindrücklich vor einer Koalition, bei der sie nicht dabei ist. Schon allein aus Wahltaktik muss sie den Teufel einer rot-grün-roten Regierung mit SPD, Grünen und Linken an die Wand malen, ebenso wie ein Dreierbündnis aus SPD, Grünen und der FDP. Dass die Liberalen von Christian Lindner inhaltlich kaum mit den beiden anderen Parteien kompatibel sind, bleibt dabei freilich unerwähnt.

Denkbar ist auch eine „Jamaika“-Koalition von Union, Grünen und FDP für den Fall dass Schwarz-Grün keine Mehrheit hat. 2017 ließ Lindner Koalitionsgespräche dafür platzen. Seitdem pocht er zwar auf eine Regierungsbeteiligung seiner Partei, doch die Erinnerung an 2017 dürfte bei den anderen Parteien noch sehr lebendig sein.

Und mit Spannung wird auch das Abschneiden der AfD erwartet. Die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtete Partei sattelte thematisch von der Migrationsfrage eher in Richtung Widerstand gegen Coronavirus-Maßnahmen um. Auch interne Querelen und Skandale verhinderten bisher einen weiteren Aufstieg der Partei, umgekehrt schreckte das ihr Stammklientel aber auch nicht wirklich ab.