US-Soldaten und Flüchtlinge beim Einstieg in eine Transportmaschiene
Reuters/US Air Force
Kabul

USA bekräftigen Plan für Abzug Ende August

Das US-Verteidigungsministerium plant weiterhin einen Abzug aller amerikanischen Truppen vom Flughafen in der afghanischen Hauptstadt Kabul bis Ende August. Ziel sei, den Evakuierungseinsatz bis zu dieser Frist abzuschließen, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Montag in Washington. Zuvor verkündeten die radikalislamischen Taliban, möglichen Verlängerungsplänen der USA nicht zustimmen zu wollen.

Ein Sprecher der Taliban hatte dem britischen Nachrichtensender Sky News gesagt: „Würden die USA oder Großbritannien zusätzliche Zeit erbitten, um die Evakuierungen fortzusetzen, wäre die Antwort ein Nein“, so Suhail Shaheen, ein Mitglied der Taliban-Delegation in Doha.

Die für den 31. August festgesetzte Frist sei eine „rote Linie“. Sie zu verschieben käme einer Verlängerung der militärischen Besatzung seines Landes gleich. Dazu gebe es keinen Grund. „Wenn sie vorhaben, die Besatzung zu verlängern, wird das eine Reaktion hervorrufen.“ Kirby reagierte anschließend, man habe die öffentlichen Äußerungen der Taliban gesehen und sei sich bewusst, dass das ihr Wunsch sei.

Auch Biden will an Plan festhalten

Der Pentagon-Sprecher wies wiederholte Nachfragen, wie sich eine mögliche Verlängerung der Frist gestalten könnte, als hypothetisch zurück und betonte, an diesem Punkt sei man nicht. Derzeit liege der Fokus darauf, an dem Zeitplan bis zum 31. August festzuhalten. Kirby wich zudem Fragen aus, wann die USA in diesem Fall aufhören müssten, auf dem Flughafen in Kabul Menschen für eine Evakuierung abzufertigen, um zum Schluss allein die Ausreise der mehreren tausend US-Soldatinnen und -Soldaten abzuwickeln.

John Kirby und William Taylor
AP/Manuel Balce Ceneta
Kirby wiederholte den Wunsch der USA, den Abzug der eigenen Truppen bis 31. August komplett zu vollziehen

Das werde bei den Planungen berücksichtigt, sagte Kirby lediglich. Derzeit sind laut Pentagon rund 5.800 US-Soldatinnen und -Soldaten auf dem Flughafen in Kabul im Einsatz, um die Evakuierungen abzusichern. US-Präsident Joe Biden hatte eine Verlängerung der Evakuierungsmission nicht ausgeschlossen, aber klargemacht, er hoffe, sie werde nicht notwendig sein.

Die US-Regierung zeigte sich vor dem virtuellen G-7-Krisengipfel zu Afghanistan am Dienstag optimistisch, alle ausreisewilligen US-Bürgerinnen und -Bürger bis Monatsende außer Landes bringen zu können. „Wir glauben, dass wir zwischen jetzt und dem 31. (August) die Zeit haben, jeden Amerikaner rauszuholen, der rauswill“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, Jake Sullivan. Deutlich skeptischer äußerte sich der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, Adam Schiff. Er halte eine Rettung aller US-Bürgerinnen und -Bürger für „möglich, aber sehr unwahrscheinlich“.

Ohne USA keine Fortsetzung der Evakuierungen geplant

Der britische Premier Boris Johnson will nach Angaben seines Verteidigungsministers Ben Wallace bei den G-7-Beratungen für eine Verlängerung des US-Evakuierungseinsatzes werben. Schon eine Ausweitung des Einsatzes um „nur ein oder zwei Tage würde uns ein oder zwei Tage mehr Zeit geben, um Menschen zu retten“, sagte Wallace. Am Dienstag sagte Wallace jedoch, dass er eine Verlängerung der Evakuierungsmission für unwahrscheinlich halte.

Zu den Fürsprechern einer Verlängerung des Einsatzes gehört auch Frankreich. Dennoch werde man die Evakuierungsflüge beenden, falls die USA ihre Truppen wie geplant zum 31. August vollständig aus Afghanistan abziehen.

Die EU und Großbritannien halten eine Rettung aller Schutzbedürftigen aus Afghanistan bis Ende August angesichts der chaotischen Zustände auf dem Flughafen für nicht machbar – und ohne die US-Militärpräsenz in Kabul müssten eben auch die anderen westlichen Staaten ihre Evakuierungen einstellen.

Trudeau für Sanktionen gegen Taliban

Kanadas Premierminister Justin Trudeau sprach sich bereits für Sanktionen gegen die Taliban aus. „Wir sind dabei, weitere Sanktionen in Betracht zu ziehen“, sagte er. Die Taliban würden in Kanada bereits als terroristische Vereinigung eingestuft, „aber wir werden mit unseren G-7-Partnern über die nächsten Schritte sprechen“. Kanada hatte am Donnerstag mit Evakuierungsflügen aus Kabul begonnen.

Die Situation in der Nähe des Flughafens sei jedoch nach wie vor „sehr unbeständig und chaotisch“, warnten kanadische Regierungsbeamte. Das Land hatte kürzlich zugesagt, 20.000 afghanische Flüchtlinge im Rahmen eines Einwanderungsprogramms aufzunehmen. Die Frage, ob er eine Verlängerung des US-Rettungseinsatzes aus Kabul über den 31. August hinaus befürworte, wollte Trudeau indessen nicht beantworten.

Korrespondentin Inka Pieh zum US-Abzug

Inka Pieh zur Afghanistan-Strategie der USA

Maas stellt Fünfpunkteplan vor

Deutschlands Außenminister Heiko Maas stellte einen Fünfpunkteplan für eine Bewältigung der Afghanistan-Krise vor. Erstens sei man mit der Türkei und den USA, aber auch den Taliban im Gespräch, ob der Flughafen Kabul nach dem 31. August auch zivil weiter betrieben werden könne, um Menschen auszufliegen. Zweitens spreche man mit den Nachbarstaaten Afghanistans, damit diese Flüchtlinge auf dem Landweg aufnehmen. Dafür seien 100 Mio. Euro bereitgestellt.

Zudem sollten deutsche Botschaften in den Nachbarstaaten Menschen schnell und unkompliziert Visa für eine Einreise nach Deutschland ausstellen. Viertens werde dort das Personal in den diplomatischen Vertretungen aufgestockt, um einen reibungslosen Ablauf zu ermöglichen. Fünftens werde das Programm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen um weitere zehn Millionen Euro erhöht.

Andrang auf Flughafen in Kabul unverändert

Deutsche Soldatinnen und Soldaten schätzen, dass sich in etwa noch 5.000 Menschen auf dem Flughafen in Kabul befinden. Den großen Andrang auf den Flughafen in Kabul erklärte Taliban-Sprecher Shaheen mit dem Wunsch vieler Menschen, der Armut in Afghanistan zu entfliehen. Ängste vor Unterdrückung durch die Taliban würden als Vorwand genutzt und seien unbegründet. Berichte über Vergeltungsaktionen von Taliban-Kämpfern an Journalistinnen und Journalisten, ehemaligen Regierungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und anderen vermeintlichen Kollaborateurinnen und Kollaborateuren bezeichnete er als „Fake“. Jeder Vorfall werde untersucht. Wer sich schuldig mache, werde zur Verantwortung gezogen.

Grafik zum Flughafen Kabul
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: dpa/NY Times

Die US-Truppen hatten mit Erlaubnis der Taliban zunächst den Sicherheitsbereich um den Flughafen erweitert. Die Flughafengegend kontrollieren aber die Taliban. Am Rande des Geländes kam es zu einem Feuergefecht zwischen afghanischen Sicherheitskräften und unbekannten Angreifern, bestätigte die deutsche Bundeswehr. Dabei sei eine afghanische Sicherheitskraft getötet, drei seien verletzt worden. Im weiteren Verlauf des Gefechts seien auch Einsatzkräfte aus den USA und Deutschland beteiligt gewesen. Alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr seien unverletzt.

Mehrere Babys während Evakuierungsaktion geboren

Seit Tagen versuchen die NATO-Staaten nach dem Fall Kabuls an die radikalislamischen Taliban Ausländerinnen und Ausländer sowie afghanische Ortskräfte aus der Hauptstadt auszufliegen. Neben den USA etwa Deutschland, Großbritannien, Japan, Frankreich und Ungarn. Auch die Schweiz flog nach eigenen Angaben 100 Personen aus. Das Tempo der Abflüge habe sich im Vergleich zu Sonntag fast verdoppelt, schrieb der zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, Stefano Pontecorvo, am Montag auf Twitter. Genaue Zahlen nannte er keine.

Im Rahmen der Evakuierungen aus Afghanistan kamen nach Angaben des US-Militärs mindestens drei Babys auf die Welt. Seines Wissens nach seien es bisher drei gewesen, aber es gebe keine formelle Zählung, sagte General Steve Lyons bei einer Pressekonferenz des Pentagons. Lyons sprach über die afghanische Frau, die an Bord eines US-Evakuierungsflugzeugs ein Baby zur Welt gebracht hatte. Die Maschine war auf dem Weg zum US-Stützpunkt im pfälzischen Ramstein in Deutschland. Nach der Landung in Ramstein hat die Frau im Laderaum der Maschine mit Hilfe von Soldaten ein Mädchen zur Welt gebracht.

Österreicher ausgeflogen

Montagfrüh erreichte eine Maschine mit Österreichern an Bord Budapest, wie Ungarns Außenminister Peter Szijjarto bekanntgab. Ungarn habe die 173 Personen aus Usbekistan nach Europa gebracht, auch auf Bitte der USA und Österreichs hin, so Szijjarto laut Reuters. Wie die ungarische Botschaft in Wien sowie das Außenministerium gegenüber ORF.at bestätigten, handelt es sich um zwei österreichische Staatsbürger und um sechs afghanische Angehörige dieser.

Mit der ungarischen Luftwaffe seien sie am Sonntag zunächst aus Kabul ins usbekische Buchara gebracht worden, anschließend per Chartermaschine nach Budapest. In Usbekistan arbeite ein Krisenteam mit Beamten des Außen-, Verteidigungs- und Innenministeriums daran, „noch einige Dutzend“ Menschen nach Österreich zu bringen, so Ministeriumssprecherin Gabriele Juen. Am Sonntag seien zudem einige Österreicher bzw. Österreicherinnen mit Hilfe Deutschlands aus Afghanistan gebracht worden, so das Außenministerium weiter. Man stehe in ständigem Kontakt mit den Partnern dort und sei ihnen für die Unterstützung dankbar.

Die Taliban sollen nach Angaben eines Sprechers in Nordafghanistan drei Bezirke erobert haben, die unter die Kontrolle lokaler Milizen gefallen waren. Dabei gehe es um die Bezirke von Badakhshan, Takhar und Andarab. Der dortige Widerstand war das erste Zeichen, dass es bewaffnete Gegenwehr gegen die Machtergreifung durch die Taliban gibt. Die afghanische Armee hatte viele Regionen des Landes und auch Kabul weitgehend kampflos aufgegeben.