Bild zeigt Personen in einer Impfstraße in Graz.
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Coronavirus

Impfung sticht auch Delta aus

In den vergangenen Tagen sind zahlreiche neue Studien und Datenauswertungen zur Wirksamkeit der CoV-Vakzine gegen die Delta-Variante veröffentlicht worden. Sie zeigen, dass die zugelassenen Impfstoffe die bisher ansteckendste Mutante derzeit ausstechen. Was sich aber ebenfalls herauskristallisiert, ist die Notwendigkeit von Auffrischungsimpfungen – zumindest bei gewissen Gruppen.

Vier Vakzine gegen das Coronavirus kommen in Österreich zum Einsatz. „Primär läuft die Zulassung bei diesen Impfstoffen als Schutz gegen symptomatische Infektionen. Das inkludiert sowohl leichte als auch schwere Verläufe“, sagte Marton Szell, Infektiologe und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG), gegenüber ORF.at. Vom Burgenland bis nach Vorarlberg veranschaulicht ein Blick in die Spitäler, dass die Produkte von Biontech und Pfizer, Moderna, AstraZeneca sowie Johnson & Johnson diesen Zweck auch im Fall der Delta-Variante erfüllen.

Die große Mehrzahl der CoV-Kranken auf den Intensiv- bzw. Normalstation sind Ungeimpfte. In Niederösterreichs Kliniken etwa werden derzeit 68 positiv getestete Personen behandelt, nur fünf davon sind vollständig geimpft (Stand Dienstag) – mehr dazu in noe.ORF.at. Auf den Intensivstationen der Wiener Kliniken lagen zum Stichtag 23. August 18 CoV-Patientinnen und -Patienten – 16 davon ungeimpft, einer teilimmunisiert, einer vollständig geimpft, aber immunsupprimiert.

Möglicher Schutz vor Langzeitfolgen

„Die Impfung ist auf jeden Fall für alle über zwölf Jahren sinnvoll“, resümierte Szell, das empfehle auch das Nationale Impfgremium. Der Grund sei nicht nur der weiterhin bestehende „sehr, sehr gute Schutz vor schweren Verläufen und Tod“. Selbst leichte Verläufe können mit Symptomen wie 39-Grad-Fieber einhergehen, betonte der Infektiologe. Auch in diesem Fall schütze die Impfung noch relativ gut – wenngleich nicht mehr ganz so gut wie bei der zu Jahresbeginn kursierenden Alpha-Variante.

Bild zeigt die Impfstoffe der Arzneimittelhersteller Pfizer-Biontech, Moderna und Astra Zeneca.
APA/AFP/Johan Nilsson
Die zugelassenen CoV-Impfstoffe zeigen im Großen und Ganzen auch gegen Delta Wirkung

Ein weiterer Punkt, der sowohl für die individuelle Gesundheit als auch die Gesellschaft und Wirtschaft Relevanz hat, ist „Long Covid“. Laut Schätzungen von Fachleuten leiden mindestens zehn Prozent der erwachsenen CoV-Infizierten an Langzeitfolgen wie chronischer Müdigkeit, Atemwegsproblemen und Schmerzen. Betroffen sein können auch Infizierte, bei denen die Krankheit mild verlief oder die überhaupt keine Symptome verspürten.

Es sei anzunehmen, dass die Impfung das Auftreten von „Long Covid“ verhindern kann, so Szell. Endgültig wissenschaftlich belegt sei das aber noch nicht. In einer kleinen Studie am Wiener AKH zeigte sich zudem, dass die CoV-Impfung auch „Long Covid“-Symptome bei Betroffenen lindern kann – mehr dazu in science.ORF.at.

Kurven zeigen wirksamen Infektionsschutz

Der Schutz vor schweren Verläufen ist das eine – aber wie steht es um die Verhinderung von Infektionen? Vergangene Woche hat die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit erstmals die 7-Tage-Inzidenzen nach Impfstatus und Altersgruppe veröffentlicht. Die Analyse bestätigt die Ansicht vieler Fachleute, dass die Pandemie in Österreich derzeit eine der Ungeimpften ist.

Bei den ungeimpften 18- bis 59-Jährigen lag die 7-Tage-Inzidenz bei 192,3, bei den vollständig geimpften Menschen in dieser Altersgruppe betrug sie hingegen 34,88. Etwas mehr als 60 Prozent in diesen Altersstufen haben bereits beide Impfdosen bzw. die Single-Shot-Impfung von Johnson & Johnson erhalten. Deutliche Unterschiede treten auch bei Kindern und Jugendlichen zutage. In der Gruppe der ungeimpften Zwölf- bis 17-Jährigen erreichte die 7-Tage-Inzidenz einen Wert von 172,7; bei den geimpften 7,67. Knapp ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in dieser Altersgruppe sind vollständig geimpft.

Geimpfte offenbar weniger ansteckend

Wenn vollständig Geimpfte sich mit dem Coronavirus infizieren und Symptome entwickeln, spricht man von einem Impfdurchbruch. In Österreich dürfte das Phänomen bisher recht selten auftreten. Zwischen Anfang Februar und dem 17. August verzeichnete 227.178 laborbestätigte Fälle von SARS-CoV-2 unter Personen im Alter ab zwölf Jahren. 150.224 der Infizierten hatten Symptome, 2.871 Personen aus dieser Gruppe waren grundimmunisiert, was etwa einem Wert von weniger als zwei Prozent entspricht.

Eine zentrale Frage lautet, inwieweit infizierte Geimpfte das Virus weitergeben können. Erkenntnisse dazu liefert eine aktuelle niederländische Studie. Die untersuchten Geimpften und Ungeimpften trugen ähnlich viel Virus in Nasen und um Rachen. Bei den Geimpften waren die entnommenen Viruspartikel aber weniger infektiös, wie das Forschungsteam im Labor zeigen konnte – mehr dazu in science.ORF.at. Zudem zeigte sich, dass die gemessene Viruslast bei Geimpften wesentlich schneller sank als bei Ungeimpften.

Infektiologe Szell sieht die Ergebnisse der Studie als Argument für die Impfung Jüngerer, die zwar deutlich weniger oft im Spital oder gar auf der Intensivstation landen, bei der Verbreitung des Virus allerdings eine wichtige Rolle spielen. „Wenn sehr viele junge Leute geimpft sind, kommt es zu einer deutlichen Reduktion der Infektionsketten in der Bevölkerung. Das schützt wiederum Ältere vor Impfdurchbrüchen“, so Szell gegenüber ORF.at

„Booster“ wird wohl notwendig sein

Für Beunruhigung sorgten zuletzt Berichte aus Israel. Obwohl fast 70 Prozent der Bevölkerung zumindest teilimmunisiert sind, kletterte die Zahl der täglichen Neuinfektionen erstmals seit Jänner wieder über 10.000. Studien legen nahe, dass der Schutz der Impfung vor einer Infektion nach einigen Monaten abnimmt.

Auch eine soeben in Großbritannien veröffentlichte Studie, für die Daten von 1,2 Mio. Menschen ausgewertet wurden, zeigt, dass die Antikörperspiegel im Laufe der Zeit sinken – nach einer vollständigen AstraZeneca-Impfung nach vier bis fünf Monaten, beim Biontech-Pfizer-Vakzin nach fünf bis sechs Monaten. Der Schutz vor schweren Verläufen blieb aufrecht.

Daten aus Israel legen dagegen nahe, dass der Schutz vor einem schweren Verlauf schneller als erwartet schwinden könnte. In der Vorwoche war fast die Hälfte der schwer kranken CoV-Patientinnen und -Patienten in den israelischen Spitälern vollständig geimpft. Die Mehrheit der Betroffenen ist über 60 Jahre alt, leidet an Vorerkrankungen und hat den Zweitstich mit dem Biontech-Pfizer-Impfstoff vor mehr als fünf Monaten bekommen.

Die Impfkampagne in Israel verlief mit hohem Tempo. Die durch das Coronavirus besonders gefährdete Altersgruppe der über 65-Jährigen war bereits Ende des Winters durchgeimpft. Der rasche Impffortschritt führte auch zu einem deutlichen Rückgang der Fallzahlen – bis sich die Delta-Variante in Israel durchsetzte. Mittlerweile wurden mehr als eine Million Israelis über 60 dreimal geimpft. Als Nächste sollen nun alle über 40-Jährigen ihren „Boostershot“ bekommen.

Auffrischungsimpfungen auch in Österreich

„Israel liefert recht eindrückliche Daten, dass Delta eine neue Impfung innerhalb eines Jahres notwendig macht. Das ist in den letzten zwei, drei Wochen evident geworden“, sagte Szell. Das NIG hat die Auffrischungsimpfung bereits empfohlen. Zunächst sollen Seniorinnen und Senioren, Risikopatientinnen und -patienten und all jene, die einen Vektorimpfstoff erhalten haben, geimpft werden. Für alle anderen gibt es den „Booster“ neun bis zwölf Monate nach dem Zweitstich.

Virologe Bergthaler über CoV-Impfungen

Virologe Andreas Bergthaler von der Akademie der Wissenschaften hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Delta-Variante beschäftigt. Im Studio spricht er über seine Erkenntnisse und den Nutzen von Impfungen.

Ursprünglich wollte die Regierung mit der Auffrischungsimpfung auf eine Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) warten. Diese hat die derzeit verfügbaren Impfstoffe noch nicht für die dritte Impfung zugelassen. In Österreich gilt die Auffrischungsimpfung formal daher als „Off label“-Anwendung.

Das NIG habe die Auffrischungsimpfung schon seit Längerem diskutiert, sagte Szell. Im Laufe der Zeit sei zunehmend Evidenz für die Notwendigkeit einer dritten Impfung hereingekommen. Gerade bei Risikogruppen mehrten sich die Hinweise, dass es eine dritte Dosis braucht.

Schwere Nebenwirkungen bleiben selten

Bei Menschen ohne Vorerkrankungen ist die Lage weniger eindeutig. „Das Problem: Wenn wir abwarten und sich plötzlich 30-, 40-Jährige im Krankenhaus befinden, haben wir den Moment der Auffrischung verpasst“, so Szell. Dass die Impfintervalle anfangs eng gesetzt und dann erweitert werden, habe es in der Vergangenheit bereits bei anderen Vakzinen – etwa gegen FSME – gegeben. „Es kann sehr gut sein, dass auch Jüngere von der dritten Impfung profitieren“, so Szell in Hinblick auf Israel, wo die Auffrischung der über 40-Jährigen begonnen hat.

Abstriche bei der Sicherheit bedeutet die dritte Impfung nicht. Hunderte Millionen Impfstoffdosen wurden bisher weltweit verabreicht, schwere Nebenwirkungen sind dabei äußerst selten aufgetreten. Was sich bereits in den Zulassungsstudien gezeigt hat, ist die höhere Reaktogenität der CoV-Impfstoffe. „Das bedeutet, dass relativ viele Menschen ein, zwei Tage nach der Impfung leichte Nebenwirkungen verspüren in einem größeren Ausmaß, als man das etwa von der Grippeimpfung kennt“, erklärte Szell.

Nicht warten auf Totimpfstoffe

Die bisher in der EU zugelassenen Vakzine sind mRNA- und Vektorimpfstoffe. Die Technologien dahinter werden bereits seit Jahrzehnten erforscht, allerdings kommen sie nun zum ersten Mal weltweit breit zum Einsatz. Bei vielen Menschen sorgt das für Unbehagen; sie wollen lieber einen Totimpfstoff, eine „klassischere“ Impfstofftechnologie.

Tatsächlich könnten zwei solcher Präparate noch heuer auf den Markt kommen. Szell rät davon ab, zu warten. „Die beiden Vakzine, die vor der Zulassung stehen, kommen einfach zu spät. Die vierte Welle beginnt jetzt.“ Den „vakzinologischen Durchbruch“ bedeuteten diese Impfstoffe wohl nicht, sagte Szell unter Verweis auf bisher bekannte Studienergebnisse. Die Nebenwirkungen fielen möglicherweise geringer aus, „aber Anlass zu hoffen, dass die Wirkung wesentlich besser ist, besteht nicht“.