Menschen vor einer Covid-19-Teststation im neuseeländischen Wellington
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Coronavirus

Neuseelands Strategie im Delta-Dilemma

Neuseeland hat im Umgang mit dem Coronavirus gut eineinhalb Jahre lang als Musterland gegolten. Mit Ausbreitung der besonders ansteckenden Delta-Variante des Coronavirus scheint deren ehrgeizige „Zero Covid“-Strategie nun de facto ausgehebelt: Am Dienstag wurde der größte Anstieg an Neuinfektionen seit April 2020 verzeichnet. Vom australischen Premier Scott Morrison kam indes Kritik.

Vor genau einer Woche wurde der erste Coronavirus-Fall seit sechs Monaten gemeldet – die Regierung reagierte mit einem landesweiten Lockdown. Seither steigen die Infektionszahlen rasch: 41 Neuinfektionen meldeten die Behörden nun – damit gibt es im Land 148 aktive Fälle. 15.700 Kontaktpersonen wurden bisher ausgemacht. Acht Personen befinden sich im Krankenhaus.

Im Vergleich zu den meisten anderen Nationen weltweit steht Neuseeland freilich nach wie vor gut da. Doch dessen weithin gelobter Null-CoV-Strategie, die die vollständige Eliminierung des Virus in der Bevölkerung zum Ziel hat, macht die jüngste Entwicklung dennoch einen Strich durch die Rechnung.

Leere Autobahn in Wellington (Neuseeland)
APA/AFP/Marty Melville
Neuseeland befindet sich seit vergangener Woche im Lockdown

Kirchencluster in Auckland

Es komme einem vor, als ob man es mit einem völlig „neuen Virus“ zu tun habe, sagte der Chef der Gesundheitsbehörde, Ashley Bloomfield, angesichts der jüngsten Ausbrüche: „Delta ist anders als alles bisher Dagewesene. Sie (die Variante, Anm.) ist, wie wir wissen, hochinfektiös und leicht übertragbar und breitet sich, wie wir gesehen haben, schnell aus“, sagte Bloomfield im Zuge einer Pressekonferenz. Premierministerin Jacinda Ardern bezeichnete den Anstieg zuvor als „nicht unerwartet“.

Im landesweiten Fokus stand zuletzt vor allem ein „Sub-Cluster“ in Neuseelands bevölkerungsreichster Stadt Auckland, die bisher auch die meisten aktiven Fälle zählt. Mindestens 58 Infektionsfälle sollen laut Behörden auf die samoanische Kirche Assembly of God in Auckland zurückzuführen sein.

„Das Virus ist das Problem, nicht die Menschen“

Das Gesundheitsministerium kritisierte indes, dass sich die samoanische Community zuletzt wegen des Ausbruchs verstärkt mit Rassismus konfrontiert sehe. „Das Virus ist das Problem, nicht die Menschen“, schrieb das Ministerium auf Twitter. Laut den Behörden wurde das Virus von einem Reiserückkehrer aus Australien eingeschleppt. Noch ist unklar, wie dieser das Virus trotz Quarantäne übertragen konnte.

Auckland wird sich aufgrund der Infektionslage noch mindestens bis Ende des Monats im Lockdown befinden. Im gesamten Pazifikstaat gelten die strengen Auflagen noch zumindest bis Samstag, wie Ardern zuletzt verkündete. Die meisten Geschäfte und Schulen bleiben damit zu.

Ein Radfahrer mit Mund-Nasenschutz in Auckland (Neuseeland)
AP/New Zealand Herald/Michael Craig
Auckland gilt als CoV-Hotspot

Ausbruch dürfte Neuseeland noch Wochen beschäftigen

Expertinnen und Experten sind sich jedenfalls einig, dass der aktuelle Ausbruch Neuseeland noch eine Weile beschäftigen werde: Im „besten Fall“ würde der Cluster auf 200 Fälle anwachsen, sagte der Modellierer Shaun Hendy gegenüber dem „New Zealand Herald“ – doch auch ein Anwachsen auf 1.000 Fälle hält der Experte für möglich.

Dem Mathematiker Alex James von der University of Canterbury zufolge könnte der Cluster der größte des Landes seit Beginn der Pandemie werden. James erwartet, dass der Höchstwert an Neuinfektionen in den nächsten Tagen erreicht wird. Bis das Virus ausgerottet sei, könnte es noch vier bis sechs Wochen dauern, so der Experte zudem.

Impfkampagne im Aufwind

Die Impfkampagne nahm zuletzt Fahrt auf: Am Montag wurden 63.333 Dosen verimpft – ein Höchstwert. 2.851.401 Impfungen wurden bisher durchgeführt, davon 1.824.418 Erstimpfungen und 1.026.982 Zweitimpfungen. Der Inselstaat mit fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist seit März 2020 weitgehend von der Außenwelt abgeschottet. Im April hatte die Regierung einen Reisekorridor mit dem Nachbarland Australien eröffnet, der aber Ende Juli wegen einer Welle im Nachbarland wieder geschlossen wurde.

Morrison: „Können nicht in der Höhle bleiben“

Aus dem benachbarten Australien kam unterdessen scharfe Kritik an der Strategie der neuseeländischen Regierung: „Jedes Land und Gebiet, das glaubt, dass es sich irgendwie ewig vor Covid-19 mit der Delta-Variante schützen kann – das ist einfach absurd“, so Morrison gegenüber dem Frühstückfernsehen von 9News. „Ich meine, Neuseeland kann das nicht. Die haben eine Eliminierungsstrategie verfolgt. Die befinden sich im Lockdown“, so Morrison weiter.

„Covid ist eine neue, andere Welt. Wir müssen da raus und in ihr leben. Wir können nicht in der Höhle bleiben“, so der australische Premier. Morrison macht die CoV-Lockerungen und Lockerungen der Reisebeschränkungen Australiens von einer hohen Impfquote abhängig: Als Wert für Öffnungen nannte er eine Impfquote von 70 bis 80 Prozent.

Minister-Versprecher sorgt für Lacher

Schlagzeilen machte Neuseeland zuletzt aber nicht nur wegen des jüngsten CoV-Ausbruchs und der darauffolgenden strengen Maßnahmen: Mit einem kuriosen Versprecher am Rande einer Pressekonferenz sorgte der Minister zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie, Chris Hipkins, weltweit für Lacher. Bei der Pressekonferenz sagte er, es sei eine Herausforderung für Bürger in dicht besiedelten Regionen, hinauszugehen und im Beisein anderer „die Beine breitzumachen“. Ein sprachlicher Ausrutscher – eigentlich wollte der 42-Jährige wohl sagen, „sich die Füße zu vertreten“.

Der neben ihm stehende Chef der Gesundheitsbehörde, Bloomfield, zog amüsiert die Augenbrauen in die Höhe und grinste unverhohlen. Hintergrund: Im Englischen klingen die Ausdrücke „to stretch your legs“ (sich die Beine vertreten) und „to spread your legs“ (die Beine breitmachen) sehr ähnlich.

Hipkins bemerkte den Fehler noch während der Pressekonferenz und sagte am Ende, er werde sich nun die Beine vertreten – die Medien würden sich ja sicher bald über ihn lustig machen. Der Lapsus verbreitete sich im Pazifikstaat schnell in sozialen Netzwerken. Unter dem Hashtag „#SpreadYourLegs“ posteten Tausende Neuseeländer Witzeleien über die Panne und Fotos, auf denen sie ihre Beine spreizen. Eine Firma in Auckland brachte bereits eine Kaffeetasse mit dem Versprecher und dem Antlitz von Hipkins auf den Markt.