Menschenmenge außerhalb des Flughafens der afghanischen Hauptstadt Kabul
Reuters/Asvaka News
Afghanistan

Europäer vor Ende der Evakuierungsflüge

Während die USA an ihrem geplanten Abzug aus Afghanistan spätestens am Dienstag festhalten, werden die europäischen Evakuierungsmissionen bereits diese Woche abgeschlossen. Berichten aus Großbritannien und Deutschland zufolge wollen die beiden Staaten ihre Einsätze bis spätestens Freitag beenden. Um den Flughafen Kabul warten weiter Tausende Afghaninnen und Afghanen auf einen Flug ins Ausland.

76 österreichische Staatsbürger mit afghanischen Wurzeln bzw. Menschen mit Aufenthaltsberechtigung in Österreich wurden bisher aus Afghanistan nach Österreich gebracht, sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Mittwoch. Mehrere Dutzend würden noch auf die Ausreise warten, so das Außenministerium danach auf APA-Anfrage.

Großbritannien wolle die Evakuierung in den „nächsten 24 bis 36 Stunden“ abschließen, berichtete der „Guardian“. Der britische Außenminister Dominic Raab dagegen sagte am Mittwoch, die Frist für das Ende der Evakuierungsflüge sei aus seiner Sicht das Monatsende. Der genaue Zeitplan solle vom Militär konkretisiert werden.

Fast alle Britinnen und Briten ohne Doppelstaatsbürgerschaft seien außer Landes gebracht worden, so Raab. In den vergangenen 24 Stunden seien 2.000 Personen aus Kabul nach Großbritannien gebracht worden. Raab bekräftigte, die britischen Rettungsflüge sollen bis zur letzten Minute des 30. oder 31. August fortgeführt werden. Der genaue Zeitrahmen solle von Fachleuten des Militärs konkretisiert werden.

Zeit für Evakuierungsflüge wird knapp

Die USA bleiben beim 31.August als Abzugstermin aus Afghanistan, auch die Taliban wollen die Frist nicht verlängern. Für die Menschen, die noch in Kabul auf einen Evakuierungsflug hoffen, wird es eng.

Berichte: Deutsche Luftbrücke endet Freitag

Die deutsche Luftbrücke für Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie afghanische Ortskräfte wird einem Bericht des Onlinemagazins Business Insider zufolge am Freitag eingestellt. An diesem Tag solle der letzte Flug aus Kabul organisiert werden, meldete auch die Nachrichtenagentur dpa. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Evakuierungsflüge aber so lange wie möglich fortsetzen.

„Solange es verantwortbar ist, werden wir Menschen evakuieren. Aber das geht nur gemeinsam mit den USA“, sagte Merkel nach Informationen von Reuters von Teilnehmern einer Videokonferenz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit Beginn der Luftbrücke habe Deutschland insgesamt 4.654 Menschen ausgeflogen, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Bereits am Donnerstag dürfte die französische Evakuierungsmission auslaufen. Es sei „sehr wahrscheinlich“, dass an diesem Tag die Rettungsmission für französische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und deren afghanische Helferinnen und Helfer enden werde, sagte Europaminister Clement Beaune in einem Fernsehinterview. Russland kündigte unterdessen an, 500 Personen aus Afghanistan zu holen. Die Menschen stammen offiziellen Angaben zufolge aus Russland, Belarus, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und der Ukraine.

Ungarn will Termin für Einsatzende bald bekanntgeben

Der ungarische Evakuierungseinsatz nähert sich der Regierung zufolge ebenfalls dem Ende. Noch am Mittwoch könne das Militär den genauen Termin für den Abschluss der Aktion bekanntgeben, sagte Außenminister Peter Szijjarto. Ungarn habe mehr als 500 Menschen aus Kabul ausgeflogen.

Die meisten von ihnen seien afghanische Staatsbürger, die eine ungarische Wohltätigkeitsorganisation oder ungarische Soldaten unterstützt hätten, so der Minister. Am Montag hatte Ungarn mehrere Personen im Auftrag der USA und Österreichs aus Afghanistan ausgeflogen. Die Regierung in Budapest bekräftigte einmal mehr ihre Ablehnung, eine große Zahl afghanischer Flüchtlinge aufzunehmen.

Angesichts des nahenden Endes der Evakuierungsflüge werden auch Forderungen nach einem verstärkten Engagement der Nachbarländer laut. „Iran, Pakistan und Tadschikistan sollten mehr Menschen über Land oder Luft herausholen“, sagte ein NATO-Diplomat am Mittwoch gegenüber Reuters. Die Länder sollten ihre Grenzen öffnen, forderte der Diplomat.

Tausende harren um Flughafen aus

In der Hoffnung auf einen Evakuierungsflug harren indes weiter Tausende Afghaninnen und Afghanen um den Kabuler Airport aus. In sozialen Netzwerken geteilte Videos zeigten Hunderte Menschen, die teils bis zu den Hüften in einem Wassergraben vor einer Wand zum Flughafengelände stehen und warten.

Aufgrund der angespannten Lage an den Eingängen zum Flughafen haben Länder begonnen, Menschen anderweitig in den Flughafen zu bringen. Zwei Personen, die auf einer US-Evakuierungsliste standen, sagten, sie seien zu einem Ort in der Stadt gerufen und von dort mit in einem gepanzerten Konvoi in den Flughafen gebracht worden.

Ein Taliban-Sprecher sagte am Mittwoch gegenüber der dpa, dass an ihren Kontrollpunkten weiterhin Afghaninnen und Afghanen zum Flughafen durchgelassen werden, jedoch nur solche mit Dokumenten, die sie auch zur Ausreise berechtigen.

Biden hält an US-Abzug bis 31. August fest

Eineinhalb Wochen nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban schließt sich das Zeitfenster für die vom Militär gesicherten Evakuierungen aus Afghanistan schnell. US-Präsident Joe Biden will den Abzug der US-Truppen bis Dienstag, abschließen. Auch Bitten europäischer Verbündeter, noch länger Evakuierungsflüge vom Flughafen Kabul zu ermöglichen, stimmten Biden nicht um.

Joe Biden
AP/Susan Walsh
Biden bekräftigte am Dienstag neuerlich,an den Abzugsplänen bis 31. August festzuhalten

Das Weiße Haus erklärte am Dienstag, der Präsident habe bei dem virtuellen Krisentreffen der G-7-Staats- und -Regierungschef klargemacht, dass die USA an den gesetzten Fristen festhielten. „Je früher wir es abschließen, desto besser“, sagte Biden.

Erratum

UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet berichtete am Dienstag über schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban in Afghanistan. Aufgrund eines Übersetzungsfehlers der Deutschen Presse-Agentur (dpa) fand sich im ORF.at-Artikel dazu – wie in vielen anderen Medien – das Wort „Massenhinrichtungen“. Tatsächlich war von standrechtlichen Hinrichtungen von Zivilisten durch die Taliban die Rede. Über die Anzahl der Tötungen ist noch nichts bekannt. ORF.at korrigierte den Fehler am Dienstagabend.

„Anhaltende Koordinierung mit Taliban“

Mehr als 70.000 Menschen seien in den vergangenen Tagen aus Afghanistan ausgeflogen worden, so der US-Präsident. Das sei auch möglich gewesen, weil sich die Taliban nicht gegen die Evakuierungen gestellt hätten. Die internationale Gemeinschaft werde die Islamisten nach ihren Taten beurteilen, wenngleich sich „niemand von uns auf das Wort der Taliban verlassen“ werde, sagte Biden. Bereits zuvor hatte das Weißen Haus mitgeteilt, dass die Evakuierung auch von der „anhaltenden Koordinierung mit den Taliban“ abhänge.

Jeder weitere Tag in Kabul erhöhe das Risiko für die US-Truppen, so Biden. Dabei verwies er ausdrücklich auf die Gefahr eines Angriffs durch einen örtlichen Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), der auch mit den Taliban verfeindet ist.

Taliban pochen auf 31. August

Die Taliban, die fast alle Landesteile Afghanistans sowie die Hauptstadt Kabul – bis auf den Flughafen – kontrollieren, pochten am Dienstag jedenfalls erneut darauf, dass sich die USA an den Abzug mit Ende August halten. Die Islamisten machten zuletzt mehrfach klar, dass sie eine weitere Präsenz westlicher Streitkräfte nicht dulden würden.

Schwierige Evakuierung aus Afghanistan

Knapp 6.000 US-Soldaten sichern den Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul, um von dort Menschen zu evakuieren. Die Soldaten sollen aber schon kommende Woche abgezogen werden. Tausende Menschen, darunter auch Österreicher, wollen das Land noch unbedingt verlassen.

Bereits am Montag hatte ein Taliban-Vertreter die für den 31. August gesetzte Frist als „rote Linie“ bezeichnet. Am Dienstag sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid: „Wir wollen, dass alle Ausländer bis zum 31. August evakuiert werden.“ Er wandte sich zugleich dagegen, dass nun viele gebildete Afghaninnen und Afghanen das Land verließen. Man brauche diese, um Afghanistan wieder aufzubauen.

Widersprüchliche Aussagen der Taliban

Die Taliban verstricken sich zunehmend in Widersprüche. Denn einem hochrangingen Taliban-Führer zufolge können Afghaninnen und Afghanen auch in Zukunft problemlos und in Ruhe das Land verlassen. „Wenn sie für Jobs ins Ausland gehen oder ihr Leben verbessern wollten, können sie später Pässe beantragen, Visa bekommen und über legale Wege das Land verlassen“, sagte Taliban-Vizechef Mohammad Yaqoob in einem am Dienstagabend (Ortszeit) auf offiziellen Taliban-Kanälen verbreiteten Audiointerview. Niemand werde sie daran hindern. So chaotisch auszureisen wie derzeit sei ein Problem für alle Seiten.

In Wirklichkeit wolle der absolute Großteil der Menschen am Flughafen „für ihre Fantasien“ das Land verlassen, sagte Yaqoob weiter. Sie seien nicht dort, um vor der Taliban-Herrschaft zu fliehen. Immerhin lebten weiter hochrangige Vertreter der bisherigen Regierung im Land. Es gelte eine Amnestie für alle. Allerdings gab es in den vergangenen Tagen glaubwürdige Berichte über Racheaktionen und Tötungen etwa an ehemaligen Sicherheitskräften.

Zur Regierungsbildung sagte Yaqoob weiter, es seien ernsthafte Beratungen im Gange. Die Verzögerung bei der Regierungsbildung liege daran, dass man sehr präzise sein wolle. Das Regierungssystem solle alle Bürger des Landes repräsentieren, um so Probleme in der Zukunft zu vermeiden.