Außenminister Alexander Schallenberg
ORF
Nach Grünen-Kritik

Schallenberg stört „abwertende Tonalität“

Unter den Grünen hat die ÖVP-Linie in Sachen Aufnahme Geflüchteter aus Afghanistan für Unmut gesorgt. Er vermisse die Menschlichkeit beim Koalitionspartner, sagte zuletzt etwa Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Auf die Kritik reagierte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) im ZIB2-Interview verständnislos – die „abwertende Tonalität“ störe ihn, so Schallenberg.

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass in „dieser Koalition sehr unterschiedliche Partner aufeinandertreffen, die unterschiedliche Ansätze haben“, so Schallenberg. „Aber diesen abwertenden Zugang, dass man andere Meinungen gar nicht ernst nimmt oder runtermacht, glaube ich, ist nicht das Richtige“, sagte der Außenminister, angesprochen auf die Kritik der Grünen, aber auch von der NGO Amnesty International und der Caritas. Die Haltung der ÖVP habe sich „überhaupt nicht“ geändert.

Man habe „dasselbe Ziel“ und „dasselbe Problem“, so der Minister. „Wir wollen helfen und werden auch helfen“, fügte Schallenberg hinzu. Der Zugang der ÖVP sei nun mal „Hilfe vor Ort“. Das internationale Ansehen Österreichs sei auch „völlig unbelastet und unbeschädigt“, so Schallenberg weiter. Konkret stellte Schallenberg 18 Millionen Euro an Soforthilfe in Aussicht.

Schallenberg zu Rettungsbemühungen

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) erklärt, wie die Regierung Österreichern in Afghanistan helfen möchte. Eigene Flugkapazitäten habe Österreich dort nicht, dafür ein Krisenteam. Abschiebungen von Afghanen innerhalb der EU werde es weiter geben, nach Afghanistan derzeit nicht.

„Werden Afghanistan nicht im Stich lassen“

„Wir werden Afghanistan nicht im Stich lassen“, betonte Schallenberg auch. Österreich sei in den letzten Jahren aber „über die Maßen solidarisch“ gewesen – so habe man mit rund 44.000 Afghaninnen und Afghanen im Land die zweitgrößte afghanische Community Europas und die viertgrößte weltweit. „Das können wir nicht so wegwischen und sagen, wir tun nichts. Wir tun enorm viel.“

Von den Zehntausenden Afghanen und Afghaninnen haben de facto auch etliche einen negativen Aufenthaltsbescheid erhalten. Die ÖVP pochte auch nach Machtübernahme der Taliban darauf, jene Menschen abzuschieben. Abschiebungen nach Afghanistan sind „derzeit ausgeschlossen“, sagte Schallenberg. Man wolle aber auch weiterhin „nach Dublin (Verordnung, Anm.) abschieben“, stellte der Minister klar.

Tatsächlich handelt es sich hierbei allerdings um Überstellungen nach der Dublin-Verordnung. Im Gegensatz zu einer Abschiebung, die nach einer inhaltlichen Prüfung der Fluchtgründe angeordnet wird, regelt die Dublin-Verordnung, welcher Staat für die Prüfung des Asylantrags einer Person zuständig ist. Häufig ist das jenes Land, in dem die Person erstmals europäischen Boden betreten oder für das sie ein Visum besessen hat.

Taliban an „Taten messen“

Die Taliban wolle man an ihren Taten messen, sagte Schallenberg außerdem. „Wir müssen schauen, wie sich die wahnsinnig volatile Situation entwickelt“, so Schallenberg überdies. Er könne aber nicht in die Zukunft blicken, so der Außenminister.

Im ZIB2-Interview hielt er auch fest, dass es ganz klar das Ziel sei, jeden Österreicher und jede Österreicherin sowie jede Person mit Aufenthaltstitel für Österreich aus Afghanistan zu holen – auch über den 31. August, also jenen Tag, an dem die US-Truppen abgezogen sein sollen – hinaus. 87 Personen wurden bereits nach Österreich gebracht – zwei bis drei Dutzend dürften nach Schätzung des Außenministeriums noch in Afghanistan sein.

Auch beim Treffen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Wien war Afghanistan Thema. „Der Kanzler hat bekräftigt, dass sich (die Flüchtlingskrise von, Anm.) 2015 nicht wiederholen dürfe“, sagte ein Sprecher zur APA. „Das Gebot der Stunde ist Stabilität und Hilfe bei der Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern Afghanistans. Es ist daher auch dringend notwendig, möglichst rasch eine UNO-Geberkonferenz einzuberufen. Damit leisten wir dort Hilfe, wo es am nötigsten ist, nämlich vor Ort, und können somit neue Flüchtlingsströme nach Europa zu verhindern helfen“, so Kurz zudem in einer Aussendung.

SPÖ wirft Regierung „Versagen“ vor

Die SPÖ warf Schallenberg sowie Kurz am Donnerstag „Versagen“ und „Untätigkeit“ bei der Hilfe für Österreicher und Österreicherinnen in Afghanistan vor. Andere Staaten hätten die Rettung ihrer Staatsbürger und Staatsbürgerinnen schon vor einer Woche abgeschlossen bzw. würden diese von Verstecken abholen und sie zum Flughafen geleiten.

Die Bundesregierung sage „unseren Mitbürger*innen lapidar, sie sollen sich selbst zum Flughafen durchschlagen. Das gestrige ZIB2-Interview mit dem Außenminister hat erschreckend deutlich gemacht, dass außer Showpolitik und Sprüchen kaum etwas übrig bleibt“, kritisierte der stellvertretende Klubvorsitzende Jörg Leichtfried. Anstatt zu helfen, Österreicher und vom Tod bedrohte Helfer herauszubekommen, seien Kurz und (Vizekanzler Werner, Grüne, Anm.) Kogler „mit ihrem Asylstreit beschäftigt“.

Kogler übt Kritik an ÖVP

Er vermisse beim Koalitionspartner die Menschlichkeit, sagte Vizekanzler Kogler am Mittwoch. Jetzt „aus offenbar taktischen Gründen“ einen anderen Weg einzuschlagen, „lässt angesichts der dramatischen Bedrohung gerade von Frauen und Kindern nicht nur die notwendige Menschlichkeit vermissen, sondern schadet auch massiv dem internationalen Ansehen Österreichs und unserer Rolle als verlässlicher Partner in Europa“, sagte Kogler in Richtung ÖVP.

„Es ist wichtig, dass der Innen- und der Außenminister auf dem festen Boden der Verfassung und Menschenrechtskonvention wieder aktiv an einer Lösung arbeiten, die dieser Rolle Österreichs in Europa gerecht wird und Österreich nicht noch weiter in der europäischen Gemeinschaft isoliert“, so der Vizekanzler. Jetzt müsse alles auf europäischer Ebene Mögliche getan werden, anstatt „fortwährend über rechtlich Unmögliches“ zu diskutieren.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
APA/Hans Punz
Mückstein will nicht länger über Abschiebungen debattieren, die nicht möglich sind

Ähnlich äußerte sich Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) am Rande einer Pressekonferenz am Mittwoch. Derzeit könne es rein rechtlich keine Abschiebungen nach Afghanistan geben – „das hat sich in der Zwischenzeit herumgesprochen“. Daher müsse das europarechtlich Mögliche getan werden, anstatt darüber zu diskutieren, was man in Österreich nicht tun könne, nämlich abschieben.

Grüner Landesrat Rauch spricht von „Schande“

Zuvor hatte der Vorarlberger Grünen-Landesrat Johannes Rauch die Weigerung der ÖVP, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, im Ö1-Morgenjournal als „eine Schande“ bezeichnet. Auch wenn es seitens der ÖVP üblich sei, vor Parteitagen und vor Landtagswahlen wie jetzt in Oberösterreich „Geräusche zu machen“, so sei das im Hinblick auf Afghanistan „jenseitig“ und „zurückzuweisen“, so Rauch. Das werde von Kogler auch so gesehen, versicherte er bereits vor dem Statement seines Parteichefs.

Jetzt gehe es darum, in einem gemeinsamen solidarischen Akt der europäischen Staaten besonders gefährdete Menschengruppen aus Afghanistan herauszuholen. Konkret nannte Rauch etwa Journalistinnen und Journalisten sowie Frauenrechtlerinnen. Die Zurufe von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an die Europäische Kommission seien „mehr als entbehrlich. Wir sind es, die säumig sind, nicht die Europäische Kommission, die hat einen richtigen Ansatz“, sagte Rauch – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Nehammer: EU-Kommission sendet „falsche Botschaften“

Nehammer hatte der EU-Kommission vorgeworfen, „permanent die falschen Botschaften“ zu senden. Die Kommission hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, Afghaninnen und Afghanen innerhalb des Landes und in den Nachbarländern der Region zu unterstützen, gleichzeitig aber auch via Umsiedelung Menschen in Europa aufzunehmen.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Hans Punz
Nehammer übte scharfe Kritik an der EU-Kommission

Diese Kritik wies ÖVP-Klubobman August Wöginger zurück: Rauch solle „seine Energie in Sacharbeit investieren und nicht in Streit“, richtete Wöginger dem grünen Landesrat im Ö1-Mittagsjournal aus. Er halte auch wenig davon, „den politischen Mitbewerber herabzuwürdigen und ihm moralische Werte abzusprechen“, sagte der ÖVP-Klubobmann.

Nicht nur die Grünen aus dem Westen hatten gegen die ÖVP-Regierungslinie zu Afghanistan opponiert, auch Vertreterinnen und Vertreter von Wiener Parteien äußerten sich öffentlich vor allem gegenüber dem Innenminister. Bei einer Demonstration der SPÖ-Frauen Dienstagabend war Gemeinderätin Berivan Aslan als Rednerin eingeladen, auch Vertreterinnen und Vertreter der Wiener Grünen waren auf der Kundgebung. Das Motto der Demo lautete „Nehammer absetzen“. Die SPÖ ist sich aber uneins, was die Flüchtlingsaufnahme betrifft.