Flugzeug der US-Air-Force am Flughafen in Kabul, Afghanistan
AP/U.S. Air Force/Senior Airman Taylor Crul
Hebein verlässt Grüne

Debatte über Aufnahme von Geflüchteten

Die ÖVP beharrt auf dem Standpunkt, keine weiteren Afghaninnen und Afghanen nach Österreich zu holen. Von den Grünen kamen zuletzt widersprüchliche Signale. Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler legte sich nicht fest. Nun verlässt mit Birgit Hebein eine Mitverhandlerin der Koalition auf Bundesebene die Partei. Die Grünen „erreichen nicht mehr mein Herz“, so Hebein am Sonntag.

Einmal mehr entwickelt sich die Frage von Asyl und Migration zum Stolperstein für die Koalition aus ÖVP und Grünen. Am Wochenende betonte die Volkspartei erneut vehement, dass man auch nach den dramatischen Ereignissen in Afghanistan keine Menschen aus dem Krisenland zusätzlich aufnehmen wolle. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich diesbezüglich im Puls24-„Sommergespräch“, das am Sonntagabend ausgestrahlt wird. Es sprach sich stattdessen dafür aus, Länder in der Region zu überzeugen, mehr Menschen aufzunehmen.

Österreich müsse sich aber auch eingestehen, dass „nicht alles in unserer Macht liegt“, man habe in den vergangenen Jahren bereits einen „überproportional großen Beitrag geleistet“ und beherberge eine der größten afghanischen Communitys Europas. Er sei deshalb „nicht der Meinung, dass wir in Österreich mehr Menschen aufnehmen sollten“. „Das wird es unter meiner Kanzlerschaft nicht geben“, betonte Kurz.

Nehammer-Kritik an EU-Kommission

Auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wiederholte das am Sonntag und kritisierte die EU-Kommission. Diese hatte zuvor alle Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, Geflüchtete aus Afghanistan über die Umsiedlungsprogramme aufzunehmen. Er sei „schockiert“, die Kommission sende „permanent die falschen Botschaften“, sagte Nehammer zur APA. „Vorschläge, jetzt alle Menschen aus Afghanistan nach Europa zu holen, kann ich nur ganz entschieden verurteilen“, so Nehammer, der von „kurzsichtiger und ideologisch fehlgeleiteter Politik“ sprach.

ÖVP lehnt Aufnahme von Afghanen ab

Eine zusätzliche Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen zu den offiziell 44.000 bereits im Land aufhältigen werde es unter seiner Kanzlerschaft nicht geben, sagt Kanzler Kurz (ÖVP) in einem PULS-24-Interview.

Hebein wirft ÖVP „Vertragsbruch“ vor

Für die Grünen scheint sich erneut ein Dilemma aufzutun. Am Sonntag gab die ehemalige Wiener Parteichefin und Vizebürgermeisterin Hebein bekannt, dass sie aus der Grünen Partei ausgetreten ist. "Ja, es stimmt: ich habe vor einigen Tagen meinen sofortigen Austritt aus der Grünen Partei bekanntgegeben“, schrieb Hebein auf ihrer Facebook-Seite. „Die grüne Politik mit all den Argumenten und Nichthaltungen erreichen nicht mehr mein Herz.“

Birgit Hebein (Grüne)
APA/Helmut Fohringer
Birgit Hebein

„Viele Menschen bauen auf das Kämpfen der Grünen für den Klimaschutz, für ein Überleben unseres Planeten. Als Mitverhandlerin der türkis-grünen Koalition erkenne und kritisiere ich, dass dabei unsere Demokratie, der gesellschaftliche Diskurs, der Rechtsstaat, das Parlament und die Medien sich in eine türkis-autoritäre Richtung entwickeln und der türkise Weg weitergeht, als wäre nichts gewesen.“

„Vertragsbruch“ der ÖVP

Hebein sprach auch von „Vertragsbruch“ durch die ÖVP. Sie handle „im Widerspruch zu der Vereinbarung bei den Koalitionsverhandlungen“. Kurz habe zugesichert, dass Österreich „nie vorpreschen wird, um Flüchtlinge aufzunehmen, aber er ist gesprächsbereit, wenn andere Länder vorangehen“. Diese Zusage werde „torpediert“, so Hebein. Länder wie Deutschland gingen „selbstverständlich voran, um zumindest zu versuchen, gefährdete Menschen aus Afghanistan zu holen“, so Hebein, „der türkise Weg wird unbeirrt unter grüner Regierungsbeteiligung fortgesetzt“ – mehr dazu in wien.ORF.at. ÖVP-Mandatar Andreas Hanger wies des Vorwurf des „Vertragsbruchs“ in der ZIB2 zurück.

Hebein aus grüner Partei ausgetreten

Die Afghanistan-Krise macht neuerlich die Fronten in der österreichischen Regierung deutlich. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) betonen, keine Flüchtlinge aus Afghanistan mehr aufzunehmen. Die Grünen müssen das zähneknirschend akzeptieren. Die frühere Wiener Vizebürgermeisterin Hebein ist deshalb heute aus der Partei ausgetreten.

Hebein hatte nach der Wien-Wahl 2020 ihre Funktionen in Wien zurückgelegt. Nachdem die Wiener SPÖ statt mit den Grünen mit NEOS eine Koalition gebildet hatte, erhielt Hebein keinen Posten mehr im Klub. Wenig später trat sie auch als Parteichefin zurück.

Kogler legt sich nicht fest

Auf Facebook schrieb Hebein, ihr Statement unterstütze „vielleicht das Engagement von denjenigen in der Partei, wie u.a. Ewa Dziedzic und Vicky Spielmann, die für Menschenrechte einstehen“. Ewa Ernst-Dziedzic, die außenpolitische Sprecherin der Grünen, hatte sich diese Woche via Aussendung zu Wort gemeldet. Europa trage Verantwortung, auch Österreich müsse „Ressourcen und Expertise zur Verfügung stellen. Diese Menschen den Taliban auszuliefern, ist ein absolutes No Go. Bereits laufende Familienzusammenführungen in Österreich müssten jetzt zudem rasch abgeschlossen werden“, so Ernst-Dziedzic.

Dass die ÖVP nach wie vor auch Abschiebungen nach Afghanistan in Erwägung zieht, kommentierte Ernst-Dziedzic so: „Alle, die jetzt nicht über akute Hilfe und Versorgung für die Fliehenden, sondern über Abschiebung reden – schämt Euch einfach.“

Bundesparteisprecher Kogler hatte zuletzt im ORF-„Sommergespräch“ zu möglichen Abschiebungen gesagt, dass diese ohnehin weder rechtlich noch faktisch möglich seien. Die Frage, ob man Afghaninnen und Afghanen aufnehmen sollte, beantwortete Kogler dabei nicht direkt – nur so viel: Man müsse Unterstützung anbieten, etwa wenn es um den Schutz von Frauen gehe. Ob und wie Österreich hier aktiv werden könnte, darauf wollte sich Kogler auf Nachfrage nicht festlegen. „Ich kann Ihnen das genau noch nicht versprechen, weil wir ja nicht allein regieren.“

Es würden auch weiter Asylanträge afghanischer Bürger angenommen. Mehrfach betonte er, dass Hilfe an Ort und Stelle nötig sei – etwa mit Mitteln aus dem Auslandskatastrophenfonds.

Kein Kommentar aus der Bundespartei

Bei den Wiener Grünen kommentierte man den Schritt der Ex-Chefin am Sonntag folgendermaßen: „Wir respektieren den formalen Austritt von Birgit Hebein aus der Grünen Partei, für die sie viele Jahre als Aktivistin, Abgeordnete und Vizebürgermeisterin aktiv war.“ Über ihre Beweggründe könne sie selbst am besten Auskunft geben, hieß es in der an die APA übermittelten Stellungnahme.

„Für uns Wiener Grüne war und ist immer klar: Wien ist Menschenrechtsstadt. Dafür setzten wir uns auch gerade jetzt ein. Die Menschenrechte und ihre Erklärung sind unteilbar und unantastbar. Sie sind unmissverständlich, alternativlos und die größte Errungenschaft unserer Gesellschaft. Dafür treten wir als Wiener Grüne ein“, wurde betont. In Bundespartei und Parlamentsklub gab es auf APA-Anfrage keine Reaktion.

Auch die Wiener SPÖ meldete sich zu Wort: „Spät, aber doch hat Hebein eingesehen, welch Geistes Kind Kurz in Wahrheit ist. Rund um die Koalitionsverhandlungen 2019 sah es noch anders aus. Aber dazulernen ist etwas Positives“, postete die Partei auf Twitter. Klar sei jedenfalls, so hielt man fest, dass Wien auch in Zukunft das Gegenmodell zur „inhumanen Bundesregierung" bleibe“.