Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei seiner Rede in Alpbach
ORF
„Verpflichtung“

Van der Bellen für Aufnahme von Afghanen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat bei der offiziellen Eröffnung des Europäischen Forums Alpbach zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan aufgerufen. Er glaube, es gebe eine rechtliche, moralische und politische Verpflichtung für die EU und ihre Mitgliedsstaaten, Schutz für jene zu bieten, die ihr Land verlassen müssen.

An der Spitze sollten Frauen und Mädchen stehen, die für die EU bzw. ihre Länder gearbeitet haben und „unsere Freunde und Verbündete sind“. Afghanistan befinde sich in einer Krise, deren Ausmaß nicht erwartet worden sei und die eine unvorhersehbare humanitäre Katastrophe nach sich ziehen könnte.

Österreich habe – wie von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) argumentiert – bisher bei der Aufnahme auch von afghanischen Flüchtlingen tatsächlich viel geleistet, so Van der Bellen in einer Diskussion nach seiner Rede. Das sei in der Sache aber „irrelevant“. Die Aufnahme von 100, 500 oder 1.000 Familien wäre technisch möglich und sollte besprochen werden.

Präsident hält Aufnahme noch für möglich

Angesichts vermeintlicher, von Kurz vorgebrachter Integrationsprobleme sagte Van der Bellen, dass sich von den Afghaninnen und Afghanen im Land sehr viele anständig benehmen würden, manche nicht. Dasselbe könne man übrigens über Österreicherinnen und Österreicher sagen, so der Präsident. Er zeigte sich außerdem nicht überzeugt davon, dass Österreich letzten Endes wirklich keine Flüchtlinge aufnehmen werde.

Unterstützung fand Van der Bellen bei seiner griechischen Amtskollegin Katerina Sakellaropoulou. Die verzweifelten Stimmen aus Afghanistan müssten seitens der EU gehört, die Werte der Frauen verteidigt werden. Die griechische Präsidentin hält es für „sehr wahrscheinlich“, dass die Krise in Afghanistan zu einer Fluchtbewegung nach Europa führen wird.

ÖVP pocht auf harte Linie

In Österreich gibt es seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban neue Debatten über eine mögliche Aufnahme bedrohter Menschen aus Afghanistan. Die ÖVP beharrt auf dem Standpunkt, keine weiteren Afghaninnen und Afghanen nach Österreich zu holen, man habe bereits genug geleistet. Neue Aufnahmen werde es unter seiner Kanzlerschaft nicht geben, so Kurz. Er sprach sich stattdessen dafür aus, Länder in der Region zu überzeugen, mehr Menschen aufzunehmen.

Eine prompte Absage an die Forderung des Bundespräsidenten kam auch gleich von Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in einem schriftlichen Statement gegenüber der APA. Österreich habe mit der Aufnahme von 44.000 Afghanen sehr viel mehr geleistet als die meisten anderen Länder. „Fakt ist auch, dass wir insbesondere bei der Integration von Afghanen vor großen Problemen und Herausforderungen stehen. Das ist ein weiterer Grund dafür, warum wir gegen eine zusätzliche, freiwillige Aufnahme oder eine Verteilung in Kontingenten sind.“

Zuvor hatte auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wiederholte auf eine harte Linie gepocht und etwa „Abschiebezentren“ in den Nachbarländern Afghanistans gefordert. Auch ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann bekräftigte die Parteilinie. „Ich bin mir nicht sicher, dass die Ansage, alle Leute aufzunehmen, die Lösung darstellt.“ Man müsse vielmehr alles tun, um aus dem „failed state“ Afghanistan wieder einen funktionierenden Staat zu machen.

Grüne bleiben in Deckung

Die Grünen blieben zuletzt zurückhaltend. Bundesparteisprecher und Vizekanzler Werner Kogler hatte zuletzt im ORF-„Sommergespräch“ die Frage nach einer Aufnahme von Menschen aus Afghanistan nicht direkt beantwortet. Man müsse Unterstützung anbieten, etwa wenn es um den Schutz von Frauen gehe. Ob und wie Österreich hier aktiv werden könnte, darauf wollte sich Kogler auf Nachfrage nicht festlegen, man regiere nicht alleine.

Es würden auch weiter Asylanträge afghanischer Bürger angenommen. Mehrfach betonte er, dass Hilfe an Ort und Stelle nötig sei – etwa mit Mitteln aus dem Auslandskatastrophenfonds.

Ganz anders äußerte sich dagegen Ewa Ernst-Dziedzic, Sprecherin der Grünen für Außenpolitik und Menschenrechte. „Wir haben nicht nur die moralische Verpflichtung, wir haben auch die Möglichkeit, diesen Menschen eine Perspektive zu geben.“ Zuletzt hatte die ehemalige grüne Vizebürgermeisterin und Koalitionsmitverhandlerin Brigitte Hebein verkündet, sie habe auch im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen die Grünen verlassen.

Ein Plädoyer für ein Resettlement-Programm kam etwa vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Er sprach sich dafür aus, gezielt jene Menschen in Sicherheit bringen, „die sich für demokratische Werte und die westliche Welt eingesetzt haben“, sagte er im Interview mit der APA. Als Beispiel nannte Ludwig die 300 Richterinnen des Landes.

NGOs mit vereintem Appell

Am Dienstag forderten auch mehrere NGOs die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan. Dafür gab es einen Zusammenschluss und ein Forderungspapier an die Regierung. Österreich müsse die Europäische Menschenrechtskonvention einhalten und sichere Fluchtwege ermöglichen. Gefordert werden die Aufnahme von Familienangehörigen von hier lebenden Afghanen und besonders gefährdeten Menschen sowie die Beendigung von Abschiebungen. Dem Bündnis gehören u. a. die NGOs Amnesty International, Diakonie und Caritas an.

NGOs kritisieren Regierung scharf

Dutzende Menschenrechtsorganisationen kritisieren scharf, dass die türkis-grüne Bundesregierung eine Flüchtlingsaufnahme aus Afghanistan ablehnt. Einige NGOs fordern im Gegenteil legale Fluchtrouten, insbesondere für afghanische Frauen.

Klaus Schwertner von der Caritas und Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich übten bei einer Pressekonferenz am Dienstag scharfe Kritik an der Bundesregierung. Anstatt darüber nachzudenken, wie man die Menschenrechtskonvention umgehen und Menschen nach Afghanistan abschieben könne, sollte die Regierung besonders gefährdete Menschen von dort herausholen. Alles andere sei „schändlich“, so Patzelt.

Schwertner bezeichnete die Wortmeldungen aus der Regierung zu Afghanistan als „ernüchternd und schockierend“. Nur weil man nicht alle retten könne, sei es keine Alternative, niemanden zu retten. Auf die Frage, wie viele Menschen nach Ansicht des Bündnisses aus Afghanistan nach Österreich geholt werden sollten, sprach Schwertner von „einigen hundert Menschen“. „Wir müssen unseren Beitrag leisten“, so auch Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination.

Hinweis auf gefährdete Frauen

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser verwies auf die besondere Gefährdung für Frauen, die in Afghanistan in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, durch die Taliban. Es gehe um Journalistinnen, Richterinnen und Politikerinnen.

Es gebe Berichte aus Afghanistan, wonach sich diese Frauen in Kellern verstecken und ihre Bildungszertifikate verbrennen, um von den Taliban nicht umgebracht zu werden. Man höre sogar Berichte über Frauen, die sich das Leben nehmen, um einer Zwangsverheiratung zu entgehen. „Um diese Frauen geht es“, so Moser. Diese würden nämlich in den Nachbarländern nicht ausreichend Schutz bekommen.

„Grenzen des Anstands und der Menschenrechte“

Christian Konrad und Ferry Maier von der Allianz „Menschen.Würde.Österreich“ zeigten sich in einer Aussendung über die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan besorgt und bekundeten ihre Unterstützung für die Initiative. Und sie üben scharfe Kritik an der Regierung: „Die Art und Weise, wie im politischen Diskurs hier Stimmung gemacht wird, macht deutlich, dass hier zunehmend Grenzen des Anstands und der Menschenrechte überschritten werden.“

International sei die Positionierung der Regierung „mit ihrer wahlkampforientierten innenpolitischen Agenda ein gefährlicher Brandbeschleuniger für nationale Egoismen“, so Maier. „Die pauschale Diffamierung von Menschen aus Afghanistan ist verantwortungslos und berücksichtigt nicht die unzähligen positiven Erfahrungen von Engagierten der Zivilgesellschaft“, so Konrad.