Frauen in Afghanistan
APA/AFP/Wakil Kohsar
Taliban-Sprecher

Arbeitende Frauen sollen zu Hause bleiben

Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan vor eineinhalb Wochen zeigen sich die Taliban nach außen hin bemüht, ein gemäßigteres Bild abzugeben – nicht zuletzt was ihren Umgang mit Frauen betrifft. Aus allen Teilen des Landes häuften sich indes weiterhin Berichte von Repressalien gegen die Bevölkerung. Ein Taliban-Sprecher rief arbeitende Frauen nun dazu auf, „vorerst“ zu Hause zu bleiben.

Die Begründung für den Aufruf? Manche Taliban-Mitglieder hätten noch nicht gelernt, den Frauen kein Leid zuzufügen. Und bis diese im Umgang mit Frauen geschult würden, sollten Frauen zu ihrem eigenen Schutz „vorerst“ zu Hause bleiben, sagte der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid laut „New York Times“.

„Wir machen uns Sorgen, dass unsere Truppen, die neu und noch nicht sehr gut ausgebildet wurden, Frauen misshandeln könnten“, sagte Mujahid. „Wir wollen nicht, dass unsere Kräfte, Gott bewahre, Frauen verletzen oder sie belästigen“, so der Sprecher zudem. In der Tat scheint sich in Afghanistan nun aber vielmehr die rasche Rückkehr zu den Gegebenheiten während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 zu vollziehen.

Rückkehr zu Unterdrückung und Gewalt

Für Frauen war jene Herrschaft vor 20 Jahren gekennzeichnet von Unterdrückung und Gewalt. Frauen durften damals prinzipiell nicht das Haus verlassen, und wenn, dann nur in Burka und mit einem männlichen Familienmitglied. Es war ihnen zudem verboten zu arbeiten und über dem Alter von acht Jahren unterrichtet zu werden. Unter Unterricht verstehen die Taliban vorwiegend das Studieren des Koran.

Bei dem kleinsten Verstoß drohte spontane öffentliche Misshandlung durch Ordnungshüter. Im schlimmsten Fall waren Auspeitschungen, Folter und Hinrichtungen die Folge. Die Taliban von heute halten nach wie vor an der Scharia, der strengen Auslegung des islamischen Rechts, fest. Seit ihrer Machtergreifung versuchen sie jedoch, moderner zu erscheinen: So hieß es etwa, dass Frauen weiterhin Bildung genießen und arbeiten dürfen, auch eine Burka sollen Frauen nicht mehr tragen müssen – einen Hidschab aber schon.

Erinnerung an Herrschaft vor 20 Jahren

Beobachterinnen und Beobachter sahen darin eine offensichtliche PR-Offensive – und auch aus den von den Taliban schon seit Längerem kontrollierten Gebieten wurde Gegenteiliges gemeldet. Die Behauptung, dass Einschränkungen im Alltag der Frauen nur vorübergehend seien, sei auch nicht neu, wird Heather Barr von der NGO Human Rights Watch in der „New York Times“ zitiert. Ähnliches hätten die Taliban bereits vor 20 Jahren behauptet.

„Die Erklärung war, dass die Sicherheit nicht gut genug sei und dass sie warteten, bis die Sicherheit besser würde, und dann sollten Frauen mehr Freiheit haben“, so Barr weiter. „Aber natürlich kam dieser Moment in den Jahren, in denen sie an der Macht waren, nie – und ich kann ihnen versprechen, dass afghanische Frauen, die das heute hören, denken, dass er auch dieses Mal nie kommen wird.“

„Rhetorik und die Realität passen nicht zusammen“

Ähnlich die Einschätzung des Amnesty-International-Experten Brian Castner: Es gebe kein Anzeichen, dass die Taliban beabsichtigten, irgendeines ihrer Versprechen einzulösen. Amnesty International berichtet mit Verweis auf eigene Quellen, dass die Taliban mit Namenslisten von Tür zu Tür gingen.

„Die Rhetorik und die Realität passen überhaupt nicht zusammen, und ich denke, dass die Rhetorik mehr als nur unehrlich ist“, so Castner. Die Taliban würden versuchen, „normal und gerecht“ auszusehen, sagt Barr. „Und das wird andauern, solange die internationale Gemeinschaft und die internationale Presse noch da sind. Und danach werden wir sehen, wie sie wirklich sind.“

„Das ist alles nur eine Show, ein Theater, das die da aufführen, um der Weltöffentlichkeit etwas vorzugaukeln“, sagte zuletzt etwa auch der Journalist Hasnain Kazim, der Afghanistan in seiner Zeit als Südasienkorrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ (2009-–2013) viele Male besucht hatte und nach wie vor regen Kontakt mit Menschen im Land pflegt, gegenüber ORF.at. „Die Taliban haben sich in den vergangenen 20 Jahren ja nicht verändert“, so Kazim.

Chancen auf sichere Ausreise sinken

Die Zeit für Evakuierungen aus Afghanistan wird indes immer knapper. Trotz Bitten europäischer Verbündeter um eine Verlängerung des Einsatzes halten die USA am Truppenabzug bis kommenden Dienstag fest. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Entscheidung über den Zeitpunkt als schwieriges Dilemma.

Rund um den Flughafen Kabul harren weiter Tausende in der Hoffnung auf einen Evakuierungsflug ins Ausland aus. Vor allem frühere Regierungsbeamte, Mitglieder der Sicherheitskräfte, Menschenrechtler oder Ortskräfte und Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte und Organisationen haben Angst vor Racheaktionen der Taliban. In dem Gedränge vor den Zugängen zum Flughafen sind mehrere Menschen getötet worden.