Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Helmut Fohringer
Afghanistan

Kurz gegen zusätzliche Aufnahme Geflüchteter

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist auch nach den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan dagegen, weitere Geflüchtete aus dem Krisenland nach Österreich zu bringen. Es sprach sich im Privatfernsehen dafür aus, Länder in der Region zu überzeugen, mehr Menschen aufzunehmen.

Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt „alles dafür tun“, um die Situation in Afghanistan zu verbessern, sagte Kurz im Puls24-„Sommergespräch“, das am Sonntagabend ausgestrahlt wird. Österreich müsse sich aber auch eingestehen, dass „nicht alles in unserer Macht liegt“, so der Kanzler. Österreich habe in den vergangenen Jahren bereits einen „überproportional großen Beitrag geleistet“ und beherberge eine der größten afghanischen Communitys Europas. Er sei deshalb „nicht der Meinung, dass wir in Österreich mehr Menschen aufnehmen sollten“. „Das wird es unter meiner Kanzlerschaft nicht geben“, betonte Kurz.

Den Menschen solle stattdessen in benachbarten Staaten geholfen werden, wiederholte er den von ÖVP-Politikern geäußerten Vorschlag der vergangenen Tage. Konkret sah Kurz etwa Turkmenistan und Usbekistan, die bisher nur relativ wenige Afghaninnen und Afghanen aufgenommen hätten, in der Pflicht. Die EU solle Länder in der Region unterstützen und sie davon überzeugen, „Menschen, die Schutz suchen, auch Schutz zu gewähren“.

EU nimmt afghanische Ortskräfte auf

In Madrid wurde jetzt ein Erstaufnahmezentrum für jene Afghanen eingerichtet, die aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit dem Westen vor den Taliban geflohen sind. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat dieses Zentrum am Samstag besucht.

Verweis auf 2015

Zwar stehe „absolut außer Streit“, dass die radikalislamischen Taliban, die Afghanistan in den vergangenen Wochen im Eiltempo erobert hatten, „grausam“ und die Lebensbedingungen in dem Land „furchtbar“ seien. Doch müsse man sich klarmachen, dass „wir nicht alles in der Hand haben, wir können nicht bestimmen, wie es in anderen Ländern zugeht“, so der Kanzler. Bürgerkriegsartige Zustände und immer wiederkehrende Unruhen seien „lange Geschichte und Tradition in diesem Land“. „Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen“, wurde Kurz zudem in einer von seinem Büro an die APA übermittelten Stellungnahme zitiert.

Warnung vor „möglichen Fluchtbewegungen“

Die EU-Kommission rief die EU-Länder dazu auf, Geflüchtete aus Afghanistan in den Mitgliedsstaaten aufzunehmen. Man müsse sich auch auf mögliche Fluchtbewegungen vorbereiten. „Bisher bewegen sich nicht so viele Menschen nach Europa, aber die Situation ändert sich jetzt schnell, und wir müssen auf verschiedene Szenarien vorbereitet sein“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der „Welt am Sonntag“. Die EU-Staaten sollten aber afghanische Flüchtlinge auf legalem Weg hereinlassen.

Die Situation im Land sei „instabil“, sagte die sozialdemokratische Politikerin aus Schweden der deutschen Zeitung. Johansson fügte hinzu: „Wir sollten nicht die gleichen Fehler wie 2015 machen. Wir sollten nicht warten, bis die Menschen an den EU-Außengrenzen stehen.“ Das bedeute, dass man die Afghanen innerhalb des Landes und in den Nachbarländern der Region unterstützen müsse. Dazu gehöre auch die Türkei.

Brüssel sei bereit, die Umsiedlungsprogramme (Resettlement) des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zu koordinieren und stärker zu unterstützen: „Wir möchten nicht, dass sich Menschen aufmachen zu gefährlichen Reisen, bei denen Menschenschmuggler die Not der Menschen ausnutzen. Darum rufe ich alle EU-Länder auf, ihre Quoten für Umsiedlungen von Flüchtlingen innerhalb des UNHCR-Programms zu erhöhen.“

Von der Leyen für Aufnahme

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte am Samstag hat alle Mitgliedsländer zur Aufnahme schutzbedürftiger Afghaninnen und Afghanen auf. Die EU-Kommission werde finanzielle Unterstützung für die Länder zur Verfügung stellen, die den Flüchtenden eine neue Heimat böten, so von der Leyen beim Besuch eines Erstaufnahmelagers für vor den Taliban geflohene afghanische Ortskräfte der EU in Spanien.

Die Kommissionspräsidentin besuchte zusammen mit EU-Ratspräsident Charles Michel und dem spanischen Regierungschef Pedro Sanchez die Militärbasis Torrejon de Ardoz nahe Madrid. Auf dem Stützpunkt hat die spanische Luftwaffe ein Lager eingerichtet, das laut Sanchez bis zu 800 Menschen aufnehmen kann.

Charles Michel, Ursula von der Leyen und Pedro Sanchez
APA/Helmut Fohringer
Von der Leyen beim Besuch eines Erstaufnahmelagers in Spanien: Sie rief die Mitgliedsländer zur Hilfe auf

Nach Angaben der Regierung in Madrid soll es als „logistisches Zentrum Europas“ dienen, von dem aus „alle Afghanen, die für EU-Institutionen gearbeitet haben“, in andere Staaten verteilt werden sollen. Laut dem spanischen Außenminister Jose Manuel Albares haben sich „fast alle EU-Staaten“ bereiterklärt, Menschen aus dem Lager aufzunehmen. Sie sollen zunächst eine „befristete Einreiseerlaubnis“ für Spanien erhalten, bevor ihnen von den verschiedenen Ländern, in denen sie sich niederlassen sollen, der Flüchtlingsstatus zuerkannt werde.

Knaus: „Situation heute anders“

Der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus warnte am Samstag in diesem Zusammenhang auf Ö1 davor, Angst vor einer möglichen Flüchtlingswelle aus Afghanistan zu schüren.

Die heutige Situation sei nicht mit jener von 2015 zu vergleichen, betonte er im Ö1-Mittagsjournal. 2015 hätten Millionen von Menschen problemlos aus Syrien über die offene Grenze in die Türkei fliehen können, wo auch die allermeisten geblieben seien, sagte Knaus. Ein Teil lediglich habe sich via Ägäis eben auf den Weg nach Europa gemacht. „Heute ist die Situation radikal anders“, so der Leiter der in Berlin ansässigen European Stability Initiative (ESI). „Die Menschen kommen aus Afghanistan – wie wir ja sehen auf den dramatischen Bildern aus Kabul sehen – nicht raus.“