Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
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Afghanistan

Kogler vermisst bei ÖVP Menschlichkeit

Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler stellt sich nach zunehmender Kritik aus der eigenen Partei gegen den ÖVP-Kurs in Sachen Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan. Österreich sei international immer ein verlässlicher Partner gewesen, wenn es um Menschenrechte und humanitäre Hilfe gehe, sagte er am Mittwoch in einer Aussendung. Er vermisse beim Koalitionspartner die Menschlichkeit.

Jetzt „aus offenbar taktischen Gründen“ einen anderen Weg einzuschlagen „lässt angesichts der dramatischen Bedrohung gerade von Frauen und Kindern nicht nur die notwendige Menschlichkeit vermissen, sondern schadet auch massiv dem internationalen Ansehen Österreichs und unserer Rolle als verlässlicher Partner in Europa“, sagte Kogler in Richtung ÖVP.

„Es ist wichtig, dass der Innen- und der Außenminister auf dem festen Boden der Verfassung und Menschenrechtskonvention wieder aktiv an einer Lösung arbeiten, die dieser Rolle Österreichs in Europa gerecht wird und Österreich nicht noch weiter in der europäischen Gemeinschaft isoliert“, so der Vizekanzler. Jetzt müsse alles auf europäischer Ebene Mögliche getan werden, anstatt „fortwährend über rechtlich Unmögliches“ zu diskutieren.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
APA/Hans Punz
Mückstein will nicht länger über Abschiebungen debattieren, die nicht möglich sind

Ähnlich äußerte sich Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) am Rande einer Pressekonferenz am Mittwoch. Derzeit könne es rein rechtlich keine Abschiebungen nach Afghanistan geben -„das hat sich in der Zwischenzeit herumgesprochen“. Daher müsse das europarechtlich Mögliche getan werden, anstatt darüber zu diskutieren, was man in Österreich nicht tun könne, nämlich abschieben.

Grüner Landesrat Rauch spricht von „Schande“

Zuvor hatte Vorarlbergs Grünen-Landesrat Johannes Rauch die Weigerung der ÖVP, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, im Ö1-Morgenjournal als „eine Schande“ bezeichnet. Auch wenn es seitens der ÖVP üblich sei, vor Parteitagen und vor Landtagswahlen wie jetzt in Oberösterreich „Geräusche zu machen“, so sei das im Hinblick auf Afghanistan „jenseitig“ und „zurückzuweisen“, so Rauch. Das werde von Kogler auch so gesehen, versicherte er bereits vor dem Statement seines Parteichefs.

Seine „schärferen Worte“ seien an die ÖVP adressiert, nicht an die eigene Partei. Rauch zeigte sich überzeugt, dass innerhalb der türkis-grünen Koalition die Auseinandersetzungen härter werden und auch zunehmen werden. „Wir haben gewusst, mit wem wir uns in eine Koalition begeben. Was wir tun, ist, bestmöglich dagegenzuhalten“, stellte Rauch fest.

Jetzt gehe es darum, in einem gemeinsamen solidarischen Akt der europäischen Staaten besonders gefährdete Menschengruppen aus Afghanistan herauszuholen. Konkret nannte Rauch etwa Journalistinnen und Journalisten sowie Frauenrechtlerinnen. Die Zurufe von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an die Europäische Kommission seien „mehr als entbehrlich. Wir sind es, die säumig sind, nicht die Europäische Kommission, die hat einen richtigen Ansatz“, sagte Rauch – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Nehammer: EU-Kommission sendet „falsche Botschaften“

Nehammer hatte der EU-Kommission vorgeworfen, „permanent die falschen Botschaften“ zu senden. Die Kommission hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, Afghaninnen und Afghanen innerhalb des Landes und in den Nachbarländern der Region zu unterstützen, gleichzeitig aber auch via Umsiedelung Menschen in Europa aufzunehmen.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
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Nehammer übte scharfe Kritik an der EU-Kommission

Diese Kritik wies ÖVP-Klubobman August Wöginger zurück: Rauch solle „seine Energie in Sacharbeit investieren und nicht in Streit“, richtete Wöginger dem grünen Landesrat im Ö1-Mittagsjournal aus. Er halte auch wenig davon, „den politischen Mitbewerber herabzuwürdigen und ihm moralische Werte abzusprechen,“, sagte der ÖVP-Klubobmann. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die türkis-grüne Koalition wie bisher bei unterschiedlichen Positionen auch hier zu Lösungen kommen werde. Die Frage des koalitionsfreien Raums steht für ihn dabei nicht zur Diskussion.

Nicht nur die Grünen aus dem Westen hatten gegen die ÖVP-Regierungslinie zu Afghanistan opponiert, auch Vertreterinnen und Vertreter von Wiener Parteien äußerten sich öffentlich vor allem gegenüber dem Innenminister. Bei einer Demonstration der SPÖ-Frauen Dienstagabend war Gemeinderätin Berivan Aslan als Rednerin eingeladen, auch Vertreterinnen und Vertreter der Wiener Grünen waren auf der Kundgebung. Das Motto der Demo lautete „Nehammer absetzen“.

Rücktritt Nehammers aus verschiedenen Gründen gefordert

Die SPÖ ist sich aber uneins, was die Flüchtlingsaufnahme betrifft. So forderte der burgenländische SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst ebenfalls den Rücktritt Nehammers – aber unter Kritik daran, dass wegen dessen substanzloser Asylpolitik zu viele Menschen über Österreichs Grenzen kämen. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) unterstrich hingegen die Bereitschaft, in Wien Menschen aus Afghanistan aufzunehmen, „die sich für demokratische Werte und die westliche Welt eingesetzt haben“ – wie Richterinnen, Journalistinnen und Frauenrechtlerinnen.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wollte das aber nicht als parteiinternen Konflikt interpretiert haben. „Es gibt nur eine gemeinsame Linie“ in der SPÖ, sagte er im Ö1-Mittagsjournal, nämlich „Integration vor Zuzug“ und gleichzeitig Menschen zu helfen, die vom Tod bedroht seien, weil sie für demokratische Werte eingetreten seien. Somit seien alle in den vergangenen Tagen genannten Argumente in sich schlüssig, befand Deutsch.

Schallenberg: 76 Personen nach Österreich gebracht

76 österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit afghanischen Wurzeln bzw. Menschen mit Aufenthaltsberechtigung in Österreich wurden bisher aus Afghanistan nach Österreich gebracht, wie Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Wien mitteilte. Mehrere Dutzend würden noch auf die Ausreise warten.

Einmal mehr betonte Schallenberg seine Ablehnung für die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge. Österreich habe zwar kein Interesse an einem „failed state“ oder daran, dass sich Afghanistan zum „Brutkasten des Terrorismus“ entwickle, doch habe sich die Bundesregierung bereits „sehr solidarisch“ gezeigt, so Schallenberg. Die Reaktion auf die derzeitige Krisensituation könne nicht sein, „wir bringen jetzt so viele wie möglich nach Europa“. Er sehe nun „andere Partner am Zug“, sagte Schallenberg. Nächste Woche wolle man sich dazu etwa mit Usbekistan und Tadschikistan austauschen.

Asselborn: Alle EU-Länder müssen Afghanen aufnehmen

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erwartet unterdessen von allen EU-Ländern die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan. „Wir brauchen eine europäische Lösung“, sagte er am Mittwoch in Luxemburg. Die Aufnahme von Afghanistan-Flüchtlingen müsse „eine europäische Entscheidung sein“.

„Und es wäre bedauerlich, wenn EU-Länder sich weigerten, Flüchtlinge aufzunehmen und wenn die EU es mit 450 Millionen Bürgern nicht schaffen würde, vor allem Frauen und Kinder aufzunehmen“, fügte Asselborn hinzu. „Es gibt eine Abwärtstendenz in der Aufnahmebereitschaft, und das macht mich ein bisschen traurig.“